Wenn nach einer Trunkenheitsfahrt keine Ahndung der begangenen Ordnungswidrigkeit erfolgt ist, ist man noch lange nicht aus dem Schneider. Denn das folgende Urteil des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) zeigt, was passieren kann, wenn die Zuwiderhandlung mit hinreichender Gewissheit feststeht und sie in zeitlicher Hinsicht noch verwertbar ist.
Nach einer einmaligen Trunkenheitsfahrt mit einem Promillewert von weniger als 1,6 darf die Neuerteilung der Fahrerlaubnis nicht von der Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens abhängig gemacht werden. Das gilt zumindest dann, wenn der Fahrerlaubnisbehörde keine weiteren zusätzlichen Tatsachen vorliegen, die die Annahme von künftigem Alkoholmissbrauch begründen können.
Einem Fahrzeugführer war nach einer Trunkenheitsfahrt, bei der eine Blutalkoholkonzentration (BAK) von 1,28 ‰ festgestellt wurde, die Fahrerlaubnis entzogen worden. Im Führerscheinneuerteilungsverfahren wurde seitens der Fahrerlaubnisbehörde trotz der einmaligen Trunkenheitsfahrt die Neuerteilung von der Beibringung eines medizinisch-psychologischen Fahreignungsgutachtens abhängig gemacht. Der Betroffene hielt diese Anordnung für fehlerhaft und klagte.
Das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) gab dem Mann Recht und verurteilte die Fahrerlaubnisbehörde, die beantragte Fahrerlaubnis ohne vorherige Vorlage eines positiven medizinisch-psychologischen Gutachtens neu zu erteilen: Ohne Vorliegen zusätzlicher aussagekräftiger Tatsachen darf die Anforderung des geforderten Gutachtens im Neuerteilungsverfahren bei einer einmaligen Trunkenheitsfahrt erst ab einer BAK von 1,6 ‰ gestellt werden. Alkoholmissbrauch liegt vor, sobald das Führen von Fahrzeugen und ein die Fahrsicherheit beeinträchtigender Alkoholkonsum nicht hinreichend sicher getrennt werden können. Der Verordnungsgeber hat 1998 angenommen, dass von einem fehlenden Trennungsvermögen nach einer einmaligen Trunkenheitsfahrt erst ab einer BAK von 1,6 ‰ auszugehen ist. Dass diese Annahme heute unvertretbar wäre, ist nicht ersichtlich. Es ist Sache des Verordnungsgebers, diesen Grenzwert gegebenenfalls neu zu bestimmen.
Hinweis: Nachdem mehrere Oberverwaltungsgerichte in der Vergangenheit entschieden hatten, dass die Vorlage eines solchen Gutachtens im Rahmen der Neuerteilung auch unterhalb von 1,6 ‰ erforderlich ist, hat das BVerwG mit seiner Entscheidung nunmehr Klarheit geschaffen.
Ergibt sich aus früheren medizinisch-psychologischen Gutachten ein Alkoholmissbrauch, der eine dauerhafte Abstinenz erfordert, begründet der zugegebene, tägliche Genuss von 14 bis 16 Flaschen Bier einen hinreichenden Grund, den Nachweis der Fahreignung durch eine medizinisch-psychologische Untersuchung zu fordern.
Die Fahrerlaubnisbehörde hatte dem Betroffenen die Fahrerlaubnis entzogen, nachdem er in Polizeigewahrsam gekommen war und hierbei festgestellt wurde, dass er nach dem Genuss von 14 bis 16 Flaschen Bier einen Alkoholgehalt von 1,22 ‰ aufwies. Dem Betroffenen war bereits früher wegen Alkoholmissbrauchs die Fahrerlaubnis entzogen worden; er hatte den Führerschein nur unter der Voraussetzung der Alkoholabstinenz wiederbekommen.
Das Verwaltungsgericht Saarlouis hat nun im Rahmen eines Eilverfahrens entschieden, dass die Entziehung der Fahrerlaubnis rechtmäßig war, auch wenn dem Betroffenen nicht nachgewiesen werden konnte, dass er unter Alkoholeinfluss am Straßenverkehr teilgenommen hatte. Nach Auffassung des Gerichts ist der erforderliche Zusammenhang der in Rede stehenden Alkoholauffälligkeit mit der Teilnahme am Straßenverkehr fallbezogen darin zu sehen, dass die erfolgte Wiedererteilung der Fahrerlaubnis maßgeblich von der Prognose abhing, dass der Antragsteller auch zukünftig abstinent leben wird. Diese positive Prognose ist durch seine erneute Alkoholauffälligkeit indes wesentlich erschüttert, wenn nicht gar widerlegt worden. Die Fahrerlaubnisbehörde war im Rahmen der Gefahrenabwehr daher nicht nur berechtigt, sondern sogar verpflichtet, dem begründeten Verdacht fortbestehenden Alkoholmissbrauchs bzw. eines etwaigen Rückfalls des Betroffenen nach überwundenem Alkoholmissbrauch nachzugehen.
Hinweis: Liegen Verdachtsmomente vor, dass der Inhaber einer Fahrerlaubnis immer noch (oder wieder) alkoholabhängig ist oder Alkoholmissbrauch betrieben wird, ist eine medizinisch-psychologische Untersuchung anzuordnen. Voraussetzung ist dabei, dass die Alkoholabhängigkeit oder der -missbrauch früher einmal belastbar festgestellt wurde.
Quelle: VG Saarlouis, Beschl. v. 25.09.2015 – 5 L 1062/15 Thema: Verkehrsrecht