Skip to main content

Schlagwort: Bundesgerichtshof

Die entnervte Nachbarschaft: Häusliches Musizieren ist als grundrechtlich geschützte freie Entfaltung in Grenzen hinzunehmen

Dass nicht nur Hobbymusiker, sondern auch Musikprofis die Geduldsfäden ihrer Nachbarn extrem anspannen können, scheint logisch – zumindest, wenn die Musizierenden in einer reinen Wohngegend üben. Gerade Doppelhaushälften und Reihenhäuser können dann Probleme verursachen, wenn Immissionen aus dem Nachbarhaus herüberdringen. Dass solche Fälle nicht einfach zu entscheiden sind, zeigt der Fakt, dass der folgende Fall bis vor den Bundesgerichtshof (BGH) ging.

Der Eigentümer des Reihenhauses in einem reinen Wohngebiet war Berufstrompeter und übte sowohl im Erdgeschoss als auch in einem Probenraum im Dachgeschoss. Schließlich verlangten seine Nachbarn von ihm das Ergreifen von Maßnahmen, damit das Trompetenspiel bei ihnen im Haus nicht mehr zu hören ist.

Der BGH hat hierzu durchaus differenzierte Meinungen von sich gegeben. Bei einem richterlichen Ortstermin war festgestellt worden, dass das Trompetenspiel im Dachgeschoss im Wohnzimmer der Kläger im Erdgeschoss nicht und in deren Schlafzimmer im Dachgeschoss nur leise zu hören war. Übte der Trompeter allerdings in seinem Wohnzimmer im Erdgeschoss, war sein Spiel im angrenzenden Wohnzimmer der Kläger in „schwacher Zimmerlautstärke“ zu vernehmen. Ein Unterlassungsanspruch existiert aber nicht, wenn die Beeinträchtigungen nur unwesentlich sind. Was unwesentlich oder gar wesentlich ist, muss stets im Einzelfall festgelegt werden.

Das häusliche Musizieren gehört zu den sozialadäquaten und üblichen Formen der Freizeitbeschäftigung und ist in gewissen Grenzen hinzunehmen. Es bildet einen wesentlichen Teil des Lebensinhalts und kann von erheblicher Bedeutung für die Lebensfreude sowie das Gefühlsleben sein und gehört zu der grundrechtlich geschützten freien Entfaltung der Persönlichkeit. Dabei hat ein Berufsmusiker, der sein Instrument im häuslichen Bereich spielt, nicht mehr, aber auch nicht weniger Rechte als ein Hobbymusiker – und umgekehrt. Wie die zeitliche Regelung im Einzelnen auszusehen hat, richtet sich nach den Umständen des Einzelfalls. Eine Beschränkung auf zwei bis drei Stunden an Werktagen und ein bis zwei Stunden an Sonn- und Feiertagen (jeweils unter Einhaltung der üblichen Ruhezeiten in der Mittags- und Nachtzeit) kann als grober Richtwert dienen. Ein nahezu vollständiger Ausschluss für die Abendstunden und das Wochenende kommt jedoch nicht in Betracht. Dies ließe nämlich außer Acht, dass Berufstätige und Schüler häufig nur abends und am Wochenende Zeit für das Musizieren finden. Der BGH musste die Angelegenheit an die Vorinstanz zurückverweisen, damit diese die Zeiten, zu denen musiziert werden darf, abschließend festlegen kann.

Hinweis: Selbstgemachte Musik und insbesondere Trompetenspiel im eigenen Reihenhaus darf also nicht völlig verboten werden und gehört zu der grundrechtlich geschützten freien Entfaltung der Persönlichkeit.

Quelle: BGH, Urt. v. 26.10.2018 – V ZR 143/17

Thema: Mietrecht

Fehlerhafte Rechtsmittelbelehrung: Sachkundigen Anwälten müssen verfahrensrechtliche Ungereimtheiten auffallen

Erhält man einen Bescheid oder ein Urteil, an dessen Ende sich ein Hinweis befindet, was gegen die Entscheidung der Behörde oder des Gerichts getan werden kann, handelt es sich dabei um die sogenannte Rechtsmittelbelehrung. Rechtsunkundige dürfen sich auf die Richtigkeit verlassen – für Rechtsanwälte gilt jedoch etwas anderes.

Es ging um eine Beschwerde gegen einen familienrechtlichen Beschluss auf Zahlung von Trennungsunterhalt. In dem Beschluss fand sich eine Rechtsbehelfsbelehrung, nach der eine Beschwerde binnen einer Frist von einem Monat beim Amtsgericht (AG) einzulegen sei. Das war allerdings nicht korrekt, da die richtige Frist lediglich zwei Wochen beträgt und die Beschwerde beim Oberlandesgericht (OLG) einzureichen ist. Das wusste der beauftragte Rechtsanwalt aber nicht, schöpfte die Monatsfrist fast vollständig aus und legte Beschwerde am AG ein. Das leitete die Beschwerde an das OLG weiter. Dieses meinte nun, die Beschwerde sei verspätet. Der Bundesgerichtshof stellte sich hinter das OLG und meinte ebenfalls, dass die Beschwerde verspätet eingereicht worden sei und sich der Rechtsanwalt nicht auf die falsche Rechtsmittelbelehrung verlassen durfte.

Auch ein Rechtsanwalt darf grundsätzlich auf die Richtigkeit einer durch das Gericht erteilten Rechtsbehelfsbelehrung vertrauen. Es muss aber von ihm erwartet werden dürfen, dass er die Grundzüge des Verfahrensrechts und das Rechtsmittelsystem in der jeweiligen Verfahrensart kennt. Das Vertrauen in die Richtigkeit einer Rechtsbehelfsbelehrung kann er deshalb nicht uneingeschränkt, sondern nur in solchen Fällen in Anspruch nehmen, in denen die inhaltlich fehlerhafte Rechtsbehelfsbelehrung zu einem unvermeidbaren, zumindest aber zu einem nachvollziehbaren und daher verständlichen Rechtsirrtum des Rechtsanwalts geführt hat. Hier hätte der Rechtsanwalt wissen müssen, dass die Rechtsbelehrung falsch war. Die Folge: Die Beschwerde war zu spät eingelegt worden.

Hinweis: Die Versäumung einer Rechtsmittelfrist ist auch in den Fällen einer offensichtlich unrichtigen Rechtsbehelfsbelehrung nicht immer verschuldet. Bei einem sachkundigen Rechtsanwalt kann allerdings etwas anderes gelten.

Quelle: BGH, Beschl. v. 24.01.2018 – XII ZB 133/17

Thema: Sonstiges

Umgangsrecht verwirkt: Großeltern, die ihre Enkel in Loyalitätskonflikte bringen, ziehen meist den Kürzeren

Eltern haben automatisch ein Recht auf Umgang mit ihren Kindern, ohne dass es dazu einer gerichtlichen Regelung bedarf.

Seit 1998 haben Großeltern einen gesetzlich verbrieften Anspruch auf den Umgang mit ihren Enkelkindern, wenn dieser dem Wohl des Kindes dient. Unter dieser Prämisse hatte sich nun der Bundesgerichtshof (BGH) mit der Frage zu beschäftigen, was passiert, wenn Eltern den Großeltern den Kontakt zu den Enkelkindern untersagen.

Das Verhältnis zwischen den Eltern, die mit ihren minderjährigen Kindern zusammenleben, und den Großeltern mütterlicherseits war sehr angespannt. Es kam zu einer Vereinbarung, nach der die Großeltern den Eltern ein zinsloses Darlehen zur Verfügung stellten und im Gegenzug Umgang mit den Kindern erhielten. Zur Rückzahlung sollte das Darlehen fällig werden, sobald die Eltern den Umgang nicht mehr gewährten. Auf den im weiteren Verlauf schriftlich erfolgten Vorwurf der Großeltern an das Jugendamt mit dem Betreff: „Vorfälle von seelischer Misshandlung der Enkelkinder (…)“ folgte zuerst ein Sachverständigengutachten, das die Vorwürfe als unberechtigt einstufte, und sodann ein Kontaktverbot zwischen den Großeltern und ihren Enkeln. Das wollten die Eltern der Mutter nicht hinnehmen, so dass sie den Kontakt schließlich gerichtlich einforderten.

Der Antrag wurde abgewiesen: Ein Recht auf Umgang zwischen Großeltern und Enkeln besteht und kann gerichtlich durchgesetzt werden, sofern dieser Umgang dem Wohl des Kindes dient. Das Recht auf Aufrechterhaltung dieser Bindung setzt jedoch voraus, dass der Fortbestand des Kontakts der Entwicklung des Kindes förderlich ist. Sind Eltern und Großeltern hingegen so stark zerstritten, dass dies die Kinder bzw. Enkelkinder in Loyalitätskonflikte bringt, fehlt es genau an diesem entscheidenden Gesichtspunkt. Und da den Eltern nun einmal der Erziehungsvorrang zukommt, haben die Großeltern in solchen Fällen das Nachsehen.

Hinweis: Der dem BGH vorliegende Fall erinnert mit der skurrilen Vereinbarung „zinsloses Darlehen gegen Enkelkontakt“ eher an Serienplots als an Regelungen zwischen erwachsenen Menschen. Anschwärzende Schreiben – wie das der Großeltern an das Jugendamt – kommen hierzulande in der Realität hingegen öfter vor. Großeltern tun gut daran, solche Schreiben nicht zu verschicken, da sie damit sehr schnell den Kürzeren ziehen.

Quelle: BGH, Beschl. v. 12.07.2017 – XII ZB 350/16

Thema: Familienrecht

GbR ist keine Vermietermehrheit: Eigenbedarfskündigungen durch Gesellschafter wird der Riegel vorgeschoben

Eigenbedarf kann nicht jeder als Kündigungsgrund geltend machen.

Im Wohnraummietrecht muss ein Vermieter für eine Kündigung einen Grund haben – dieser kann z.B. geltend gemachter Eigenbedarf sein. In dem hier entschiedenen Fall war das Gebäude nicht etwa durch eine Privatperson, sondern durch ein Unternehmen – eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR) aus dem Immobilienbereich – erworben worden. Einer der Gesellschafter hatte daraufhin Eigenbedarf zugunsten seiner Tochter angemeldet und dem Wohnungsmieter das seit 1985 bestehende Mietverhältnis gekündigt.

Das Landgericht München I (LG) hat jedoch die Räumungsklage abgewiesen und widerspricht damit eindeutig dem Bundesgerichtshof, der den Kauf durch eine GbR mit dem Erwerb durch eine sogenannte einfache Vermietermehrheit gleichsetzt, der solche Eigenbedarfskündigungen durchaus zustehen. Das LG sieht diese Vergleichbarkeit als praxisfern an, da die besonderen Konstellationen einer GbR die Mieterrechte erheblich beschneiden können. Eine solche Form des Eigenbedarfs der Gesellschafter ist nicht mit dem gesetzlichen Schutzzweck vereinbar, der Mieter vor einem unkalkulierbaren Risiko von Eigenbedarfskündigungen durch einen nicht überschaubaren Personenkreis bewahren soll.

Hinweis: Eine GbR kann nach dieser Entscheidung grundsätzlich keinen Eigenbedarf zugunsten eines ihrer Gesellschafter oder deren Angehörigen geltend machen.

Quelle: LG München I, Urt. v. 07.10.2015 – 14 S 2969/15
Thema: Mietrecht