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Schlagwort: KG

Sorgfaltspflicht im Parkhaus: Bei Fahrspuren mit Straßencharakter gilt die „Rechts-vor-links“-Regel

Dass man es oft eilig hat, ein Parkhaus zu verlassen, liegt in der Natur der Sache. Schließlich dienen sie nur dem Zweck, sein Fahrzueg für eine geraume Zeit abzustellen, und ferner können sich wohl die wenigsten Gebäude dieser Art rühmen, eine besonders angenehme Atmosphäre zu bieten. Welche Verkehrsregeln in einem Parkhaus zu beachten sind, musste das Kammergericht Berlin (KG) kürzlich klären. Denn man ahnt es – selten sind Kollisionen auch hier nicht.

Ein Autofahrer befuhr in diesem Fall eine Fahrspur, die allein der Ausfahrt aus einem Parkhaus diente. Aus seiner Sicht kam ein anderes Auto von links auf einer gleichgearteten Spur herangefahren und fuhr in sein Fahrzeug. Der Geschädigte verlangte von seinem Unfallgegner daraufhin Schadensersatz – und lag damit immerhin zu 80 % richtig.

Denn in dieser Höhe hat das KG hat dem Geschädigten seine Ansprüche zugesprochen. Eine 20%ige Mithaftung musste er allerdings aus der Betriebsgefahr annehmen. Das Gericht sah, auch wenn sich der Unfall in einem Parkhaus ereignete, die überwiegende Haftung jedoch bei dem Wartepflichtigen – in diesem Fall bei dem von links Kommenden -, da auch im Parkhaus die Vorfahrtsregel „rechts vor links“ entsprechend anwendbar ist. Inwieweit diese Vorfahrtsregel in einem Parkhaus bzw. auf einem Parkplatz Anwendung findet, hängt nach Auffassung des Gerichts davon ab, ob die Fahrspuren lediglich dem ruhenden Verkehr dienen – das heißt der Suche nach einem Parkplatz -, oder ob sie darüber hinaus Straßencharakter besitzen. Hier ging das Gericht von einem Straßencharakter der beiden benutzten Fahrspuren aus: An ihnen war ein Parken nicht möglich, sie erschlossen auch keinen Bereich zum Parken, sondern führten jeweils unmittelbar zur Ausfahrt aus dem Parkhaus.

Hinweis: Das Urteil entspricht der obergerichtlichen Rechtsprechung. Das Gericht weist auch darauf hin, dass es sich bei der von dem Geschädigten genutzten Fahrbahn nicht deshalb um eine untergeordnete Straße handelt, weil an ihr zuvor eine Schranke angebracht war, die sich erst nach Einführen eines Parktickets öffnete. Dies mag geeignet sein, den noch vornehmlich dem Parken bestimmten Bereich von dem zum Ausfahren bestimmten abzugrenzen – es ändert allerdings nichts am eindeutigen Straßencharakter.

Quelle: KG, Beschl. v. 09.07.2018 – 25 U 159/17

Thema: Verkehrsrecht

Zuwendungsverbot: Die Erbeinsetzung einer Pflegedienstmitarbeiterin in einem betreuten Wohnheim ist unwirksam

Zum Schutz von Heimbewohnern ist in den entsprechenden Gesetzen der Bundesländer geregelt, dass das Personal sowie die Leitung solcher Heime von Bewohnern kein Geld annehmen und insbesondere auch keine Erbschaften bekommen dürfen. Dies soll verhindern, dass alte und pflegebedürftige Menschen, die in einem Heim leben, in ihrer Hilf- und Arglosigkeit ausgenutzt werden. In manchen Bundesländern erstreckt sich dieses Verbot auch auf ambulante Pflegedienste.

Eine vermögende Frau war kinderlos. In einem handschriftlichen Testament aus dem Jahr 2008 setzte sie zunächst ihre langjährigen Nachbarn als Erben ein und erteilte diesen auch eine Generalvollmacht. Als die Frau nach einem Schlaganfall im Krankenhaus und in Reha-Behandlung war, hoben die Nachbarn größere Beträge ab und zahlten sie auf ein eigenes Konto ein. Danach kam die Frau in eine betreute Wohngemeinschaft, wo ein Pflegedienst tätig war, der von einer früheren flüchtigen Bekannten der Mutter der Frau gegründet worden war. Diese Bekannte setzte die Frau im Jahr 2010 zu ihrer Alleinerbin ein und widerrief damit das vorige Testament. In der Folgezeit stritten sich die Nachbarn und die Bekannte darum, wer sich um die Frau kümmern sollte, und ließen diese unter Betreuung stellen. Ein Sachverständiger untersuchte dazu auch den Geisteszustand der vermögenden Heimbewohnerin. In einem notariellen Testament aus dem Jahr 2011 setzte die Frau schließlich die Bekannte erneut als Erbin ein.

Das Gericht stütze sich auf das Sachverständigengutachten und entschied, dass das notarielle Testament aus dem Jahr 2011 nichtig ist, da die Frau zu diesem Zeitpunkt aufgrund ihrer Demenzerkrankung bereits testierunfähig war. Das privatschriftliche Testament aus dem Jahr 2010 war ebenfalls nichtig, weil es gegen das Zuwendungsverbot aus dem sogenannten Berliner Wohnteilhabegesetz verstieß. Demnach darf sich das Personal in betreuten gemeinschaftlichen Wohnformen kein Geld oder geldwerte Leistungen versprechen oder gewähren lassen. Das Gericht sah es als erwiesen an, dass die Bekannte für den Pflegedienst in einer Leitungsfunktion tätig war, dass sie von dem Testament gewusst hatte und dass die Erbeinsetzung aufgrund der besonderen Vertrauensstellung im Heim und nicht aufgrund einer flüchtigen und mehr als 15 Jahre zurückliegenden Bekanntschaft erfolgte. Die Erbeinsetzung der Nachbarn aus dem Jahr 2008 war durch dieses Testament jedoch wirksam widerrufen worden, weil nicht das gesamte Testament, sondern nur die Erbeinsetzung der Bekannten nichtig war. Somit galt die gesetzliche Erbfolge – und keiner der Beteiligten wurde zu Erben.

Hinweis: Vor der Föderalismusreform gab es ein für das gesamte Gebiet gültiges Heimgesetz, das solche Fälle regelte. Die dazu ergangene Rechtsprechung gilt grundsätzlich nun auch für die landesrechtlichen Regelungen weiter. Demnach ist eine Erbeinsetzung zulässig, wenn die einseitige letztwillige Verfügung dem Begünstigten nicht mitgeteilt und gleichsam im Stillen angeordnet worden ist. Bei fehlender Kenntnis des Bedachten ist das Testament stets wirksam. Das Verbot gilt außerdem dann nicht, wenn der Vermögensvorteil mit den im Heimvertrag zugesagten Leistungen nichts zu tun hat. Für dieses Verbot ausreichend ist es aber bereits, wenn der Vermögensvorteil auf Grundlage des durch die Heimunterbringung bestehenden Vertrauensverhältnisses zugewendet wurde. Ein solcher Zusammenhang wird daher stets bis zum Beweis des Gegenteils angenommen.

Quelle: KG, Beschl. v. 12.01.2018 – 6 W 13/17


Thema:
Erbrecht

Handschriftliche Testamentserrichtung: Vorsicht bei Einleitungen, die gleichsam als Anlass oder als Bedingung interpretiert werden könnten

Bei handschriftlichen Testamenten sind Formulierungen häufig mehrdeutig. Daraus folgt, dass es oftmals nicht ganz klar ist, was der Erblasser genau veranlassen wollte. In solchen Fällen müssen die Gerichte dann durch Auslegung den wahren Willen des Erblassers ermitteln.

 

Eine Frau hinterließ ein handschriftliches Testament, das mit dem Satz begann: „Für den Fall, das ich heute … tödlich verunglücke, …“. Die Erben stritten nun darüber, ob dieser Satz so zu verstehen war, dass die Erblasserin damit nur eine Regelung treffen wollte, wenn sie an diesem genannten Tag versterben sollte, oder ob sie allgemein die Erbfolge ab diesem Zeitpunkt regeln wollte.

Das Gericht entschied, dass die Formulierung keine Bedingung darstellt, von deren Eintritt die Wirksamkeit des Testaments abhängen sollte, sondern lediglich den Anlass für die Testamentserrichtung mitteilte. Es führte aus, dass bei Testamenten mit solchen Formulierungen der Wille des Erblassers immer dann erforscht werden muss, wenn nach Nichteintritt des genannten Ereignisses der Erblasser das Testament nicht widerrufen oder ein abweichendes Testament errichtet hatte. Lässt der Inhalt der Anordnungen im Testament keinen Zusammenhang mit der Todesart oder dem Todeszeitpunkt des Erblassers erkennen, ist anzunehmen, dass die Anordnungen auch dann gelten sollen, wenn der Erblasser unter anderen Umständen verstirbt als denjenigen, die er als Anlass für die Errichtung des Testaments angesehen hatte. Da es im diesem Fall keine vergleichbare Situation – wie etwa eine anstehende Operation – gab, bei der die Erblasserin ernsthaft den Eintritt ihres Todes befürchten musste, und sie danach noch 16 Jahre weiterlebte, ging das Gericht davon aus, dass das Testament weiterhin gültig war.

Hinweis: Sofern in Testamenten der Anlass für die Errichtung genannt wird, sollte bei der Formulierung genau darauf geachtet werden, damit nicht eine Bedingung für die Gültigkeit des Testaments zu verfassen, die gar nicht gewollt ist. Testamente, die aus einem besonderen Anlass heraus verfasst werden, etwa weil eine (gefährliche) Reise oder ein medizinischer Eingriff ansteht, sollten zudem danach vernichtet bzw. geändert werden, wenn sie keine Gültigkeit mehr haben sollen.

Quelle: KG, Beschl. v. 24.04.2018 – 6 W 10/18

Thema: Erbrecht

Auslegung eines Verteilungstestaments: Die Bezeichnung „Haupterbe“ stellt nicht automatisch eine Alleinerbeneinsetzung dar

In handschriftlichen Testamenten werden häufig einzelne Vermögensmassen oder Gegenstände an verschiedene Personen verteilt. Bei solchen sogenannten „Verteilungstestamenten“ kann die Ermittlung des Erblasserwillens jedoch sehr schwierig sein, da die Verfügungen aus juristischer Sicht eine Alleinerben- oder Miterbeneinsetzung, Vermächtnisse oder Erbeinsetzungen auf Quoten oder Ähnliches darstellen können.

 

Ein Mann setzte einen Bekannten in seinem Testament „als Haupterben” ein und beauftragte diesen mit der Durchführung von mit der Erbschaft verbundenen Aufgaben wie Wohnungsauflösung, Kündigungen von Versicherungen, Beerdigung usw. Für diese Arbeiten sollte der Bekannte einen größeren Geldbetrag erhalten. Sein restliches Vermögen verteilte der Erblasser an diesen Bekannten sowie weitere Personen nach bestimmten Quoten zwischen 5 % und 20 %. Ferner bestimmte er, wer einzelne konkrete Gegenstände erhalten solle. Letztendlich stellte sich die Frage, ob der Bekannte Alleinerbe geworden war.

Das Gericht sah in dem Testament eine Erbeinsetzung mehrerer Miterben nach Quoten und damit keine Einsetzung des Bekannten als Alleinerbe oder der übrigen Bedachten als Vermächtnisnehmer. Es wies darauf hin, dass für den Fall, dass der Erblasser das vorhandene Vermögen nach Quoten auf einzelne Bedachte verteilt, grundsätzlich eine Erbeinsetzung anzunehmen ist. Die Zuwendung eines Bruchteils des Erblasservermögens muss zwar nicht in jedem Fall eine Erbeinsetzung darstellen; sie kann auch als Quotenvermächtnis verstanden werden, durch das dem oder den Erben die Auszahlung eines dem Bruchteil entsprechenden Teils des Nachlasswerts an den Bedachten auferlegt wird. Im vorliegenden Fall gab es keine Anhaltspunkte dafür, dass der Bekannte Alleinerbe werden sollte. Insbesondere war die ihm zugewandte Vermögensquote erheblich geringer als die anderer Bedachter. Daran änderte auch die Bezeichnung „Haupterbe“ nichts.

Hinweis: Nach der gesetzlichen Auslegungsregel ist eine Verfügung dann als Erbeinsetzung anzusehen, wenn der Erblasser sein Vermögen oder einen Bruchteil seines Vermögens einem Bedachten zugewandt hat – auch wenn der Bedachte nicht als Erbe bezeichnet ist. Sobald dem Bedachten nur einzelne Gegenstände zugewandt worden sind, ist im Zweifel nicht anzunehmen, dass er Erbe sein soll – auch wenn er als solcher bezeichnet wurde. Diese Auslegungsregel greift nicht, wenn die Auslegung des Testaments ergibt, dass trotz Zuwendung nur einzelner Gegenstände dennoch eine Erbeinsetzung der mit diesen Gegenständen Bedachten anzunehmen ist. Das kann etwa dann der Fall sein, wenn der Erblasser sein Vermögen vollständig den einzelnen Vermögensgegenständen nach verteilt hat, wenn er dem Bedachten die Gegenstände zugewendet hat, die nach seiner Vorstellung das Hauptvermögen bilden, oder nur Vermächtnisnehmer vorhanden wären und nicht anzunehmen ist, dass der Erblasser überhaupt keine Erben berufen wollte. Entscheidend sind im Einzelfall also immer die Umstände und Beweisbarkeiten.

Quelle: KG, Beschl. v. 31.01.2018 – 26 W 57/16

Thema: Erbrecht

Fiktive Abrechnung: Auch über dem Wiederbeschaffungswert liegende Nettoreparaturkosten können erstattet werden

Übersteigen die Nettoreparaturkosten den Wiederbeschaffungsaufwand, ohne über dem Wiederbeschaffungswert zu liegen, kann der Geschädigte auf dieser Basis abrechnen, sofern er das Fahrzeug durch eine (Teil-)Reparatur  in einen verkehrssicheren Zustand versetzt und es mindestens sechs Monate weiter benutzt.

Bei einem unverschuldeten Unfall wurde das Auto des Geschädigten erheblich beschädigt. Der von ihm eingeschaltete Sachverständige ermittelte die Nettoreparaturkosten mit 5.600 EUR, den Wiederbeschaffungswert mit 7.000 EUR und den Restwert mit 2.000 EUR. Danach beträgt der Wiederbeschaffungsaufwand 5.000 EUR. Die gegnerische Versicherung erstattete jedoch nur den Wiederbeschaffungsaufwand – nicht aber die vom Geschädigten verlangten Nettoreparaturkosten.

Das Kammergericht hat die Versicherung zur Zahlung der Nettoreparaturkosten verurteilt. Der Geschädigte war im vorliegenden Fall berechtigt, die Nettoreparaturkosten fiktiv nach Gutachten ersetzt zu verlangen, weil er in Eigenregie das Fahrzeug zumindest teilweise repariert hat. Weiterhin konnte er nachweisen, dass er das Fahrzeug auch sechs Monate nach dem Unfall selbst weiter nutzte.

Hinweis: Im vorliegenden Fall war der Geschädigte berechtigt, die Nettoreparaturkosten ersetzt zu verlangen. Eines Nachweises über die Kosten der Reparatur bedurfte es nicht. Zu den für eine sach- und fachgerechte Reparatur erforderlichen Kosten hätte er sich nur dann äußern müssen, wenn das zur Grundlage seiner fiktiven Abrechnung gemachte Sachverständigengutachten unbrauchbar gewesen wäre. Zu beachten ist aber, dass eine fiktive Abrechnung dann nicht möglich ist, wenn die geschätzten Reparaturkosten über dem Wiederbeschaffungswert liegen.

Quelle: KG, Urt. v. 14.12.2017 – 22 U 177/15

Thema: Verkehrsrecht

Umgangsvereitelung: Sperrt sich ein Elternteil gegen die Urlaubsplanung des anderen, kann dies teuer werden

Um das Umgangsrecht wird bekanntermaßen oftmals erbittert gestritten. Selbst wenn endlich eine Lösung gefunden wurde, ergeben sich in der Folge Probleme bei der Umsetzung, wie in dem folgenden Fall, den das Kammergericht Berlin (KG) zu entscheiden hatte.

Die Eltern hatten eine Umgangsvereinbarung getroffen, die der sie unter anderem geregelt hatten, wann der gemeinsame Sohn mit dem Vater und dessen neuer Lebensgefährtin Ferien machen darf. Wohin die Reise gehen sollte, war dabei nicht abgesprochen worden. Als der Kindesvater kurz vor Urlaubsantritt mitteilte, dass er eine Reise nach Neapel gebucht habe, verweigerte die Kindesmutter die Herausgabe des Reisepasses. Neapel sei (ihr) ein zu gefährliches Reiseziel; dorthin lasse sie ihren Sohn nicht reisen. Dem Vater, dem es wichtiger war, mit seinem Sohn Urlaub zu machen, statt auf das Reiseziel zu bestehen, stornierte die Reise und verbrachte die Zeit mit dem Sohn an einem Ort, für den er keinen Pass benötigte. Von der Kindesmutter verlangte er aber Schadensersatz.

Da die Frage nach einem Schadensersatzanspruch wegen Vereitelung des Umgangsrechts in der Rechtsprechung noch relativ neu ist, besteht noch Unsicherheit, wie damit umgegangen werden soll. Für das angerufene Gericht war hier jedoch klar, dass die Argumentation der Mutter, Neapel sei ein zu unsicheres Reiseziel, vorgeschoben wurde. Neapel ist hinreichend sicher. Sie hätte dem Vater das Kind ohne weiteres mitgeben müssen. Klar war für das Gericht ferner, dass aus diesem Verhalten ein Schadensersatzanspruch abzuleiten ist: Die Mutter war dem Vater gegenüber also schadensersatzpflichtig.

Schwierigkeiten bestanden aber hinsichtlich der Frage, wie der Ersatzanspruch zu bemessen ist. Das KG entschied, dass die Mutter die Mehrkosten zu erstatten hat, die dem Vater durch ihre Umgangsvereitelung entstanden sind. Diese Mehrkosten sah das Gericht in den anteiligen Hotelkosten für die Unterbringung des Kindes in Neapel. Eigene Aufwendungen und Kosten des Vaters oder gar von dessen Lebensgefährtin seien dagegen nicht zu erstatten.

Hinweis: Schadensersatzansprüche wegen Umgangsvereitelung geltend zu machen, ist möglich, aber nicht ganz einfach.

Quelle: KG, Beschl. v. 06.04.2017 – 19 UF 87/16

zum Thema: Familienrecht

Verwirkung von Unterhaltsansprüchen: Auf einen Titel sollte auch bei zäher Zahlungsmoral innerhalb eines Jahres reagiert werden

Steht fest, in welcher Höhe Unterhalt zu zahlen ist, bedeutet dies noch nicht, dass er auch tatsächlich gezahlt wird. Vollstreckungsversuche können ganz oder teilweise erfolglos sein. Sofern dann nichts mehr unternommen wird, kann die Unterhaltspflicht sogar entfallen.

Das Kammergericht Berlin (KG) setzte sich mit einem solchen Fall auseinander. Ein Kindesvater hatte sich 2007 durch Jugendamtsurkunde zu Unterhaltszahlungen an seinen Sohn verpflichtet. Die mangels Zahlungen erfolgte Zwangsvollstreckung blieb erfolglos. Der Vater gab im August 2010 die eidesstattliche Versicherung ab: Er war pleite. Ab Mai 2013 zahlte er dann Unterhalt, aber deutlich weniger, als laut Urkunde geschuldet. Der Sohn forderte jedoch den vollen Unterhalt, kündigte die Vollstreckung an und leitete diese dann tatsächlich erst 2015 ein. Dagegen wehrte sich der Vater und machte geltend, der Sohn habe durch sein Verhalten seinen Unterhaltanspruch verwirkt – und das KG gab dem Vater Recht.

Ansprüche, die verbindlich festgestellt sind, unterliegen wie alle Ansprüche einer Verjährung. Die Verjährungsfrist für diese Ansprüche beträgt 30 Jahre. Jedoch können sich Ansprüche auch verwirken! Und eine solche Verwirkung ist etwas anderes als eine Verjährung: Eine Verwirkung setzt voraus, dass ein bestimmtes Zeit- und ein bestimmtes Umstandsmoment vorliegen. Das Zeitmoment ist bereits gegeben, wenn ein Unterhaltsanspruch seit einem Jahr oder länger nicht geltend gemacht wird, selbst wenn er tituliert ist. Das wird damit begründet, dass rückständiger Unterhalt schnell zu einem unüberschaubar hohen Betrag anwächst. Hier wird also ausnahmsweise einmal der Unterhaltspflichtige geschützt. Von den Umständen her wird verlangt, dass der Pflichtige darauf vertrauen darf, nicht mehr zahlen zu müssen. Wenn eine Vollstreckung zumindest teilweise Erfolg haben und erneut die Abgabe der eidesstattlichen Versicherung verlangt werden kann, liegt Verwirkung dann vor, sobald auf den Titel nur teilweise gezahlt wird und der Berechtigte über ein Jahr nichts unternimmt.

Hinweis: Es gibt also kein absolutes Vertrauen darauf, dass ein titulierter Anspruch 30 Jahre lang durchgesetzt werden kann.

Quelle: KG, Beschl. v. 28.06.2017 – 13 UF 75/16

Thema: Familienrecht

Weg mit dem Kram? Nicht abgeholte Gegenstände des Exgatten eigenmächtig einzulagern, kann teuer werden

Trennen sich Ehegatten, trennen sich nicht nur die Personen. Sie haben auch den Haushalt auseinanderzudividieren. Was ist zu beachten, wenn sich die Beteiligten zwar noch einig werden, wer was bekommen bzw. behalten soll, der aus der Ehewohnung Ausgezogene aber seinen Teil schlicht und ergreifend nicht abholt?

Dieser Frage ging das Berliner Kammergericht nach. Der Fall: Die Ehegatten trennten sich, die Frau verließ die Ehewohnung, nahm beim Auszug aber nicht alle ihre Sachen mit. Einer schriftlichen Aufforderung, dies endlich zu bewerkstelligen, kam sie nicht nach. Der Mann ließ die Sachen der Frau daraufhin einlagern. Damit verbundenen Kosten von rund 1.800 EUR für eine Einlagerung über 1 1/4 Jahre wollte der Mann von seiner Frau erstattet bekommen.

Das Gericht hat den Anspruch versagt. Der Mann hätte die Frau unmittelbar gerichtlich in Anspruch nehmen können, dass sie ihre Gegenstände aus der Wohnung räumt. Denn es gibt ein sogenanntes Wohlverhaltensgebot bezüglich der Ehewohnung in der Trennungszeit, nach dem alles zu unterlassen ist, das die Ausübung des Nutzungsrechts des Wohnungsinhabers erschwert. Wenn unter Bezugnahme auf dieses Wohlverhaltensgebot die Räumung der Wohnung von Gegenständen verlangt wird, kommt es zu einer Prüfung des Einzelfalls. Es ist jedoch nicht zulässig, eigenmächtig „Nägel mit Köpfen zu machen“, d.h. selber zu verfügen und danach die damit verbundenen Kosten erstattet zu verlangen.

Hinweis: Das Problem bei Trennung zurückgelassener Gegenstände tritt in der Praxis häufig auf. Verständlich ist, dass ein Ehegatte, der mit der Trennung vielleicht zunächst in eine kleine und günstige Wohnung zieht, zunächst ganz einfach nicht den Platz hat, um seine Sachen alle zu sich zu nehmen. Wenn sich diese Situation dann aber hinzieht, kommt auch Verständnis für den anderen Ehegatten auf, der den „Ballast“ auch irgendwann einmal los sein möchte. Selbstbewusst eigenmächtig zu handeln kann – die Entscheidung zeigt es – jedoch Probleme nach sich ziehen. 

Quelle: KG, Beschl. v. 07.03.2017 – 18 UF 118/16

Thema: Familienrecht

Sonderbedarf im Unterhaltsfall: Der Eigenanteil für eine Kieferbehandlung ist dem Einkommen entsprechend aufzuteilen

Es entsteht heutzutage fast der Eindruck, dass Zahnfehlstellungen bei jedem Kind diagnostiziert werden, das sich dahingehend untersuchen lässt. Um entsprechenden Folgen vorzubeugen, tragen sehr viele Kinder eine Spange. Soweit die damit verbundenen – nicht unerheblichen – Kosten nicht vollständig von der Krankenkasse übernommen werden, stellt sich bei getrenntlebenden bzw. geschiedenen Eltern die Frage, von wem sie in welchem Umfang zu tragen sind.

Mit genau dieser Konstellation hatte sich das Kammergericht in Berlin auseinanderzusetzen. Die Ehegatten lebten getrennt, das minderjährige Kind bei der Mutter. Eine als notwendig festgestellte kieferorthopädische Behandlung wurde durchgeführt. Die Krankenkasse zahlte diese Therapie bis auf einen zu leistenden Eigenanteil von 1.500 EUR. Da die Mutter deutlich weniger als der Vater verdiene, meinte sie, dass sie deshalb diese Kosten auch in deutlich geringerem Umfang als der Vater zu tragen habe. Der Vater jedoch wollte sie hälftig geteilt wissen.

Das Gericht gab der Mutter Recht. Den Privatkostenanteil der Spange erklärten die Richter zum sogenannten Sonderbedarf. Das ist Bedarf, der wegen einer einmaligen Behandlung anfällt – wenngleich auch innerhalb mehrerer Sitzungen -, der überraschend auftritt und dessen Kosten nicht im Vorhinein abschätzbar sind. Ein solcher Sonderbedarf ist zusätzlich zum sonstigen Unterhalt zu zahlen. Zwischen den Eltern, die beide für ihn aufzukommen haben, ist er im Verhältnis der Einkünfte nach vorherigem Abzug eines Selbstbehalts aufzuteilen. Damit hat der Elternteil, der mehr als der andere verdient, auch einen höheren Anteil an dem Sonderbedarf zu tragen – in diesem Fall am Eigenanteil der Behandlungskosten.

Hinweis: Sonderbedarf muss zwar nicht wie der normale Unterhalt im Vorhinein geltend gemacht werden, es gibt aber durchaus eine Jahresfrist: Spätestens ein Jahr, nachdem die Kosten angefallen sind, muss die Erstattung vom anderen Elternteil verlangt werden. Die Zahlung kann danach ansonsten verweigert werden.

Quelle: KG, Beschl. v. 31.01.2017 – 13 UF 125/16

zum Thema: Familienrecht

Kaputt, repariert und verkauft: Dem Versicherer muss eine Begutachtung zur Regulierung unbedingt ermöglicht werden

Der Halter eines Pkw behauptete, am 18.04. einen Unfall verschuldet zu haben. Am 20.04. beauftragte er eine Werkstatt mit der Reparatur. Am 30.04. teilte er mündlich seiner Vollkaskoversicherung den Schaden mit. Am 18.05. verkaufte er das reparierte Fahrzeug nach Kasachstan. Die von ihm ausgefüllte Schadensanzeige ging bei seiner Kaskoversicherung am 05.06.  ein. Die Versicherung lehnte die Schadensregulierung mit dem Hinweis ab, dass der geschädigte Versicherungsnehmer eine Obliegenheitsverletzung begangen habe.

Nach Auffassung des Kammergerichts (KG) erfolgte die Ablehnung zu Recht. Der Geschädigte habe seiner Versicherung nicht die Möglichkeit gegeben, den behaupteten Schaden durch einen eigenen Sachverständigen überprüfen zu lassen. Hierzu war er allerdings nach den Versicherungsbedingungen verpflichtet. Aus den Versicherungsbedingungen ergab sich, dass der Versicherungsnehmer verpflichtet ist, vor Beginn der Verwertung oder der Reparatur des versicherten Fahrzeugs Weisungen des Versicherers einzuholen. Der Versicherungsnehmer behauptete zwar, keine Kenntnis vom Inhalt der Versicherungsbedingungen gehabt zu haben. Das Gericht ließ dieses Argument allerdings nicht gelten. Es vertritt die Auffassung, dass es zum Allgemeinwissen eines durchschnittlich verständigen Versicherungsnehmers gehört, dass Versicherungen eigene Feststellungen zum Eintritt des Versicherungsfalls und zum Umfang der Entschädigungsleistung treffen wollen, sobald sie auf eine Entschädigungszahlung in Anspruch genommen werden.

Hinweis: Die Entscheidung des Gerichts macht deutlich, dass die Kenntnis der eigenen Versicherungsbedingungen im Schadensfall vorausgesetzt wird. Ist ein Schaden entstanden und soll die eigene Versicherung diesen regulieren, ist ein Blick in die Allgemeinen Versicherungsbedingungen zwingend erforderlich, um dem Vorwurf einer Obliegenheitsverletzung zu entgehen.

Quelle: KG, Beschl. v. 12.12.2016 – 6 U 122/14
Thema: Verkehrsrecht