Betrunkener E-Scooter-Fahrer: Gesamtschau entscheidet über Ausnahme beim Fahrerlaubnisentzug
Das Landgericht Osnabrück (LG) hatte im Rahmen eines Berufungsverfahrens über die Frage zu entscheiden, ob bei einer Trunkenheitsfahrt mit einem E-Scooter die Fahrerlaubnis zwingend zu entziehen ist oder ob es auch hier Ausnahmen zur Regel geben kann. Wie so oft bei Rechtsfragen, hieß es auch hier: „Kommt ganz drauf an.“ Und wenn man die sogenannte Gesamtschau berücksichtigt, wird auch klar, warum.
Der Betroffene war mit einem Blutalkoholwert von 1,44 ‰ von der Polizei aufgegriffen worden. Erstinstanzlich hatte das Amtsgericht Osnabrück in seinem Urteil vom 02.02.2023 von der Entziehung der Fahrerlaubnis abgesehen und stattdessen ein Fahrverbot von fünf Monaten ausgesprochen. Hiergegen richtete sich die Berufung der Staatsanwaltschaft.
Das LG hat mit seinem Urteil die Berufung der Staatsanwaltschaft als unbegründet verworfen. Im Rahmen der Urteilsbegründung wurde betont, dass zwar nach obergerichtlicher Rechtsprechung bei einer Trunkenheitsfahrt mit einem E-Scooter die Fahrerlaubnis entzogen werden kann. Dass bei einer Trunkenheitsfahrt die Fahrerlaubnis zu entziehen ist, stellt hierbei den Regelfall dar. Ob eine Ausnahme besteht, ist durch eine Gesamtschau zu ermitteln. Grundsätzlich werden an die Annahme einer solchen Ausnahme aber sehr hohe Anforderungen gestellt. Nach Auffassung der Kammer lag hier ein solcher Ausnahmefall vor. Der Angeklagte hatte beabsichtigt, nur eine äußerst kurze Strecke – rund 150 m – mit dem E-Scooter zu fahren. Er hat nicht nur sein Verhalten bereut und hierfür um Entschuldigung geben, sondern auch an einem verkehrspädagogischen Seminar teilgenommen und medizinisch nachgewiesen, dass er in den vergangenen Monaten keinen Alkohol getrunken habe. Das Gericht ging daher davon aus, dass der Angeklagte – nunmehr – geeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen im Straßenverkehr ist und mithin eine Ausnahme vom Regelfall des Fahrerlaubnisentzugs vorliegt.
Hinweis: Der Bundesgerichtshof hatte im April 2023 entschieden, dass die Wertgrenze von 1,1 ‰ auch beim Fahren mit einem E-Scooter (Höchstgeschwindigkeit rund 25 km/h) zu der unwiderlegbaren Vermutung der absoluten Fahruntüchtigkeit führt. Nach der Regelvermutung zu § 69 Abs. 2 Nr. 2 Strafgesetzbuch ist bei Trunkenheitsfahrten der Führerschein zu entziehen. Diese Vermutung ist widerlegbar. Ob bei einer – vermuteten – absoluten Fahruntüchtigkeit bie der Nutzung eines E-Scooters auch eine Entziehung der Fahrerlaubnis gerechtfertigt ist, ist in der Rechtsprechung umstritten. Es kommt darauf an, ob bei einer Trunkenheitsfahrt mit einem E-Scooter im Gegensatz zur Nutzung eines Kraftfahrzeugs ein geringeres abstraktes Gefährdungspotential besteht.
Quelle: LG Osnabrück, Urt. v. 17.08.2023 – 5 NBs 59/23