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1. März 2023
Auffahrunfall: Kann der Anscheinsbeweis nicht glaubhaft widerlegt werden, haftet der Auffahrende

Einen Klassiker im Verkehrsrecht musste das Landgericht Hamburg (LG) bewerten, und zwar den Auffahrunfall. Dass eben jener sich mehrheitlich so verhält, dass für dessen Entstehung der Hintere auf den Vorderen aufgefahren ist, setzt die allgemeine Lebenserfahrung voraus. Wer diesem ersten Anscheinsbeweis entgegentreten möchte, braucht jedoch gute Argumente – die Bestätigung des Ehepartners allein reicht dafür nicht aus.

Zwei Autofahrer fuhren im Fließverkehr hintereinander, als es plötzlich zu einer Kollision der beiden Fahrzeuge kam. Wie es dazu kam, blieb jedoch strittig. Der Auffahrende behauptet seinerseits, dass der Vordermann plötzlich rückwärts gefahren sei, was von seiner Ehefrau bestätigt wurde. Der Vordermann hingegen bestritt dies und behauptet, der Hintermann sei ihm schlicht und ergreifend aufgefahren.

Das LG gab der Versicherung des Vordermanns Recht. Im vorliegenden Fall steht fest, dass die beiden beteiligten Fahrzeuge zunächst im Fließverkehr hintereinanderfuhren – und zwar üblicherweise vorwärts. Kommt es dann zu einer Kollision, müsse man im Allgemeinen davon ausgehen, dass der Hintere dem Vorderen aufgefahren sei. Um diesen Anscheinsbeweis zu entkräften, reiche es nicht aus, ein Rückwärtsfahren einfach zu behaupten. Es müssen zumindest Tatsachen vorgetragen werden, die das Rückwärtsfahren ernsthaft möglich machen. Solche Anhaltspunkte sind hier jedoch nicht benannt worden. Allein die Aussage der Ehefrau genüge dabei nicht, wenn der Vordermann das bestreitet. Somit bleibt der Verlauf ungeklärt – und dies führt dazu, dass der Anscheinsbeweis nicht entkräftet werden kann. In diesem Fall lag somit ein Verstoß gegen § 4 Straßenverkehrsordnung (StVO) vor, der so schwer wog, dass der Auffahrende allein zu haften hatte.

Hinweis: Der Anscheinsbeweis setzt Geschehensabläufe voraus, bei denen sich nach der allgemeinen Lebenserfahrung der Schluss aufdrängt, dass ein Verkehrsteilnehmer seine Pflicht zur Beachtung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt verletzt hat. Es muss sich um Tatbestände handeln, für die nach der Lebenserfahrung eine schuldhafte Verursachung typisch ist. Bei einem Auffahrunfall kann der Anschein gegen den auffahrenden Hintermann sprechen, dass dieser entweder unaufmerksam war (§ 1 Abs. 1 StVO) oder aber nicht den erforderlichen Sicherheitsabstand eingehalten hat (§ 4 Abs. 1 StVO).

Quelle: LG Hamburg, Urt. v. 14.11.2022 – 331 S 14/22