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Schlagwort: BVerfG

Vermietereilantrag abgelehnt: Bis zur Entscheidung in der Hauptsache birgt Berliner Mietendeckel keine irreversiblen Nachteile

Der Berliner Mietendeckel genießt zu Recht bundesweite Aufmerksamkeit. Denn nur eines ist derzeit sicher – und zwar, dass er rechtlich noch lange nicht auf festen Beinen steht. Auch wenn das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) nun einen Eilantrag gegen das Gesetz zur Mietenbegrenzung im Wohnungswesen in Berlin abgelehnt hat, heißt das noch lange nicht, dass dieses Gesetz generell auch rechtmäßig ist.

 

Eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts – aus zwei Gesellschaftern bestehend –  war Eigentümerin und Vermieterin von 24 Wohnungen in einem darlehensfinanzierten Berliner Haus. Das Haus sollte insbesondere auch der Altersvorsorge der beiden Gesellschafter dienen. Mit Inkrafttreten des neuen Gesetzes zur Begrenzung der Mieten in Berlin müsste die Gesellschaft nach ihren Darlegungen jedenfalls für 13 ihrer Wohnungen die Miete absenken. Deshalb zog sie gegen das Gesetz vor das BVerfG.

Das BVerfG hat den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung jedoch abgelehnt. Wird die Aussetzung des Inkrafttretens eines Gesetzes begehrt, ist bei der grundsätzlich durchzuführenden Folgenabwägung ein besonders strenger Maßstab anzulegen. Die für eine vorläufige Regelung sprechenden Gründe müssen in einem solchen Fall so schwer wiegen, dass sie den Erlass einer einstweiligen Anordnung unabdingbar machen und darüber hinaus besonderes Gewicht haben. Daher ist von entscheidender Bedeutung, ob die Nachteile irreversibel sind. Solche Gründe wurden in dem Antrag jedoch weder im Hinblick auf die eigene Situation noch für die Gesamtheit oder eine erhebliche Zahl der Vermieter aufgezeigt.

Hinweis: Zwar werden alle Vermieter Berlins in vergleichbarer Lage dazu gezwungen, ihre zunächst wirksam vereinbarten Mieten in bestehenden Mietverhältnissen auf das zulässige Maß abzusenken. Hier treten nach Ansicht der Richter grundsätzlich keine irreversiblen Schäden für den Fall ein, dass sich die Norm nach einer noch ausstehenden Entscheidung des BVerfG in der Hauptsache als verfassungswidrig erweist. Sie kann in diesem Fall die mit ihren Mietern vertraglich vereinbarten Beträge rückwirkend verlangen.

Quelle: BVerfG, Urt. v. 28.10.2020 – 1 BvR 972/20

zum Thema: Mietrecht

Streikmaßnahmen auf Firmenparkplatz: Bundesverfassungsgericht erteilt Verfassungsbeschwerden von Amazon eine Absage

Das allgemeine Verbot von Streikmaßnahmen auf dem Firmengelände gilt nicht ausnahmslos. Dass die Weigerung eines Unternehmens, sich einem Arbeitgeberverband anzuschließen, zu den möglichen Ausnahmen gehören kann, musste ein namhafter Arbeitgeber nicht nur durch alle Instanzen, sondern auch vor dem Bundesverfassungsgericht (BVerfG) lernen.

Es ging um einen Streik bei Amazon. Eine Gewerkschaft wollte, dass das Unternehmen Tarifverträge anerkennt. Deshalb versammelten sich Gewerkschaftsvertreter mit Amazon-Beschäftigten vor Schichtbeginn auf dem Betriebsparkplatz, den nahezu alle Beschäftigen nutzten. Bei einem Streik vor dem Parkplatzgelände wären die Arbeitnehmer schließlich sonst nicht erreicht worden. Trotzdem zog Amazon vor die Arbeitsgerichte und sogar bis zum Bundesarbeitsgericht (BAG). Das hatte aber bereits entschieden, dass Amazon die Streikmaßnahmen hinzunehmen hatte. Trotzdem wollte Amazon sich das nicht gefallen lassen und rief das BVerfG an.

Das BVerfG nahm jedoch die gegen die Entscheidung des BAG erhobenenen Verfassungsbeschwerden erst gar nicht zur Entscheidung an. Der Streik zielte nicht darauf ab, Amazon eine Mitgliedschaft im Arbeitgeberverband aufzudrängen. Das Ziel war die Anerkennung einschlägiger Flächentarifverträge. Nur weil ein Unternehmen keiner Arbeitgeberorganisation beitritt, hat es noch lange nicht das Recht, von jeglicher Betätigung der Gewerkschaften gänzlich verschont zu bleiben. Außerdem hatte das BAG das Recht der Gewerkschaften zu Arbeitskampfmaßnahmen richtig beurteilt. Die Gewerkschaften müssen ihre Rechte wahrnehmen können. Dazu gehört insbesondere die direkte persönliche Ansprache von Arbeitnehmern vor Antritt der Arbeit, um sie für den Streik zu mobilisieren.

Hinweis: Streiks können also auch auf dem Firmengelände, beispielsweise auf einem Parkplatz, rechtmäßig sein. Es kommt dabei aber natürlich auf den Einzelfall an. Können Arbeitnehmer jedoch andernfalls nicht vernünftig angesprochen werden, ist dies auf dem unternehmenseigenen Parkplatz durchaus zulässig.

Quelle: BVerfG, Beschl. v. 09.07.2020 – 1 BvR 719/19 und 1 BvR 720/19

Thema: Arbeitsrecht

Verfassungsbeschwerde abgelehnt: Einsatzverbot von Leiharbeitern als Streikbrecher verletzt keine Arbeitgeberrechte

Schon lange schwelt ein Konflikt über die Frage, ob Leiharbeitnehmer als Streikbrecher eingesetzt werden dürfen. Diese Frage ist nun vom Bundesverfassungsgericht (BVerfG) entschieden worden.

Eine Arbeitgeberin in der Unterhaltungsindustrie wendete sich gegen das im Jahr 2017 eingeführte Streikbrecherverbot des § 11 Abs. 5 Arbeitnehmerüberlassungsgesetz. Danach dürfen Leiharbeitnehmer nicht als Streikbrecher eingesetzt werden. Die Arbeitgeberin war  der Ansicht, das Verbot schränke sie in der Wahl ihrer Mittel im Arbeitskampf ein und verletzte sie daher in ihrem Recht, einem Arbeitgeberverband anzugehören oder eben auch nicht.

Das BVerfG jedoch nahm die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung an. Die Arbeitgeber werden durch die Regelung zwar in ihrer Entscheidung beschränkt, Leiharbeitskräfte einzusetzen, um sich gegen Streiks zu wehren. Die Regelung verbietet jedoch nicht den generellen Einsatz von Leiharbeitskräften im Betrieb, sondern nur den unmittelbaren oder mittelbaren Einsatz als Streikbrecher. Die damit vom Gesetzgeber verfolgten Ziele, Leiharbeitnehmern ein angemessenes Arbeitsverhältnis zu gewähren und eine funktionierende Tarifautonomie zu erhalten, sind dabei nämlich von erheblichem Gewicht.

Hinweis: Auch künftig werden Streiks durch die Gewerkschaften geschützt. Dabei sollten Arbeitnehmer aufpassen, dass keine Streikbrecher eingesetzt werden.

Quelle: BVerfG, Beschl. v. 19.06.2020 – 1 BvR 842/17

Thema: Arbeitsrecht

Generisches Maskulinum: Bundesverfassungsgericht erteilt Sparkassenkundin für gendergerechte Formularsprache eine Absage

Eine geschlechtergerechte Sprache erhitzt die Gemüter. Wie so oft, ist aller Anfang schwer – vor allem, wenn das eigene Sprachverhalten sich am sogenannten generischen Maskulinum reibt, das Formulierungen und Ansprachen generell in die männliche Form fasst. Eine Sparkassenkundin hatte mit eben jenem so große Probleme, dass sie den Weg durch alle Instanzen wagte – bis hin zur Verfassungsbeschwerde vor dem Bundesverfassungsgericht (BVerfG).

Die Frau rügte, dass auf sämtlichen Bankformularen stets nur die männliche Form der Anrede enthalten war, sie also kontinuierlich als Kunde bezeichnet wurde, statt in der weiblichen Form angesprochen zu werden. Nachdem sie auch schon vor dem Bundesgerichtshof (BGH) gescheitert war, zog sie vor das BVerfG und reichte eine Verfassungsbeschwerde ein.

Doch das BVerfG hat die Verfassungsbeschwerde wegen Verwendung einer geschlechtergerechten Sprache in Sparkassenvordrucken und -formularen nicht zur Entscheidung angenommen. Der Grund: Die Verfassungsbeschwerde war nicht ordnungsgemäß begründet worden. Der BGH hatte bereits ausgeführt, dass auch das Grundgesetz lediglich das Maskulinum verwendet. Nicht nur mit diesem Argument hatte sich die Frau nicht befasst; sie hatte sich mit keinem der verfassungsrechtlichen Gesichtspunkte intensiv auseinandergesetzt – und genau damit kam sie vor dem BVerfG nicht weiter.

Hinweis: Aktuell müssen also Formulare nicht geändert werden, die ausschließlich auf das männliche Geschlecht ausgerichtet sind. Die gesellschaftlichen Änderungen, mit denen sich zunehmend auch Presse und Politik sprachlich auseinandersetzen, könnten jedoch auch hier einen baldigen Wandel nahelegen. Warten wir es ab.

Quelle: BVerfG, Urt. v. 26.05.2020 – 1 BvR 1074/18

 Thema: Sonstiges

Bundesverfassungsgericht zieht Schlussstrich: Rechtsreferendarin darf als Repräsentantin der Justiz oder des Staates kein Kopftuch tragen

Wer meint, zum nachfolgenden Fall einer klagenden Rechtsreferendarin auf ihr Recht, im Dienst ein Kopftuch tragen zu dürfen, bereits vor einiger Zeit gelesen zu haben, liegt richtig. Nachdem sie dazu bereits 2017 mit ihrem Erlass einer einstweiligen Verfügung gegen das Kopftuchverbot der hessischen Justiz gescheitert war, kam dasselbe Gericht – nämlich das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) – nun zu einem abschließenden Urteil.

Nach den hessischen Gesetzen haben sich Rechtsreferendare im juristischen Vorbereitungsdienst gegenüber Bürgerinnen und Bürgern religiös neutral zu verhalten. Daher dürfen Rechtsreferendarinnen auch mit Kopftuch keine Tätigkeiten ausüben, bei denen sie als Repräsentantin der Justiz oder des Staates wahrgenommen werden könnten. Die Rechtsreferendarin mit deutscher und marokkanischer Staatsangehörigkeit wollte als gläubige Muslimin durchsetzen, nicht nur in der privaten Öffentlichkeit, sondern auch im Beruf ein Kopftuch tragen zu dürfen. Deshalb klagte sie gegen die hessischen Gesetze und Anordnungen bis zum BVerfG – ohne Erfolg.

Denn der Eingriff in ihre Religionsfreiheit war laut BVerfG verfassungsrechtlich gerechtfertigt. Die Ausbildungsfreiheit aus Art. 12 Abs. 1 Grundgesetz war hierbei nicht verletzt. Und die vom Landesgesetzgeber verfolgten Ziele der weltanschaulich-religiösen Neutralität des Staates, der Funktionsfähigkeit der Rechtspflege und des Schutzes der negativen Religionsfreiheit Dritter sind besonders gewichtige Gemeinschaftsbelange, die die Regelung rechtfertigen. Die hessischen Regelungen zum Verbot des Kopftuchs für Rechtsreferendarinnen sind daher verfassungsgemäß.

Hinweis: Ein Verbot, bei bestimmten dienstlichen Tätigkeiten im Rechtsreferendariat ein Kopftuch zu tragen, ist nach diesem Urteil verfassungsrechtlich gerechtfertigt und nicht zu beanstanden.

Quelle: BVerfG, Beschl. v. 14.01.2020 – 2 BvR 1333/17

Thema: Arbeitsrecht

Berliner Mietendeckel: Bundesverfassungsgericht lehnt Eilantrag zur Aussetzung von Bußgeldern für Vermieter ab

Der sogenannte Berliner Mietendeckel zieht bundesweit Kreise. Denn eines ist sicher: Sollte dieses Gesetz verfassungskonform sein, sehen einige Vermieter harten Zeiten entgegen. Bevor das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) jedoch zu dem Gesetz selbst eine eindeutige Stellung beziehen kann, musste es sich im Folgenden mit einem vermieterseitigen Eilantrag zum Thema beschäftigen.

Zunächst noch einmal ein genereller Abriss, um was es sich beim Berliner Mietendeckel handelt. In erster Linie dürfen hierbei bestimmte Höchstgrenzen bei der Vermietung von Wohnungen nicht (mehr) überschritten werden. Das gilt insbesondere bei Neu- oder Wiedervermietungen. Die Vermieter sind nun dazu verpflichtet, den Mietern und Behörden Auskunft über die am 18.06.2019 für die jeweilige Wohnung geschuldete Miete zu erteilen. Verstöße gegen diese Vorgaben sind Ordnungswidrigkeiten und können mit Bußgeldern geahndet werden. Genau das wollten sich hier einige Vermieter aus Berlin nicht gefallen lassen – sie beantragten, diese Vorschrift über die Bußgelder vorläufig außer Kraft zu setzen.

Das BVerfG hat jedoch den Antrag abgelehnt. Die für die Vermieter mit der vorläufigen Anwendbarkeit der Norm verbundenen Nachteile überwiegen nicht mit der erforderlichen Deutlichkeit jene Nachteile, die mit einem vorläufigen Wegfall der Bußgeldbewehrung für die Wirksamkeit des Gesetzes insgesamt einhergehen. Hätte es die angestrebte einstweilige Anordnung erlassen und erweist sich das Gesetz später als verfassungsgemäß, entfiele die Bußgeldbewehrung. Es stünde dann zu befürchten, dass Vermieter sich nicht an das Gesetz halten würden. Die Wirksamkeit des Gesetzes wäre also deutlich gemindert. Zudem dürften Mieter dann vielfach davon absehen, ihre Rechte zu verfolgen.

Hinweis: Es handelt sich um eine vorläufige Bewertung der Angelegenheit. Sicherlich wird auch das BVerfG nochmals dazu Stellung nehmen müssen.

Quelle: BVerfG, Beschl. v. 10.03.2020 – 1 BvQ 15/20

Thema: Mietrecht

Schutzmaßnahmen von Webarchiven: Auch verurteilte Verbrecher haben ein Recht auf einen Neuanfang durch das Vergessen im Netz

Wer durch ein Verbrechen Schuld auf sich geladen hat, sollte hierzulande nach Verbüßung des entsprechenden Strafmaßes ein Recht auf einen Neuanfang haben. Dass selbst Straftäter aus Zeiten des Offlinelebens diesbezüglich nicht sicher sind vor Google und Co., zeigt der folgende Fall, den der Betroffene bis vor das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) brachte, um seine Rechte geschützt zu wissen.

Der Mann wurde 1982 rechtskräftig wegen Mordes zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt, weil er 1981 an Bord einer Yacht auf hoher See zwei Menschen erschossen hatte. Ein bekanntes Nachrichtenmagazin veröffentlichte von 1982 bis 1983 drei Artikel unter voller Namensnennung des Mannes und stellte diese 1999 in einem Onlinearchiv kostenlos und ohne Zugangsbarrieren zum Abruf bereit. Gibt man also den Namen des Mannes in eine Suchmaschine ein, werden demnach auch diese Artikel unter den ersten Treffern angezeigt. Im Jahr 2002 wurde der Mann dann aus der Haft entlassen und erlangte erstmals im Jahr 2009 Kenntnis von der Onlineveröffentlichung. Er ging dagegen vergebens gerichtlich vor – sogar bis vor den Bundesgerichtshof (BGH). Schließlich rügte er mit einer Verfassungsbeschwerde eine Verletzung seines allgemeinen Persönlichkeitsrechts. Und endlich fand er Gehör.

Das BVerfG hob das Urteil des BGH aus dem Jahr 2012 auf und verwies die Sache an genau diesen zurück. Ein Verlag darf anfänglich rechtmäßig veröffentlichte Berichte zwar grundsätzlich in sein Onlinearchiv einstellen. Und Schutzmaßnahmen können erst dann erforderlich werden, wenn Betroffene sich an den Verlag gewandt und ihre Schutzbedürftigkeit näher dargelegt haben. Für den Grundrechtsausgleich ist es dann aber entscheidend, inwieweit der Verlag zum Schutz der Betroffenen die Erschließung und Verbreitung der alten Berichte im Internet – insbesondere deren Auffindbarkeit durch Suchmaschinen bei namensbezogenen Suchabfragen – tatsächlich verhindern kann. Der BGH muss daher nun prüfen, ob dem Presseunternehmen auf die Anzeige des Mannes hin zumutbare Vorkehrungen hätten auferlegt werden können und sogar müssen, die gegen die Auffindbarkeit der Berichte einen gewissen Schutz bieten, ohne deren Auffindbarkeit im Übrigen übermäßig zu behindern.

Hinweis: Rechtmäßig veröffentlichte Berichte dürfen also auch in ein Onlinearchiv eingestellt werden. Später könnten allerdings Schutzmaßnahmen erforderlich sein. Dabei ist zu berücksichtigen, inwieweit die Auffindbarkeit durch Suchmaschinen bei namensbezogenen Suchabfragen tatsächlich verhindert werden kann.

Quelle: BVerfG, Urt. v. 06.11.2019 – 1 BvR 16/13

Thema: Sonstiges

Recht auf Vergessen: Unterlassungsanspruch gegen Suchmaschinenbetreiber unterliegt Interessenabwägungen

Es gibt zwar das „Recht auf Vergessen“ im Internet, doch sollte immer berücksichtigt werden, dass jedes Recht seine Grenzen hat. Das musste eine Geschäftsführerin schmerzvoll erfahren, die im folgenden Fall vor dem Bundesverfassungsgericht (BVerfG) mit ihrem Anliegen scheiterte, dass ein Suchmaschinenbetreiber den Nachweis und die Verlinkung bestimmter Inhalte im Netz zu unterlassen habe.

Im Januar 2010 strahlte der NDR einen Beitrag des Fernsehmagazins „Panorama“ mit dem Titel „Kündigung: Die fiesen Tricks der Arbeitgeber“ aus. Die Geschäftsführerin eines Unternehmens hatte für diesen Film ein Interview gegeben. Am Ende des Beitrags wurde der Fall eines gekündigten ehemaligen Mitarbeiters des von ihr als Geschäftsführerin geleiteten Unternehmens dargestellt. In Anknüpfung an die geplante Gründung eines Betriebsrats wurde ihr in dem Beitrag ein unfairer Umgang mit dem Mann vorgeworfen. Der Sender stellte eine Datei mit einem Transkript dieses Beitrags unter dem Titel „Die fiesen Tricks der Arbeitgeber“ auf seiner Internetseite ein. Bei Eingabe des Namens der Beschwerdeführerin in die Suchmaske des Suchmaschinenbetreibers Google wurde als eines der ersten Suchergebnisse die Verlinkung auf diese Datei angezeigt. Als die Geschäftsführerin vor Gericht zog und verlor, wandte sie sich an das BVerfG.

Mit ihrer Verfassungsbeschwerde rügte sie eine Verletzung ihres allgemeinen Persönlichkeitsrechts und ihres Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung. Bereits die Überschrift des Suchergebnisses sei verfälschend, da sie niemals die fiesen Tricks angewandt habe. Das Suchergebnis rufe eine negative Vorstellung über sie als Person hervor, die geeignet sei, sie als Privatperson herabzuwürdigen. Überdies liege der Bericht zeitlich so weit zurück, dass auch infolge des Zeitablaufs kein berechtigtes öffentliches Interesse mehr an ihm bestehe. Die Verfassungsbeschwerde hatte jedoch keinen Erfolg.

Soweit Betroffene von einem Suchmaschinenbetreiber verlangen, den Nachweis und die Verlinkung bestimmter Inhalte im Netz zu unterlassen, sind folgende Punkte abzuwägen:

  • die Persönlichkeitsrechte der Betroffenen,
  • die unternehmerische Freiheit der Suchmaschinenbetreiber,
  • die Grundrechte der jeweiligen Inhalteanbieter sowie
  • die Informationsinteressen der Internetnutzer.

Hier war die angegriffene Gerichtsentscheidung laut BVerfG im Ergebnis nicht zu beanstanden. Es war eine umfassende Interessenabwägung vorgenommen worden. Ergänzend war auch darauf abzustellen, dass die Geschäftsführerin zu dem Interview, das Gegenstand des streitigen Beitrags war, ihre Zustimmung gegeben hatte.

Hinweis: Die Meinungsfreiheit der Inhalteanbieter ist also bei der Prüfung eines Unterlassungsanspruchs gegen Suchmaschinenbetreiber zu berücksichtigen.

Quelle: BVerfG, Urt. v. 06.11.2019 – 1 BvR 276/17

Thema: Sonstiges

Anfechtungsfrist bei Abstammungsfragen: Die Frist zur Anfechtung der Vaterschaft kann durch Drohungen und Loyalitätskonflikte gehemmt sein

Bei Kindern geht die gesetzliche Vermutung generell davon aus, dass ein Kind, das von einer verheirateten Frau geboren wird, von ihrem Gatten abstammt. Da das jedoch bei weitem nicht immer der Fall ist, können sich diverse Probleme ergeben. Mit einer dieser Herausforderungen wurde im folgenden Fall das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) betraut.

Ein wesentliches Problem ist bei Vaterschaftsfragen die gesetzlich geregelte Frist zur Anfechtung der Vaterschaft. Wer die Vaterschaft eines Kindes anfechten möchte, muss seinen entsprechenden Antrag binnen zwei Jahren bei Gericht einreichen. Die Frist läuft ab dem Zeitpunkt, zu dem der Anfechtungsberechtigte von jenen Umständen Kenntnis erlangt, die gegen die Vaterschaft sprechen. In diesem Zusammenhang ist natürlich zu prüfen, wann der mutmaßlich Gehörnte diese Kenntnis erlangt hat.

Im hier behandelten Fall war die Lage eine andere. Die Kindesmutter war von ihrem Mann getrennt und lebte mit dem Vater des 2013 geborenen Kindes zusammen. Der damit zwar leibliche, aber nicht rechtliche Vater hätte zwar die Ehelichkeit des Kindes anfechten können, tat dies aber ebenso wenig wie alle anderen Beteiligten. Erst 2017, als sich die Mutter und der leibliche Vater trennten, entschloss sich dieser, das Verfahren doch noch einzuleiten. Die Verzögerung von deutlich mehr als zwei Jahren begründete er damit, dass die Frau und Kindesmutter ihm immer gedroht habe, jeglichen Kontakt mit dem Kind zu unterbinden, sobald er das Anfechtungsverfahren betreibe.

Amts- und Oberlandesgericht wiesen den Anfechtungsantrag des Mannes zunächst als verspätet zurück. Sie wiesen auch darauf hin, dass ihm in seiner Situation schließlich ein Umgangsrecht zustehe – mit oder ohne Anfechtungsverfahren. Das BVerfG sah den Sachverhalt jedoch anders. Da das Kind in der gegebenen Situation eventuell in einen erheblichen Loyalitätskonflikt geraten wäre, könne es durchaus sein, dass das Verhalten des Mannes zu akzeptieren sei, indem von einer Hemmung der Anfechtungsfrist ausgegangen werden müsse. Da die Einzelheiten des Vortrags des Mannes aber bisher von den Vorinstanzen nicht geprüft wurden, wurden die Akten an die Vorinstanz zur weiteren Prüfung zurückgegeben.

Hinweis: Wie auch immer dieser Fall endet: Es sollte zur eigenen Sicherheit stets darauf geachtet werden, die Anfechtungsfrist einzuhalten.

Quelle: BVerfG, Beschl. v. 12.08.2019 – 1 BvR 1742/18

Thema: Familienrecht

Verfassungsbeschwerde teils erfolgreich: Verfassungsgericht bewertet Wirksamkeit und Stimmverteilung der Beschlüsse von Erbengemeinschaften

In einer Erbengemeinschaft entscheiden die Miterben grundsätzlich gemeinsam. Wichtige Entscheidungen – wie etwa die Veräußerung eines Grundstücks – müssen einstimmig getroffen werden. Für die anderen Entscheidungen reicht hingegen die Stimmenmehrheit. Was bei der Stimmengewichtung jedoch genau zu beachten ist, zeigt die folgende Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG).

Ein Mann wurde von seiner Frau und seinem Enkel zu je 40 % sowie einer Tochter zu 20 % beerbt. Die Erbengemeinschaft fasste gegen den Willen der Tochter mehrere Beschlüsse, wobei der Enkel teilweise sowohl im eigenen Namen als auch durch eine Vorsorgevollmacht im Namen der Witwe allein handelte. Bei einigen dieser Beschlüsse war die Witwe wegen eines Interessenkonflikts mit ihrem Stimmrecht ausgeschlossen. Die Tochter hielt diese Beschlüsse für unwirksam. Sie trug vor, dass die Witwe geschäftsunfähig war und daher keine wirksame Vorsorgevollmacht erteilen konnte. Damit hatte der Enkel ihrer Ansicht nach nicht die erforderliche Stimmenmehrheit.

Das BVerfG weist zunächst auf den Grundsatz hin, nach dem es für minderjährige, abwesende und betreute Miterben der Bestellung eines Vormunds, Pflegers oder Betreuers nicht bedarf, sobald auch ohne diesen Miterben eine beschlussfähige Mehrheit vorhanden ist. Wenn die Mehrheit also einen Beschluss fasst, kommt es auf den Geschäftsunfähigen im Ergebnis nicht an, so dass die Bestellung eines Betreuers für diesen Zweck als überflüssige Förmelei erscheint. Dabei ist die Quote dieses Miterben jedoch durchaus zu berücksichtigen. Ist ein Miterbe von der Abstimmung hingegen wegen Interessenkollision ausgeschlossen, hat dies zur Folge, dass allein die Mehrheit der verbleibenden Stimmen – also gegebenenfalls eine Minderheit – entscheiden kann.

In den Fällen, in denen die Witwe aufgrund des Interessenskonflikts ausgeschlossen war, betrug der Stimmenanteil somit nur 60 %, so dass der Enkel mit seinem Anteil von 40 % durchaus alleine entscheiden konnte. In den anderen Fällen betrug der Stimmanteil hingegen 100 % – unabhängig davon, ob die Witwe geschäftsfähig war oder nicht. Sofern der Enkel also keine wirksame Vorsorgevollmacht hatte, konnte er nicht alleine entscheiden, da er mit 40 % keine Mehrheit hatte.

Hinweis: Die Stimmenmehrheit berechnet sich nach der Größe der Erbteile. Es ist dabei unerheblich, ob einzelne Miterben abwesend, minderjährig oder betreut sind. Das BVerfG stellte hier klar, dass der Stimmenanteil sich nur reduziert, sofern ein Miterbe wegen eines Interessenskonflikts von der Abstimmung ausgeschlossen ist. Damit können die Stimmanteile fürsorgebedürftiger Miterben nicht einfach übergangen werden, indem sie vorab herausgerechnet werden.

Quelle: BVerfG, Beschl. v. 28.05.2019 – 1 BvR 2833/16

Thema: Erbrecht