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Schlagwort: BVerfG

Tarifeinheitsgesetz weitgehend rechtmäßig: Die ernsthafte und wirksame Interessenvertretung der Minderheitsgewerkschaft bleibt Pflicht

Gelten in einem Unternehmen gleich mehrere Tarifverträge durch unterschiedliche Arbeitnehmervertretungen, gestaltete sich bislang eine Einigung im Arbeitskampf als schwierig. Das sogenannte Tarifeinheitsgesetz soll hier nun Abhilfe schaffen.

Das Tarifeinheitsgesetz regelt, dass in einem Betrieb, in dem gleich mehrere Tarifverträge gelten, der Tarifvertrag jener Gewerkschaft mit der Mehrheit an Mitgliedern den Tarifvertrag der Minderheitsgewerkschaft verdrängt. Gegen diese relativ neue gesetzliche Regelung klagten gleich mehrere kleinere Gewerkschaften – mit dem Argument, dass die im Grundgesetz (GG) verankerte Koalitionsfreiheit für Gewerkschaften aus Art. 9 Abs. 3 GG unzulässig eingeschränkt werde.

Das sah das Bundesarbeitsgericht jedoch in weiten Teilen anders. Mit dem Grundgesetz unvereinbar ist das Gesetz nur insofern, als dass Vorkehrungen dagegen fehlen, dass die Interessen der Angehörigen einzelner Berufsgruppen oder Branchen bei der Verdrängung bestehender Tarifverträge einseitig vernachlässigt werden. Der Gesetzgeber hat daher hierzu bis zum 31.12.2018 eine Neuregelung zu treffen. Bis dahin darf ein Tarifvertrag der Mehrheitsgewerkschaft im Fall einer Kollision den Tarifvertrag einer Minderheitengewerkschaft nur dann verdrängen, wenn deren Belange im Tarifvertrag ernsthaft und wirksam berücksichtigt werden. Das Tarifeinheitsgesetz ist also weitgehend verfassungsgemäß.

Hinweis: Endlich steht also fest, dass die komplizierten Regelungen des Tarifeinheitsgesetzes überwiegend rechtmäßig sind. Eine Entscheidung, auf die Arbeitgeber, Bahn- und Flugreisende wohl lange gewartet haben. Streiks kleinerer Gewerkschaften dürften künftig unterbleiben.

Quelle: BVerfG, Urt. v. 11.07.2017 – 1 BvR 1571/15 u.a.

zum Thema: Arbeitsrecht

Emotionaler Prozessverlauf: Um „Mobbing“ zu beweisen, darf die Wortwahl vor Gericht auch durchaus deutlich werden

Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat sich mit Beleidigungen eines Arbeitnehmers während eines Mobbingprozesses auseinandergesetzt.

Ein Arbeitnehmer hatte seine Arbeitgeberin wegen Mobbings auf Schadensersatz verklagt. Während des Prozesses rief er beim Prozessbevollmächtigten der Arbeitgeberin an und warf diesem vor, vor Gericht Lügen und Verleumdungen über ihn verbreitet zu haben. Dafür kündigte ihm die Arbeitgeberin, was der Arbeitnehmer vor Gericht wiederum erfolgreich angriff. Allerdings löste das Landesarbeitsgericht (LAG) trotz des gewonnenen Kündigungsschutzprozesses das Arbeitsverhältnis nach dem Kündigungsschutzgesetz gegen eine Abfindung auf. Das ist immer dann auf Antrag des Arbeitgebers möglich, wenn Gründe vorliegen, die eine den Betriebszwecken dienliche weitere Zusammenarbeit nicht erwarten lassen. Davon war das Gericht hier ausgegangen.

Gegen diese Entscheidung legte der Arbeitnehmer Verfassungsbeschwerde ein. Das BVerfG nahm die Verfassungsbeschwerde jedoch nicht zur Entscheidung an, da die Angelegenheit weder die dafür notwendige allgemeine grundsätzliche Bedeutung hatte noch die Annahme dieser Beschwerde zur Durchsetzung von Grundrechten erforderlich war. Trotzdem äußerten die Richter ihre Rechtsauffassung und erklärten, dass grundsätzlich auch wertende Äußerungen im Prozess durch das Grundgesetz geschützt sind.

Verfahrensbeteiligte dürfen in gerichtlichen Auseinandersetzungen auch starke, eindringliche Ausdrücke und Schlagworte benutzen, um die eigene Rechtsposition zu unterstreichen. Das gilt insbesondere in Mobbingverfahren, da Beschäftigte in diesem Zusammenhang unerlaubte Handlungen des Arbeitgebers darlegen, beweisen und sich damit zwangsläufig negativ über den Arbeitgeber, Vorgesetzte oder auch Kollegen äußern müssen. Entscheidend jedoch: Im hier entschiedenen Fall hatte das LAG seine Auflösungsentscheidung nicht maßgeblich auf das Prozessverhalten des Arbeitnehmers gestützt, sondern auf eine Vielzahl anderer Dinge.

Hinweis: Scharfe Äußerungen des Arbeitnehmers, insbesondere im Rahmen eines Mobbingprozesses, rechtfertigen regelmäßig also keine Auflösung des Arbeitsverhältnisses. Der Arbeitnehmer ist trotzdem gut beraten, wenn er sich zurückhält und keine Beleidigungen gegenüber dem Arbeitgeber ausspricht.

Quelle: BVerfG, Beschl. v. 08.11.2016 – 1 BvR 988/15

Thema: Arbeitsrecht

Wenn schon, denn schon: Ein Verfahren für eine folgenlose Feststellung der Abstammung ist nicht

Ein Kind, das während einer bestehenden Ehe geboren wurde, wird vor dem Gesetz als Kind seiner Mutter und deren Ehegatten behandelt. Naturgemäß muss diese gesetzliche Vermutung bei weitem nicht zutreffen. Verfahren auf Feststellung der Nichtehelichkeit sind zur Klärung etwaiger Fragen deshalb ebenso möglich wie solche auf die Feststellung, dass jemand anderes als der Gatte der Mutter der wahre Kindesvater ist.

Gibt es daneben aber auch die einfache Möglichkeit, feststellen zu lassen, von wem jemand abstammt, ohne dass dies mit der rechtlichen Konsequenz der Feststellung der Vaterschaft verbunden ist? Anders gefragt: Was gilt, wenn jemand an seinen rechtlichen Verhältnissen nichts ändern möchte, sich aber eine Aufklärung über seine wirkliche Abstammung wünscht?

Innerhalb der rechtlichen Familienverhältnisse gibt es die Möglichkeit, die Durchführung einer genetischen Abstammungsuntersuchung zu verlangen. Aber diese gesetzliche Regelung greift nicht, wenn ein Kind vermutet, dass ein Familienfremder sein leiblicher Vater ist, ohne gleichsam die daraus resultierenden rechtlichen Folgen akzeptieren zu wollen.

Dass der Gesetzgeber die Möglichkeit der Überprüfung der Abstammung derart beschränkt hat, hat das Bundesverfassungsgericht für durchaus verfassungsgemäß erklärt. Die Belastungen seien sonst für alle Beteiligten unzumutbar, denn dann hätte letztlich jedermann die Möglichkeit, auf einen blinden Verdacht hin prüfen zu lassen, wer sein Vater sei. Dies belaste nicht nur den dahingehend „Verdächtigten“ und dessen Familie, sondern ebenso die ursprüngliche (rechtliche) Familie. Ein allgemeiner Anspruch auf die Feststellung der eigenen Abstammung besteht daher also nicht.

Hinweis: Die möglichen Verfahren beziehen sich zum einen auf die Feststellung, selbst nicht der Vater eines als ehelich geltenden Kindes zu sein. Die zweite mögliche Feststellung wäre jene, von einem anderen nicht nur abzustammen, sondern damit gleichzeitig auch gerichtlich die Verwandtschaftsverhältnisse zu ändern und künftig dessen Vaterschaft bestätigen zu lassen. Bei diesen Verfahren ist es wichtig, die geltenden Fristen einzuhalten. Deshalb sollten solche Verfahren nicht ohne fachkundigen Rat eingeleitet werden.

Quelle: BVerfG, Urt. v. 19.04.2016 – 1 BvR 3309/13

Thema: Familienrecht

Deckung des Lebensbedarfs: Deutliche Grenzen bei der Mitverpflichtung des Ehegatten

Schließt ein Ehegatte einen Vertrag zur Deckung des täglichen Lebensbedarfs der Familie ab, kann er den anderen Ehegatten ohne besondere Bevollmächtigung mitverpflichten. Hat also ein Ehegatte zum Beispiel beim täglichen Einkauf beim Bäcker sein Geld vergessen, ist der später vorbeikommende andere Ehegatte auf Verlangen verpflichtet, zu bezahlen. Wo aber liegen die Grenzen dieser Mitverpflichtung?

Eine Mitverpflichtung ist nur bei Geschäften zur angemessenen Deckung des Lebensbedarfs der Familie möglich. Größere Käufe und Verpflichtungen sind davon nicht erfasst. So kann ein Ehegatte nicht mit Wirkung für den anderen eine Waschmaschine oder gar ein neues Fahrzeug kaufen. Außerdem besteht eine Mitverpflichtung nur, solange die Ehegatten nicht getrennt leben. Nach der Trennung kann kein Ehegatte den anderen mehr mitverpflichten. Ob der Verkäufer weiß, dass sich die Ehegatten getrennt haben, ist dabei ohne Bedeutung.

Hinweis: Hingewiesen wird in diesem Zusammenhang auf einen weit verbreiteten Irrtum. Viele meinen, es müsse Gütertrennung vereinbart werden, damit Gläubiger eines Ehegatten zum Beispiel im Fall einer Insolvenz nicht auf das Vermögen des anderen Ehegatten Zugriff nehmen können. Diese Ansicht ist falsch. Auch wenn Ehegatten im gesetzlichen Güterstand der Zugewinngemeinschaft leben, können die Gläubiger des einen Ehegatten auf das Vermögen des anderen nur wie beschrieben bei Geschäften zur angemessenen Deckung des Lebensbedarfs Zugriff nehmen.

Quelle: BVerfG, Beschl. v. 08.10.2015 – 108.10.2015 – 1 BvR 455/14

Thema: Familienrecht

Amtsmissbrauch: Medienvertreter haben Recht auf Übersendung einer Urteilskopie

Wird ein ehemaliger Innenminister verurteilt, dürfen die Medien darüber berichten. Dazu benötigen sie in der Regel allerdings auch eine Kopie des Urteils.

Eine Zeitungsverlagsgruppe begehrte eine anonymisierte Kopie eines Strafurteils. In der Strafsache ging es gegen den ehemaligen Innenminister eines Bundeslandes. Dieser wurde wegen Vorteilsannahme in zwei Fällen sowie Abgeordnetenbestechung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und drei Monaten zur Bewährung verurteilt. Der Präsident des Landgerichts weigerte sich allerdings, der Verlagsgruppe die Kopie zuzusenden.

Schließlich wurde das Bundesverfassungsgericht angerufen, das der Zeitungsverlagsgruppe Recht gab. Zwar besteht grundsätzlich kein Anspruch auf Akteneinsicht, wohl aber eine Rechtspflicht zur Publikation veröffentlichungswürdiger Gerichtsentscheidungen. Es gibt also einen presserechtlichen Auskunftsanspruch von Medienvertretern. Dieser Anspruch gilt allerdings nicht unbegrenzt. Persönliche Angaben und Umstände sind in der Regel zu anonymisieren. Diese Veröffentlichungspflicht erstreckt sich nicht nur auf rechtskräftige Entscheidungen, sondern kann bereits vor Rechtskraft eintreten.

Hinweis: Eine gute Entscheidung. Denn wenn der Innenminister eines Bundeslandes strafrechtlich zur Verantwortung gezogen wird und die Taten auch noch mit dem Amt etwas zu tun haben, besteht ein erhebliches öffentliches Informationsinteresse.

Quelle: BVerfG, Beschl. v. 14.09.2015 – 1 BvR 857/15

zum Thema: Sonstiges

Rechtsweg einhalten: Verfassungsbeschwerde gegen Mietpreisbremse

Seit Juni 2015 ist das Mietrechtsnovellierungsgesetz in Kraft getreten und damit die sogenannte Mietpreisbremse.

Danach darf die Miete in Gebieten mit angespanntem Wohnungsmarkt bei neu abgeschlossenen Wohnraummietverträgen höchstens 10 % über der ortsüblichen Vergleichsmiete liegen. Daraufhin hat Berlin gleich sein gesamtes Stadtgebiet als eine solche Zone ausgewiesen. Ein Wohnungseigentümer aus Berlin empfand die Regelung als verfassungswidrig und meinte, seine Wohnung nicht mehr angemessen vermieten zu können. Er zog vor das Bundesverfassungsgericht (BVerfG). Dieses hat seine Verfassungsbeschwerde aber erst gar nicht angenommen, da zunächst der normale Zivilrechtsweg beschritten werden muss.

Hinweis: Es gilt das sogenannte Subsidiaritätsprinzip. Der Vermieter kann beispielsweise die erhöhte Miete einklagen; ein Zivilgericht kann dann dem BVerfG die Frage der Verfassungsmäßigkeit der neuen Regelungen vorlegen. Der Vermieter darf aber nicht gleich zum BVerfG laufen.

Quelle: BVerfG, Beschl. v. 24.06.2015 – 1 BvR 1360/15

Thema: Mietrecht

Trotz Vorsorgevollmacht: Sicherungs- und Zwangsmaßnahmen bedürfen gerichtlicher Genehmigung

Ist ein Erwachsener krankheitsbedingt oder wegen einer Behinderung außerstande, sich selbst um seine Angelegenheiten zu kümmern, wird ihm ein Betreuer zur Seite gestellt. Soll kein Fremder die Betreuung übernehmen, ist die Errichtung einer Vorsorgevollmacht für diesen Fall sinnvoll. Durch sie kann er selbst bestimmen, wer in welchem Umfang eine betreuende Funktion ausübt, wenn dies erforderlich wird. Diese Vorsorgevollmachten haben aber ihre Grenzen – zum Beispiel, wenn ärztliche Sicherungs- und Zwangsmaßnahmen ergriffen werden sollen.

Lassen die körperlichen Fähigkeiten nach, kann es notwendig werden, einen Menschen im Rollstuhl festzugurten oder sogar ein Gitter am Bett anzubringen, damit er nicht stürzt und sich verletzt. Dies sind die körperliche Bewegungsfreiheit einschränkende Maßnahmen, die nicht ohne Weiteres ergriffen werden dürfen. Sie müssen genehmigt sein.

Fraglich war bisher, ob mit einer Vorsorgevollmacht auch das Recht auf den Bevollmächtigten übertragen werden kann, solche Entscheidungen zu treffen. Das Bundesverfassungsgericht hat nunmehr entschieden, dass solch einschneidende Maßnahmen nur ergriffen werden dürfen, wenn sie durch ein Gericht genehmigt wurden. Eine Vorsorgevollmacht reicht also nicht aus – selbst wenn darin ausdrücklich auch die Befugnis zu derartigen Entscheidungen zum Ausdruck gebracht wurde. Freiheitsentziehende Maßnahmen, so das Gericht, sind so einschneidend, dass sie stets bezogen auf die konkrete Situation überprüft werden müssen. Die pauschale Möglichkeit, die Entscheidungsgewalt in dieser Hinsicht vorab generell auf einen Dritten zu übertragen, wird deshalb abgelehnt.

Hinweis: Vorsorgevollmachten sind wichtig. Auch wenn sie ihre Grenzen haben, ist es angebracht, sich beraten zu lassen und nicht darauf zu bauen, dass sich alles von alleine regelt.

Quelle: BVerfG, Beschl. v. 10.06.2015 – 2 BvR 1967/12zum

Thema: Familienrecht

Bestellerprinzip: Makler scheitern vor Gericht

Seit dem 01.06.2015 ist der Makler einer Mietwohnung vom Besteller, also in der Regel vom Vermieter, zu bezahlen. Gegen diese Gesetzesänderung versuchten sich, mehrere Makler vor Gericht zu wehren.

Zwei Immobilienmakler, die sich durch die Einführung des sogenannten Bestellerprinzips in ihrer wirtschaftlichen Existenz bedroht sahen, zogen vor das Bundesverfassungsgericht (BVerfG). Neben dem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung haben sie mit den gleichen Rügen Verfassungsbeschwerde erhoben. Denn die einstweilige Anordnung ermöglicht nur eine vorläufige Sicherung gefährdeter Rechte. Das BVerfG hat den Erlass einer einstweiligen Anordnung gegen das Inkrafttreten des Bestellerprinzips bei Maklerprovisionen für Wohnraummietverträge jedoch abgelehnt. Die Makler konnten keinen hinreichenden, schwerwiegenden Nachteile darlegen – weder für die Gesamtheit der Wohnungsvermittler noch im Hinblick auf ihre eigene Situation.

Hinweis: Es bleibt also bei der Neuregelung: Wenn ein Vermieter sich eines Maklers bedient und diesen beauftragt, muss er ihn auch zu bezahlen. Die Kosten dürfen nicht auf den Mieter umgewälzt werden.

Quelle: BVerfG, Beschl. v. 13.05.2015 – 1 BvR 9/15

Thema: Mietrecht