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Schlagwort: Beschwerde

Kein Zwangsgeld: Erscheint ein Kleinkind nicht vor Gericht, lässt eine Gesetzeslücke dies ungeahndet

Wenn Familiengerichte über Sorge- und Umgangsfragen zu entscheiden haben, müssen sie sich vom betroffenen Kind einen persönlichen Eindruck verschaffen. Dass dies auch bei kleinen Kindern unverzichtbar sein kann, beweist der folgende Fall des Oberlandesgerichts Karlsruhe (OLG), bei dem die Mutter sich nicht sehr kooperativ zeigte.

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Versagung der Scheidung: Trennungsdepressionen erfüllen nicht die Voraussetzungen für die Anwendung der Härteklausel

Es gibt zwar Konstellationen, in denen eine Ehe gegen den Willen einer der beiden Parteien nicht geschieden wird, weil dies für sie eine besondere Härte bedeuten würde. Im folgenden Fall konnte das Oberlandesgericht Bamberg (OLG) die dafür notwendigen Voraussetzungen trotz einer vorliegenden Trennungsdepression jedoch nicht erkennen.

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Musikerin klagt erfolgreich: Wenige Negativkommentare im Netz ergeben noch lange keinen „riesigen Shitstorm“

Für Berufsgruppen, die auf öffentliche Berichterstattung im Netz angewiesen sind, können unwahre Behauptungen schnell zur Existenzfrage werden. Und somit wurde die Behauptung, eine Musikerin wurde im Netz Opfer eines „riesigen Shitstorms“, für eben jene Anlass, das Oberlandesgericht Frankfurt am Main (OLG) mit einer Richtigstellung zu betrauen.

Es ging in diesem Fall um eine Sängerin und Mitbegründerin einer Band. Die Mitarbeiterin einer Presseinternetseite hatte in einem Artikel über die Frau behauptet, diese hätte einen „riesigen Shitstorm“ im Internet erhalten. Da die Musikerin dies völlig anders sah, ging sie gegen diese Behauptung vor.  Während das erstinstanzliche Landgericht den darauf bezogenen, auf Unterlassung gerichteten Eilantrag zurückgewiesen hatte, fiel die dagegen gerichtete Beschwerde vor dem OLG für die Künstlerin positiver aus.

Es handelte sich nach eingehender Prüfung in den Augen des OLG hierbei nämlich um eine sogenannte unwahre Tatsachenbehauptung. Der Begriff „Shitstorm“ bezeichnet nach dem Verständnis eines durchschnittlichen Lesers einen Sturm der Entrüstung. Nur wenige negative Stellungnahmen reichen hingegen nicht aus, um diese als „riesigen Shitstorm“ zusammenzufassen. Hier hatte sich zwar ein User kritisch geäußert, und es gab zudem einen kritischen Bericht auf einem anderweitigen Portal nebst Kommentar. Darin erschöpften sich allerdings bereits die negativen Reaktionen, abgesehen von einem weinenden und zwei erstaunten Smileys.

Hinweis: Vor jedem Posting im Internet sollten die Folgen bedacht werden. Eine Abmahnung ist schnell kassiert, und dann kann im Regelfall nur noch der Rechtsanwalt helfen.

Quelle: OLG Frankfurt am Main, Urt. v. 11.05.2021 – 16 W 8/21

Betreuung der Eltern: Eine Beschwerdebefugnis besitzt, wer auch die Interessen des Betreuten im Blick hat

Besteht die Notwendigkeit, für einen Elternteil einen Betreuer zu bestellen, kann es problematisch werden, wenn das Gericht eines der Kinder zum Betreuer bestellt. Ein anderes Kind könnte Aktivitäten befürchten, die mehr zum Wohl des Betreuers als des Betreuten erfolgen. Was in solchen Situationen zu machen ist, zeigt der folgende Fall des Bundesgerichtshofs (BGH).

In dem ihm vorgelegten Fall wurde für die an Demenz erkrankte Mutter eine Betreuung durch einen ihrer Söhne eingerichtet – unter anderem mit dem Aufgabenkreis Vermögenssorge. Der andere Sohn war damit nicht einverstanden; er verlangte stattdessen einen familienfremden und neutralen Betreuer. Da das Amtsgericht seinem Anliegen nicht entsprach und den Betreuerwechsel ablehnte, legte er Beschwerde ein. Diese wurde verworfen, da der Sohn nicht beschwerdeberechtigt sei. Daraufhin wendete er sich an den BGH. Der gab ihm Recht.

Zwar können Angehörige nicht ohne weiteres Beschwerde gegen die Bestellung eines Betreuers einlegen. Insbesondere steht das Recht nicht dem zu, der geltend macht, er werde selbst möglicherweise durch Handlungen des bestellten Betreuers geschädigt, zum Beispiel weil dessen Verhalten in seine spätere erbrechtliche Position eingreife. Wenn er aber geltend machen kann, im Interesse des Betreuten zu handeln, liegt durchaus eine notwendige Beschwerdebefugnis vor. Dabei ist – und dies betont der BGH hervorhebend – nicht zu differenzieren, ob der Angehörige nur oder im Wesentlichen im Interesse des Betreuten handelt. Es reicht, wenn er dessen Interessen mitverfolgt. Durchaus darf er – sogar überwiegend – im eigenen Interesse handeln. Deshalb wurde der Beschluss über die Verwerfung des Antrags auf Bestellung eines neuen Betreuers aufgehoben und die Sache an die Vorinstanz zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen.

Hinweis: Unerwünschte Betreuungen können durch rechtzeitig erstellte Vorsorgevollmachten vermieden werden.

Quelle: BGH, Beschl. v. 08.01.2020 – XII ZB 410/19

Thema: Familienrecht

Schutz von Hilfebedürftigen: Vor der Entscheidung über die Erweiterung einer Betreuung ist ein Verfahrensbeistand zu bestellen

Wer sich wegen einer psychischen Krankheit oder einer körperlichen, geistigen oder seelischen Behinderung als Volljähriger um seine Angelegenheiten ganz oder teilweise nicht selbst kümmern kann, erhält einen Betreuer. Geprüft wird in der Folge in Abständen bzw. bei Bedarf, ob die Betreuung aufgehoben werden kann, fortbestehen muss und ob sie zu erweitern oder einzuschränken ist. Dabei gelten strenge Regeln, die die Rechtsprechung immer wieder beschäftigen – wie im Folgenden den Bundesgerichtshof (BGH).

Für den hier Betroffenen war eine Betreuung eingerichtet worden, weil sein IQ bei lediglich 56 lag. In der Folge beantragte die Betreuerin die Erweiterung dieser Betreuung, der Betreute stimmte dieser zu. Aus der zunächst nur eingeschränkten Betreuung wurde daraufhin eine sehr weitgehende (Vertretung in Nachlassangelegenheiten/Entgegennahme und Öffnen sowie Anhalten der Post/Vertretung gegenüber den Behörden, Versicherungen, Renten- und Sozialleistungsträgern sowie Gerichten/Vermögenssorge und Gesundheitssorge einschließlich hiermit verbundener Aufenthaltsbestimmung). Gegen diese Erweiterung legte der Betroffene trotz seiner zunächst erfolgten Einverständniserklärung Beschwerde ein. Vor dem Amts- und dem Landgericht hatte er keinen Erfolg, wohl aber vor dem BGH.

Wenn und soweit in wesentlichen Fragen der Betroffene selbst und allein nicht sicher in der Lage ist, die Dinge zu überblicken, und er keinen Anwalt oder sonstigen Verfahrensbevollmächtigten hat, ist ihm gesetzlich ein Verfahrensbeistand zu bestellen. Das mag zwar lästig sein, entspricht aber dem gesetzlichen Schutz, der dem Hilfsbedürftigen zu gewähren ist. Wenn – so der BGH – wie hier eine so umfassende Erweiterung der Betreuung im Raum steht, gilt dies in besonderem Maße. Deshalb wurde die Vorentscheidung aufgehoben und an die Vorinstanz zur erneuten Verhandlung zurückverwiesen.

Hinweis: Der Fall zeigt, wie im Betreuungsrecht eine rechtlich fundierte Beratung von Bedeutung ist.

Quelle: BGH, Beschl. v. 11.12.2019 – XII ZB 249/19

Thema: Familienrecht

Verbesserte Verhältnisse: Wer zwischen den Instanzen zu Geld kommt, sollte nicht auf erneute Verfahrenskostenhilfe zählen

Wer finanziell schlecht dasteht und ein gerichtliches Verfahren führen muss, um seine Ansprüche durchzusetzen, erhält Prozess- bzw. Verfahrenskostenhilfe. Die Kosten des gerichtlichen Verfahrens werden dann ganz oder teilweise vom Staat übernommen. Dass es dabei aber einige Besonderheiten zu beachten gibt, zeigt der folgende Fall des Bundesgerichtshofs (BGH) deutlich auf.

Eine Frau verlangte von ihrem Mann Zugewinnausgleich. Für das gerichtliche Verfahren beantragte sie bei Gericht die Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe für den eigentlichen Antrag, den sie erst einreichte, als das Gericht diese Unterstützung bewilligt hatte. Als sie das Verfahren in erster Instanz verlor, wollte sie in die Beschwerde gehen und beantragte daher zunächst die Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren. Diese aber wurde ihr verweigert. In der Zwischenzeit hatten sich ihre wirtschaftlichen Verhältnisse nämlich dahingehend verbessert, dass sie nicht mehr bedürftig war. Wo hier die Zeit scheinbar Besserung brachte, wurde sie für die Frau in einem anderen Gesichtspunkt zur Falle: Zwischen der Ablehnung des Antrags auf Zugewinnausgleich und dem Zeitpunkt der Versagung der Verfahrenskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren war so viel Zeit vergangen, dass die Frist zur Einlegung einer Beschwerde abgelaufen war. Dies versuchte die Frau zu „retten“, indem sie die Wiedereinsetzung in der vorigen Stand beantragte. Sie argumentierte, dass sie habe annehmen dürfen, für die zweite Instanz auch Verfahrenskostenhilfe zu erhalten, nachdem sie ihr für die erste Instanz bewilligt worden sei. Deshalb sei die Frist ohne ihr Verschulden abgelaufen.

Da schüttelten die Richter des BGH jedoch die Köpfe. Wären die finanziellen Verhältnisse in der zweiten Instanz in etwa dieselben gewesen wie in der ersten, sei der Standpunkt der Frau zutreffend. Hier war sie aber durch einen Immobilienverkauf zu Geld gekommen. Wegen dieser erheblichen Veränderung ihrer Situation habe sie selbst einsehen müssen, dass ihr für das weitere Verfahren keine staatliche Unterstützung zustehe.

Hinweis: Dumm gelaufen, denn wegen der Fristversäumnis kann die Frau gegen die Erstentscheidung nun nicht mehr angehen und erhält somit final auch keinen Zugewinnausgleich.

Quelle: BGH, Beschl. v. 11.09.2019 – XII ZB 120/19

Thema: Familienrecht

Fehlerhafte Rechtsmittelbelehrung: Sachkundigen Anwälten müssen verfahrensrechtliche Ungereimtheiten auffallen

Erhält man einen Bescheid oder ein Urteil, an dessen Ende sich ein Hinweis befindet, was gegen die Entscheidung der Behörde oder des Gerichts getan werden kann, handelt es sich dabei um die sogenannte Rechtsmittelbelehrung. Rechtsunkundige dürfen sich auf die Richtigkeit verlassen – für Rechtsanwälte gilt jedoch etwas anderes.

Es ging um eine Beschwerde gegen einen familienrechtlichen Beschluss auf Zahlung von Trennungsunterhalt. In dem Beschluss fand sich eine Rechtsbehelfsbelehrung, nach der eine Beschwerde binnen einer Frist von einem Monat beim Amtsgericht (AG) einzulegen sei. Das war allerdings nicht korrekt, da die richtige Frist lediglich zwei Wochen beträgt und die Beschwerde beim Oberlandesgericht (OLG) einzureichen ist. Das wusste der beauftragte Rechtsanwalt aber nicht, schöpfte die Monatsfrist fast vollständig aus und legte Beschwerde am AG ein. Das leitete die Beschwerde an das OLG weiter. Dieses meinte nun, die Beschwerde sei verspätet. Der Bundesgerichtshof stellte sich hinter das OLG und meinte ebenfalls, dass die Beschwerde verspätet eingereicht worden sei und sich der Rechtsanwalt nicht auf die falsche Rechtsmittelbelehrung verlassen durfte.

Auch ein Rechtsanwalt darf grundsätzlich auf die Richtigkeit einer durch das Gericht erteilten Rechtsbehelfsbelehrung vertrauen. Es muss aber von ihm erwartet werden dürfen, dass er die Grundzüge des Verfahrensrechts und das Rechtsmittelsystem in der jeweiligen Verfahrensart kennt. Das Vertrauen in die Richtigkeit einer Rechtsbehelfsbelehrung kann er deshalb nicht uneingeschränkt, sondern nur in solchen Fällen in Anspruch nehmen, in denen die inhaltlich fehlerhafte Rechtsbehelfsbelehrung zu einem unvermeidbaren, zumindest aber zu einem nachvollziehbaren und daher verständlichen Rechtsirrtum des Rechtsanwalts geführt hat. Hier hätte der Rechtsanwalt wissen müssen, dass die Rechtsbelehrung falsch war. Die Folge: Die Beschwerde war zu spät eingelegt worden.

Hinweis: Die Versäumung einer Rechtsmittelfrist ist auch in den Fällen einer offensichtlich unrichtigen Rechtsbehelfsbelehrung nicht immer verschuldet. Bei einem sachkundigen Rechtsanwalt kann allerdings etwas anderes gelten.

Quelle: BGH, Beschl. v. 24.01.2018 – XII ZB 133/17

Thema: Sonstiges

Grenz(wert)fälle: Das Alkoholverbot für Fahranfänger ist nicht so „absolut“, wie es sich nennt

Wie absolut das sogenannte absolute Alkoholverbot für Fahranfänger in der Realität bemessen werden kann, musste das Kammergericht Berlin (KG) vor kurzem erneut bewerten.

Ein 20 Jahre alter Fahrzeugführer, der sich noch in der Probezeit befand, geriet in eine Polizeikontrolle. Auf die Frage, ob er Alkohol konsumiert habe, antwortete er, dass er in der Nacht zuvor Alkohol getrunken habe. Daraufhin erfolgte ein Atemalkoholtest, der einen Wert von 0,05 mg/l ergab. Der Betroffene wurde wegen des Verstoßes gegen das allgemein geltende Alkoholverbot für Fahranfänger zu einer Geldbuße von 500 EUR und einem einmonatigen Fahrverbot verurteilt.

Das KG hat den Betroffenen auf dessen Beschwerde hin jedoch freigesprochen. Denn wo die pure Wortinterpretation Recht zu haben scheint, widerspricht die Wissenschaft und auch das Gericht. Denn dieses nimmt aufgrund entsprechender Expertenmeinungen ein Einsetzen der alkoholischen Wirkung im menschlichen Organismus erst ab einer Blutalkoholkonzentration von 0,2 ‰ oder einer Atemalkoholkonzentration von 0,1 mg/l an. Die hatte der Betroffene mit der gemessenen Atemalkoholkonzentration von 0,05 mg/l aber nicht erreicht.

In seiner Begründung bezieht sich der Senat zudem darauf, dass nach derzeitigem Stand der Wissenschaft Grenzwerte von 0,0 ‰ bzw. 0,0 mg/l, die das Einhalten des „absoluten“ Alkoholverbots belegen würden, nicht bestimmbar sind. Aus diesem Grund hatte die Alkoholkommission zum Alkoholverbot für Fahranfänger einst auch die tatsächlich messbaren Grenzwerte von 0,2 ‰ bzw. 0,1 mg/l empfohlen. Letztendlich folgt der Gesetzgeber in seiner Gesetzesbegründung damit der wissenschaftlichen Ansicht, dass eine Alkoholwirkung unterhalb von 0,2 ‰ bzw. 0,1 mg/l sowohl aus messtechnischen als auch aus medizinischen Gründen grundsätzlich ausscheidet.

Hinweis: Vorsicht – ab welchem Grenzwert eine Alkoholwirkung festzustellen ist, wird in der Rechtsprechung nicht einheitlich beurteilt! Wie das KG haben auch das Amtsgericht (AG) Langenfeld und das AG Biberbach entschieden. Demgegenüber hat das AG Herne einen Betroffenen freigesprochen, bei dem ein Atemalkoholwert von 0,13 mg/l festgestellt wurde. Diese Entscheidung beruht allerdings auf Angaben eines von dem Gericht angehörten Sachverständigen, der den Grenzwert für das Einsetzen der alkoholischen Wirkung erst bei 0,26 ‰ annahm.

Quelle: KG, Beschl. v. 15.02.2016 – 3 Ws (B) 538/15 – 122 Ss 142/15 
Thema: Verkehrsrecht