In vielen Betrieben – insbesondere in Krankenhäusern, Arztpraxen und Pflegeheimen – wurde während der Pandemie die sogenannte einrichtungsbezogene Impfpflicht eingeführt. Arbeitnehmer, die ungeimpft waren, durften demnach nicht mehr beschäftigt werden. Ob entsprechend freigestellte Mitarbeiter dennoch einen Anspruch auf Vergütung hatten, musste im Folgenden das Arbeitsgericht Gießen (ArbG) entscheiden.
Der Europäische Gerichtshof hatte im vergangenen Jahr entschieden, dass die EU-Staaten die Arbeitgeber verpflichten müssen, ein System zur Erfassung der täglichen Arbeitszeit einzuführen. Der deutsche Gesetzgeber bereitet ein entsprechendes Gesetz vor. Nun hatte das Arbeitsgericht Emden (ArbG) darüber zu befinden, ob die Arbeitgeber schon jetzt zur Arbeitszeiterfassung verpflichtet sind.
Ein Bauhelfer hatte nach Beendigung seiner Tätigkeit die Vergütung von weiteren 12,05 Stunden verlangt und legte hierzu eine Übersicht sowie selbst angefertigte Aufzeichnungen vor. Die Arbeitgeberin verwies darauf, dass die tägliche Arbeitszeit gemeinsam mit dem Arbeitnehmer in einem Bautagebuch festgehalten worden sei. Das half ihr aber nichts – das ArbG sprach dem Bauhelfer sein Geld zu.
Die Arbeitgeberin hatte nach Art. 31 Abs. 2 der EU-Grundrechte-Charta die Verpflichtung zur Einrichtung eines „objektiven“, „verlässlichen“ und „zugänglichen“ Systems zur Erfassung der täglichen Arbeitszeit ihrer Arbeitnehmer. Dagegen hatte sie verstoßen. Denn sie hatte kein entsprechendes System eingerichtet und daher auch keine objektiven und verlässlichen Daten vorlegen können, anhand derer sich die Arbeitszeiten des Bauhelfers nachvollziehen ließen. Das Bautagebuch erfüllte die geforderten Bedingungen nicht.
Hinweis: Es ist nur eine Entscheidung eines erstinstanzlichen ArbG. Vieles spricht dafür, dass das ArbG diese Entscheidung so nicht hätte erlassen dürfen. Andererseits wird in Kürze die Verpflichtung zur Arbeitszeiterfassung kommen – und darauf sollten sich Arbeitgeber besser schon jetzt einstellen.
Quelle: ArbG Emden, Urt. v. 20.02.2020 – 2 Ca 94/19
Wer seine Arbeitnehmerrechte gerichtlich durchsetzen möchte bzw. muss, sollte tunlichst darauf achten, sich nicht selbst unnötig ein Beinchen zu stellen. Der folgende Fall des Landesarbeitsgerichts Mecklenburg-Vorpommern (LAG) zeigt recht anschaulich, wie man sich unnötigen finanziellen Schaden zufügen kann.
Eine Callcenteragentin beantragte Urlaub für die Zeit vom 27.07.2019 bis zum 09.08.2019. Die Arbeitgeberin gewährte jedoch lediglich den Urlaub für die erste Woche bis zum 02.08.2019 und kündigte zudem das Arbeitsverhältnis ordentlich zum 31.07.2019. Nicht nur gegen die Kündigung klagte die Arbeitnehmerin – sie wollte zusätzlich mit einer einstweiligen Verfügung erreichen, dass die Arbeitgeberin verurteilt wird, ihr auch für den Zeitraum vom 05.08.2019 bis 09.08.2019 Urlaub zu gewähren. Im Gerichtsverfahren verglichen sich die Parteien, so dass hier nur noch offenblieb, wer die Gerichtskosten des Rechtsstreits, insbesondere in der Berufungsinstanz, zu tragen hatte.
Und in dieser Frage entschied das LAG zu Lasten der Callcenteragentin. Diese hatte die Gerichtskosten zu tragen, da sie den Rechtsstreit voraussichtlich verloren hätte. Einstweilige Verfügungen seien schließlich nur zulässig, wenn durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung des Rechts einer Partei vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Für einen solchen Fall hätte der Arbeitnehmerin jedoch ein Urlaubsanspruch im August 2019 zustehen müssen. Mit der Kündigung zum Ende Juli war aber nicht nur das Arbeitsverhältnis, sondern auch der entsprechende Urlaubsanspruch nichtig. Wer sich in der rechtlichen Logik so verheddert, dass ein gerichtlicher Erfolg aussichtslos wird, muss leider auch für die entstandenen Kosten geradestehen.
Hinweis: Hat ein Arbeitnehmer also eine Klage gegen eine Kündigung erhoben, kann er in der Regel nicht im Wege einer einstweiligen Verfügung für einen Zeitraum nach Ablauf der Kündigungsfrist einen Urlaubsanspruch durchsetzen – auch nicht, wenn er eine Kündigungsschutzklage eingereicht hat.
Quelle: LAG Mecklenburg-Vorpommern, Beschl. v. 12.09.2019 – 5 SaGa 6/19
Die Frage, ob das Arbeitszeitgesetz auch von Erziehern eingehalten werden muss, die in alternierender Betreuung von Wohngruppen tätig sind, musste das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) kürzlich klären.
Eine Arbeitgeberin betrieb Wohngruppen, in denen Kinder und Jugendliche von insgesamt drei Erziehern betreut wurden, die jeweils zwei bis sieben Tage durchgehend in der Gruppe wohnten. Dann gab die Aufsichtsbehörde der Wohngruppenbetreiberin auf, das Arbeitszeitgesetz einzuhalten. Denn nach dem Arbeitszeitgesetz gilt in Deutschland als Regel der Achtstundentag, und nach einer Beendigung der Tätigkeit darf ein Arbeitnehmer elf Stunden nicht beschäftigt werden. Gegen den entsprechenden Bescheid klagte die Arbeitgeberin schließlich.
Doch die Gerichte – und schließlich auch das BVerwG – waren der Auffassung, dass die Anwendbarkeit des Arbeitszeitgesetzes nicht ausgeschlossen sei. Zwar gibt es eine Ausnahmeregelung im Arbeitszeitgesetz für Arbeitnehmer, die in häuslicher Gemeinschaft mit den ihnen anvertrauten Personen zusammenleben und sie eigenverantwortlich erziehen, pflegen oder betreuen. Diese Regelung setzt aber voraus, dass die Erzieher in häuslicher Gemeinschaft mit den ihnen anvertrauten Personen zusammenleben. Ein solches Zusammenleben gab es hier jedoch nicht. Das Zusammenleben war nicht auf persönliche Kontinuität und nahezu permanente Verfügbarkeit eines Arbeitnehmers angelegt.
Hinweis: Das Urteil ist ein Paukenschlag für Sozialträger. Denn nun ist klar, dass das Arbeitszeitgesetz auch auf solche Erzieher anzuwenden ist, die im Rahmen der Betreuung von Kindern und Jugendlichen in Wohngruppen tätig sind und dort übernachten.
Das grenzüberschreitende Arbeiten weitet sich immer mehr aus. Das bedeutet auch ein Problem für das Betriebsverfassungsrecht; denn wann muss ein deutscher Betriebsrat angehört werden, wenn der Arbeitnehmer bereits seit Jahren im Ausland arbeitet?
Im Fall des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen ging um einen weltweit tätigen Konzern der Öl- und Erdgasindustrie. Eines der Konzernunternehmen hatte in Deutschland seinen Betriebssitz und organisierte den gesamten europäischen Bohrbetrieb. Außerdem wurden dort administrative Tätigkeiten durchgeführt, wie zum Beispiel die Buchhaltung und das Personalmanagement für Europa. Auch befand sich ein Betriebsrat in dieser Gesellschaft. Ein Arbeitnehmer, der seit 1978 als Bohranlagenmanager bei dieser deutschen Gesellschaft beschäftigt war, arbeitete seit 1999 durchgehend im Ausland. Nun erhielt er die Kündigung. Der Bohranlagenmanager klagte dagegen und meinte, der Betriebsrat seiner Arbeitgeberin in Deutschland hätte vor der Kündigung beteiligt werden müssen. Und damit lag er völlig richtig.
Aus dem persönlichen Geltungsbereich des Betriebsverfassungsgesetzes (BetrVG) folgt, dass grundsätzlich nur solche Arbeitnehmer der Geltung des BetrVG unterfallen, die in inländischen Betrieben beschäftigt sind. Von diesem Grundsatz ist für im Ausland beschäftigte Arbeitnehmer dann eine Ausnahme zu machen, wenn der inländische Betrieb auf diese Arbeitnehmer eine sogenannte ausstrahlende Wirkung hat. Dabei kommt es darauf an, ob die Auslandstätigkeit des Arbeitnehmers dem Betriebszweck des inländischen Betriebs dient und er dem Direktionsrecht des inländischen Betriebsinhabers unterfällt. Das war hier der Fall – die Dauer des Auslandseinsatzes hat dabei keine entscheidende Rolle gespielt.
Hinweis: Vor jeder Kündigung ist zunächst einmal der Betriebsrat anzuhören. Viele Kündigungen sind alleine schon deshalb unwirksam, weil der Betriebsrat nicht ordnungsgemäß beteiligt worden ist.
Quelle: LAG Niedersachsen, Urt. v. 09.11.2017 – 5 Sa 1006/16
Wenn auf ein Arbeitsverhältnis verschiedene Vertragsgrundlagen Anwendung finden, kann dieser Umstand zu Problemen führen, die in den meisten Fällen jedoch zugunsten des Arbeitnehmers gelöst werden.
In diesem Fall des Bundesarbeitsgerichts ging es um einen Masseur in einem Senioren- und Pflegezentrum. In seinem Arbeitsvertrag stand, dass er nach dem Bundesangestelltentarifvertrag (BAT) bezahlt werden sollte. Dann schloss die Arbeitgeberin mit ihrem Betriebsrat eine Betriebsvereinbarung. Die Bestimmungen dieser Betriebsvereinbarung verwiesen auch auf die Bestimmungen des BAT, die automatisch Bestandteil der Arbeitsverträge werden sollten. Dann wurde die Betriebsvereinbarung jedoch durch die Arbeitgeberin gekündigt, und diese meinte nun, den BAT bzw. den nachfolgenden Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst (TVöD) nicht anwenden zu müssen. Der Arbeitnehmer sah das anders und wollte auch weiterhin die Bezahlung aufgrund des TVöD – wegen der Verweisung im Arbeitsvertrag. Und das zu Recht.
Die Arbeitgeberin war verpflichtet, den Masseur nach der jeweiligen Entgelttabelle des TVöD zu vergüten. Die Betriebsvereinbarung hatte diese Vereinbarung nicht abgeändert.
Hinweis: Der Fall zeigt deutlich, dass ein Arbeitnehmer sich in solchen Fällen fast immer auf die für ihn günstigere Regelung berufen kann. Denn eine im Arbeitsvertrag vereinbarte Vergütung, die sich an einen Tarifvertrag anlehnt, kann nicht durch eine Betriebsvereinbarung zu Lasten des Arbeitnehmers geändert werden.
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