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Schlagwort: Kollision

Folgenschwere Bremsung: Verlässt der Vorausfahrende eine Autowaschstraße zu zögerlich, kann er in Mithaftung gezogen werden

Wer kennt es nicht – man sitzt in seinem Fahrzeug in einer Waschstraße und fragt sich, ob das Fahrzeug vor einem womöglich einfach so bremsen könne oder aber zu spät ausfährt? Dass dieser Gedankengang nicht ganz abwegig ist, zeigt der folgende Fall des Oberlandesgerichts Zweibrücken (OLG).

Ein Autofahrer saß in einer Autowaschstraße, bei der die Fahrzeuge durch ein Förderband durch die Anlage gezogen werden. Am Ende der Waschstraße blieb das vor ihm gezogene Fahrzeug stehen, dessen Fahrer nach dem Ende des Waschvorgangs nicht umgehend wegfuhr. Da die Anlage nicht sofort stoppte, befürchtete der spätere Kläger eine Kollision mit dem vor ihm stehenden Auto: Er bremste. Dadurch rutschte sein Pkw aus dem Mitnehmer des Förderbands der Anlage heraus, verkantete sich in der Waschstraße wurde nicht unerheblich beschädigt. Er verlangte Schadensersatz – auch vom Halter des vor ihm befindlichen Fahrzeugs.

Die Klage hatte vor dem OLG insoweit Erfolg, als dass der Halter des nur verzögert aus der Waschstraße ausfahrenden Pkw den Schaden des Klägers zum Teil ersetzen muss – und zwar in Höhe von 30 %. Zwar trifft den Kläger ein überwiegendes Mitverschulden an der Beschädigung seines Fahrzeugs. Denn es ist allgemein bekannt, dass ein Abbremsen des vom Förderband der Anlage gezogenen Fahrzeugs tunlichst zu unterlassen ist – gerade weil dadurch das geschleppte Fahrzeug aus den Transportvorrichtungen herausspringen kann! Aber auch der Fahrer des ausfahrenden Pkw hatte sich hier fehlerhaft verhalten, indem er nicht sofort nach dem Ende des Waschvorgangs an- und weggefahren ist. Er schuf damit für den Kläger eine riskante, indes vermeidbare Situation.

Hinweis: Zwar entspricht es obergerichtlicher Rechtsprechung, dass sich ein Pkw, der mit ausgeschaltetem Motor auf dem Förderband einer automatischen Waschstraße transportiert wird, nicht in „Betrieb“ befindet. Denn in dieser Situation betreibt der Fahrer nicht das Fahrzeug und es wirken auch keine Betriebseinrichtungen des Fahrzeugs. Eine Haftung wäre daher ausgeschlossen. Der Streitfall ist mit dieser Situation aber nicht vergleichbar. Denn der Waschvorgang des vorausbefindlichen Fahrzeugs war bereits vollständig beendet. Es befand sich am Ende des Schleppbands und wurde gestartet, um mit Motorkraft in den Verkehrsraum einzufahren. Gefahren gingen von nun an nicht mehr von der Waschanlage oder vom automatisierten Transportvorgang aus, sondern nur noch vom Fahrer und dem Fahrzeug.

Quelle: OLG Zweibrücken, Urt. v. 27.01.2021 – 1 U 63/19

Thema: Verkehrsrecht

Nicht bewiesener Stillstand: Mitverschulden an Kollision beim Rückwärtsfahren aus Parkplatz

Parkplätze bergen für Verkehrsteilnehmer ganz eigene Tücken. Besonders das rückwärtige Ein- und Ausfahren aus den vorgesehenen Plätzen ist dabei nicht ohne. So musste das Landgericht Saarbrücken (LG) im Folgenden bewerten, ob und ab wann ein angeblich vorzeitiges Bremsen den einen von zwei beteiligten Autofahrern von der Haftung nach einer Kollision befreit.

Zwei Verkehrsteilnehmer wollten rückwärts aus ihren gegenüberliegenden Parklücken ausparken und in den Fließverkehr einfädeln. Dabei kam es zur Kollision. Beide Beteiligten forderten schließlich Schadensersatz von den jeweils zuständigen Haftpflichtversicherungen. Ein Beteiligter forderte den Ersatz der gesamten Schadenssumme und behauptete, zum Zeitpunkt der Kollision bereits gestanden zu haben. Daher sei ihm kein Mitverschulden an dem Unfall anzulasten. Vielmehr sei der andere aufgrund einer Unaufmerksamkeit auf sein stehendes Fahrzeug aufgefahren und hafte somit allein. Doch dessen Versicherung wollte lediglich 50 % des Schadens übernehmen.

In den Augen des LG konnte jedoch der bei einer Kollision beim Rückwärtsfahren geltende Anscheinsbeweis nicht erschüttert werden, dass die Kollision aufgrund einer beiderseitigen Unaufmerksamkeit entstanden sei. Selbst wenn man unterstelle, dass das eine Fahrzeug gestanden habe, sei es nicht mehr aufklärbar gewesen, wann der Stillstand erfolgt sei. Um den Anscheinsbeweis zu erschüttern, müsse feststehen, dass das Abbremsen so rechtzeitig erfolgt sei, dass der andere Verkehrsteilnehmer dies hätte erkennen können, um auf die neue Situation zu reagieren. Ein sehr enger zeitlicher Zusammenhang zwischen Stillstand und Kollision lege es jedoch nahe, dass das Abbremsen so kurz vor dem Unfall erfolgte, dass der andere Beteiligte nicht mehr reagieren konnte. Die Haftungsteilung sei in einem solchen Fall daher angemessen.

Hinweis: In der Rechtsprechung ist folgender Grundsatz anerkannt: Kollidieren zwei jeweils rückwärts ausparkende Fahrzeuge auf einem Parkplatz, berechtigt allein der Umstand, dass einer der beiden Pkw in einem nicht näher einzugrenzenden Zeitpunkt vor dem Zusammenstoß zum Stehen gekommen war, nicht zur Annahme eines unabwendbaren Ereignisses. Somit tritt die Betriebsgefahr dieses Pkw im Einzelfall nicht schon allein wegen des vorkollisionären Stillstands zurück.
 
 

Quelle: LG Saarbrücken, Urt. v. 13.11.2020 – 13 S 27/20

Thema: Verkehrsrecht

Anscheinsbeweis als Ausnahme: Bei der Klärung der Schuldfrage ist nach Kettenauffahrunfällen ein Gutachten dringend anzuraten

Sogenannte Kettenauffahrunfälle sind Klassiker im Verkehrsrecht. Denn besonders dann, wenn gleich mehrere Fahrzeuge involviert sind, stellt sich regelmäßig die Frage: „Wer hat angefangen?“ Diesen Sachverhalt aufzuklären, war im Folgenden auch die Aufgabe des Landgerichts Saarbrücken (LG).

Auf einer Autobahn kam es zu einem Kettenauffahrunfall. Der Halter des mittleren Fahrzeugs behauptete, von „seinem“ Hintermann auf das vor ihm stehende Fahrzeug aufgeschoben worden zu sein. Doch der Hintermann widersprach und behauptete, das mittlere Fahrzeug sei seinerseits vorher schon auf den Vordermann aufgefahren.

Das LG kam zu dem Ergebnis, dass der Auffahrende bei einem Kettenauffahrunfall auch für den Frontschaden des vorausfahrenden Fahrzeugs in vollem Umfang haftet. Es entspricht zwar der ständigen Rechtsprechung, dass bei Kettenauffahrunfällen hinsichtlich der Verursachung des Frontschadens – der meist zu Lasten des Auffahrenden sprechende – Anscheinsbeweis keine Anwendung findet. Allerdings geht das Gericht in diesen Fällen laut vorherrschender Meinung von einer Beweiserleichterung aus. Kann der vorausfahrende Fahrer nach Einholung eines Gutachtens nämlich nachweisen, dass mit aller Wahrscheinlichkeit der Hintermann den Frontschaden verursacht hat, ist ein Aufschieben deutlich wahrscheinlicher als die Möglichkeit, dass der Geschädigte durch eigenes Auffahren auf den Vordermann seinen Frontschaden selbst verursacht hat. In solchen Fällen ist der Hintermann für den gesamten (Heck- und Front-)Schaden des mittleren Fahrzeugs (mit-)verantwortlich. Hiervon ausgehend haftete auch hier der Auffahrende auch für den Frontschaden am vorausfahrenden Fahrzeug – und das in vollem Umfang.

Hinweis: Grundsätzlich ist es so, dass bei Kettenauffahrunfällen die Grundsätze des Beweises des ersten Anscheins nicht zur Anwendung kommen. Die Entscheidung des LG überzeugt im Ergebnis aber, da der beauftragte Sachverständige klare Feststellungen zur Reihenfolge der Kollisionen treffen konnte.

Quelle: LG Saarbrücken, Urt. v. 07.09.2018 – 13 S 43/17

Thema: Verkehrsrecht

BGH zu Dashcamaufnahmen: Zur Beweisführung sind Datenschutzbedenken im Zweifel nachrangig zu bewerten

Jeder, der sich schon einmal unschuldig in einen Rechtsstreit verwickelt sah, wünschte sich, über eindeutig entlastendes Beweismaterial zu verfügen. Die moderne Technik mag hier Anlass genug geben, sich solches Material für den Fall der Fälle zu sichern. Und so musste der Bundesgerichtshof (BGH) nun in Sachen Dashcamnutzung im Straßenverkehr eine Entscheidung fällen. Und die hat es in sich.

 

Zwei Fahrzeuge waren innerorts beim Linksabbiegen auf zwei nebeneinander verlaufenden Linksabbiegespuren seitlich kollidiert. Die Beteiligten stritten folglich darüber, wer von beiden seine Spur verlassen und die Kollision herbeigeführt hatte. Die Fahrt vor der Kollision und die Kollision wurden von einer Dashcam aufgezeichnet, die im Fahrzeug des Klägers angebracht war, der vom Beklagten nun Schadensersatz verlangte.

Nach Auffassung des BGH ist die vorgelegte Videoaufzeichnung nach den geltenden datenschutzrechtlichen Bestimmungen zwar unzulässig, da sie ohne Einwilligung der Betroffenen erfolgt ist. Gleichsam ist die Videoaufzeichnung als Beweismittel im Unfallhaftpflichtprozess jedoch durchaus verwertbar. Verwirrend? Nicht so ganz. Denn der BGH differenzierte hier wie folgt: Über die Frage der Verwertbarkeit ist aufgrund einer Interessen- und Güterabwägung nach den im Einzelfall gegebenen Umständen zu entscheiden. Die Abwägung erfolgt zum einen zwischen dem Interesse des Beweisführers an der Durchsetzung seiner zivilrechtlichen Ansprüche, seinem im Grundgesetz verankerten Anspruch auf rechtliches Gehör in Verbindung mit dem Interesse an einer funktionierenden Zivilrechtspflege. Stellt man all das dem zum anderen geltenden allgemeinen Persönlichkeitsrecht des Beweisgegners in seiner Ausprägung als Recht auf informationelle Selbstbestimmung und gegebenenfalls als Recht am eigenen Bild gegenüber, führt das zu einem Überwiegen der Interessen des Geschädigten. Immer noch nicht klar? Dann nochmal so:

Das Geschehen ereignete sich im öffentlichen Straßenraum, in den sich der Beklagte freiwillig begeben hatte. Er hat sich durch seine Teilnahme am öffentlichen Straßenverkehr selbst der Wahrnehmung und Beobachtung durch andere Verkehrsteilnehmer ausgesetzt. Es wurden nur Vorgänge auf öffentlichen Straßen aufgezeichnet, die grundsätzlich für jedermann wahrnehmbar sind. Das hat zur Folge, dass Videoaufzeichnungen im Straßenverkehr zwar gegen datenschutzrechtliche Bestimmungen verstoßen, in einem Zivilprozess aber verwertet werden können.

Hinweis: Durch das Urteil des BGH ist nunmehr generell entschieden, dass Videoaufzeichnungen in einem Zivilverfahren eingeführt und verwertet werden dürfen. Unfallprozesse können jetzt schneller entschieden werden, da teilweise auf die Einholung eines Unfallrekonstruktionsgutachtens verzichtet werden kann.
 
 

Quelle: BGH, Urt. v. 15.05.2018 – VI ZR 233/17

Thema: Verkehrsrecht

Lückenrechtsprechung: Wer sich vorsichtig einfädelt, darf auf die Rücksichtnahme Vorfahrtsberechtigter zählen

Das Vorfahrtsrecht entbindet den Verkehrsteilnehmer, der an einer zum Stillstand gekommenen Fahrzeugkolonne links vorbeifährt, nicht von der Pflicht, auf größere Lücken in der Kolonne zu achten.

Ein Pkw-Fahrer wollte aus einer untergeordneten Straße durch eine Lücke auf die Hauptstraße einfahren, um dann im weiteren Verlauf nach links abzubiegen. Hierbei kam es zu einer Kollision mit einem Pkw, welcher auf der Hauptstraße fuhr, der links an der Fahrzeugkolonne vorbeigefahren war.

Nach Auffassung des OLG Düsseldorf war vorliegend eine Haftungsverteilung von 75 % : 25 % zu Lasten des Wartepflichtigen vorzunehmen. Kommt eine Fahrzeugreihe vor einer Einmündung ins Stocken, dann muss derjenige Verkehrsteilnehmer, der diese Reihe überholen will, mit dem Vorhandensein für ihn unsichtbarer Hindernisse rechnen und seine Geschwindigkeit darauf einrichten. Somit muss ein vorfahrtberechtigter Verkehrsteilnehmer, der an einer zum Stillstand gekommen Fahrzeugkolonne links vorbeifährt, bei Annäherung an eine Kreuzung oder Einmündung auf größere Lücken in der Kolonne achten. Er hat sich darauf einzustellen, dass diese Lücken vom Querverkehr benutzt werden. Er muss zudem damit rechnen, dass der eine solche Lücke ausnutzende Verkehrsteilnehmer nur unter erheblichen Schwierigkeiten an der haltenden Fahrzeugschlange vorbei Einblick in den parallel verlaufenden Fahrstreifen nehmen und dass Verkehrsverhalten der dort befindlichen Fahrzeugführer beobachten kann. Er darf sich der Lücke daher nur mit voller Aufmerksamkeit und unter Beachtung einer Geschwindigkeit, die notfalls ein sofortiges Anhalten ermöglicht, nähern. Da der Vorfahrtberechtigte dies nicht beachtet hat, hat das Gericht eine Mithaftung von 25 % angenommen.

Hinweis: Grundsätzlich haftet der Wartepflichtige beim Verkehrsunfall mit dem Vorfahrtberechtigten zu 100 %. Etwas anderes gilt nach der sogenannten „Lückenrechtsprechung“, da hier regelmäßig eine Mithaftung des Vorfahrtberechtigten aus der Betriebsgefahr angenommen wird.

Quelle: OLG Düsseldorf, Urt. v. 25.04.2017 –  I-1 U 147/16

Thema: Verkehrsrecht

Wartepflichtiger muss warten: Keine Mithaftung des Vorfahrtberechtigten, wenn dieser trotz Blinkens geradeaus weiterfährt

Kommt es zwischen einem vorfahrtsberechtigten und einem wartepflichtigen Verkehrsteilnehmer zu einer Kollision, spricht der sogenannte Anscheinsbeweis für ein Alleinverschulden des Wartepflichtigen. Dieser Anscheinsbeweis kann nur erschüttert werden, wenn der Wartepflichtige nachweisen kann, dass der Vorfahrtberechtigte nicht nur geblinkt hat, sondern zudem weitere Anhaltspunkte gegeben waren, die auf ein Abbiegen hätten schließen lassen, das letztendlich ausblieb und somit zum Unfall führte. Erst dann kann in der Folge eine eventuelle Mithaftung des Vorfahrtberechtigten möglich sein.

Ein Pkw-Fahrer befuhr innerorts eine Hauptstraße. Er wollte an einer Bushaltestelle anhalten, die sich hinter einer Einmündung befand. Aus eben jener Einmündung kam eine Verkehrsteilnehmerin, die gegenüber dem Verkehr auf der Hauptstraße wartepflichtig war. Im Einmündungsbereich kam es mit dem aus ihrer Sicht von links kommenden Fahrzeug zu einer Kollision. Offen blieb dabei, ob der Vorfahrtberechtigte den rechten Fahrtrichtungsanzeiger – sprich Blinker – überhaupt eingeschaltet hatte. Doch selbst das half der Frau nicht.

 

Das Amtsgericht Frankenthal/Pfalz hat die Schadensersatzansprüche der wartepflichtigen Pkw-Fahrerin verneint. Diese war wartepflichtig, so dass der Beweis des ersten Anscheins für eine schuldhafte Vorfahrtsverletzung spricht. Selbst wenn der Vorfahrtberechtigte vor der Einmündung rechts geblinkt haben sollte, hätte er hierdurch nicht sein Vorfahrtsrecht verloren. Denn nach der Rechtsprechung kann das Setzen eines Blinkers das Vorfahrtsrecht generell nicht aufheben. Es begründet vielmehr allenfalls ein Vertrauen des Wartepflichtigen, das im Rahmen der konkreten Abwägung der Verursachungs- und Verschuldensanteile zu berücksichtigen ist. Vorliegend durfte die Wartepflichtige allerdings nicht darauf vertrauen, dass der Vorfahrtberechtigte abbiegt, weil es dafür an weiteren konkreten Anhaltspunkten – wie etwa einer eindeutigen Herabsetzung der Geschwindigkeit – fehlte.

Hinweis: Der gegen den Wartepflichtigen sprechende Anscheinsbeweis kann in der Regel nur erschüttert werden, wenn nachgewiesen wird, dass der Vorfahrtberechtigte nicht nur geblinkt hat, sondern deutliche Anzeichen dafür vorgelegen haben, dass er nach rechts abbiegen wollte, so zum Beispiel – wie das Gericht hervorhebt – durch deutliche Herabsetzung der Geschwindigkeit.

Quelle: AG Frankenthal/Pfalz, Urt. v. 24.11.2016 – 3a C 308/16

  Verkehrsrecht

Notrettung beim Arbeitsweg: Ausweichmanöver eines Motorradfahrers zählt als Arbeitsunfall

Stürzt ein Motorradfahrer bei dem Versuch, einem Radfahrer auszuweichen, und verletzt sich dabei, kann durch eine Nothilfe ein Arbeitsunfall vorliegen.

Ein Motorradfahrer musste einem Radfahrer ausweichen, um eine Kollision zu verhindern. Hierbei stürzte und verletzte er sich. Da er sich auf dem Weg zur Arbeit befand, wollte er den Unfall als Arbeitsunfall festgestellt wissen.

Das Sozialgericht Dortmund ging auch tatsächlich von einem Arbeitsunfall aus. Dadurch, dass der Motorradfahrer dem Radfahrer ausgewichen war, wurde der Radfahrer vor erheblichen Verletzungen geschützt bzw. ihm möglicherweise sogar das Leben gerettet. Auch eine ohne intensive Überlegung verrichtete Rettungstat unterfällt dem Versicherungsschutz eines Arbeitsunfalls. Eine Gefahrensituation kennzeichnet sich dadurch, dass sie überraschend auftritt und einer Rettungsentscheidung keine langen Überlegungen ermöglicht. Selbst ein reflexartiges Ausweichmanöver im Straßenverkehr unterliegt dem Versicherungsschutz eines Arbeitsunfalls, wenn die konkrete Gefahrenlage bei natürlicher Betrachtungsweise objektiv geeignet ist, eine Rettungshandlung auszulösen.

Ohne Bedeutung ist es, dass der Motorradfahrer nicht nur die Gesundheit bzw. das Leben des Radfahrers schützen wollte, sondern auch seine eigene. Es reicht für die Annahme eines Arbeitsunfalls aus, dass die Gefährdungslage auf beiden Seiten gleich gelagert war.

Hinweis: Bei Verkehrsunfällen mit Radfahrern oder Fußgängern kann es für den Geschädigten, der sich beim Versuch der Kollisionsvermeidung verletzt, wesentlich sein, dass er die soziale Absicherung eines Arbeitsunfalls hat. Für den Geschädigten hat dies den Vorteil, dass bei Anerkennung eines Arbeitsunfalls Abzüge wegen einer Mitverursachung nicht vorgenommen werden können. Die Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung können im Einzelfall zudem auch über das hinausgehen, was ansonsten im Rahmen eines Haftpflichtfalls geschuldet wird.

Quelle: SG Dortmund, Urt. v. 02.11.2016 – S 17 U 955/14
Thema: Verkehrsrecht

Vorfahrtsverletzung oder Auffahrunfall: Die bereits auf der Hauptstraße zurückgelegte Strecke und die Geschwindigkeit entscheiden

Die Antwort auf die Frage, ob ein Auffahrunfall oder eine Vorfahrtsverletzung vorliegt, hängt davon ab, ob der einbiegende Fahrer zum Zeitpunkt der Kollision bereits das auf der Vorfahrtstraße übliche Geschwindigkeitsniveau erreicht hat.

Ein Autofahrer bog außerorts von einer wartepflichtigen Straße nach rechts in die Hauptstraße ein. Zuvor hielt er vorschriftsmäßig an der Haltelinie, bog dann ab und beschleunigte sein Fahrzeug auf etwa 55 km/h. Nach rund 50 Metern fuhr ihm ein Fahrzeug auf – an einer Stelle, die 100 km/h als Höchstgeschwindigkeit zuließ. Von der Haftpflichtversicherung des auffahrenden Fahrzeugs verlangte er die Erstattung des ihm entstandenen Schadens zu 100 %.

Nach Auffassung des Oberlandesgerichts München hat der Geschädigte Anspruch auf eine 100%ige Erstattung seines Schadens, denn entgegen der Ansicht des Auffahrenden lag keine Vorfahrtsverletzung vor. Nach den Feststellungen des Gerichts hatte der Geschädigte zum Kollisionszeitpunkt bereits das auf der Vorfahrtstraße herrschende übliche Geschwindigkeitsniveau von 50 km/h erreicht. Die maximal zulässige Höchstgeschwindigkeit von 100 km/h prägte nicht das an der Unfallstelle übliche Geschwindigkeitsniveau. Laut Gericht zählen die konkreten örtlichen Verhältnisse. Direkt rechts an der Straße befand sich zum einen nämlich ein Gewerbegebiet mit mehreren Geschäften, Lebensmittelmärkten, einem Lokal und einem Sportverein. Die wie der Geschädigte von rechts einbiegenden Fahrzeuge beschleunigen zum anderen deshalb nicht auf die erlaubten 100 km/h, da nur wenige 100 Meter hinter der Einfahrt eine Geschwindigkeitsreduzierung auf 70 km/h folgt. Und zu guter Letzt zählte für die Entscheidung des Gerichts, dass der Auffahrende den Unfall laut Sachverständigen durch moderates Abbremsen hätte verhindern können.

Hinweis: Ob ein Auffahrunfall oder eine Vorfahrtsverletzung vorliegt, ist nach den Umständen des Einzelfalls zu beurteilen. Wie der Fall zeigt, kommt es nicht nur auf die zurückgelegte Fahrstrecke des abbiegenden Fahrzeugs an, sondern auch darauf, ob der Vorfahrtspflichtige im Bereich der Vorfahrtstraße in der dort üblichen Geschwindigkeit fährt. Ist dies nicht der Fall, liegt eine Vorfahrtsverletzung vor, anderenfalls ein Auffahrunfall.

Quelle: OLG München, Urt. v. 24.06.2016 – 10 U 3161/15
Thema: Verkehrsrecht

Unfallschwerpunkt Haltestelle: Vorrang des Fahrzeugverkehrs gilt bei erkennbar haltendenden Bussen nur eingeschränkt

Am rechten Fahrbahnrand hielten zwei Omnibusse hintereinander. Aus dem ersten Bus stieg ein Kind aus und kreuzte vor ihm die Straße. Hierbei kam es zu einer Kollision mit einem Pkw, der mit einer Geschwindigkeit von 15 bis 20 km/h mit einem Seitenabstand von etwa zwei Metern an den haltenden Bussen vorbeifuhr.

Das Amtsgericht Backnang hat sowohl auf Seiten des Pkw-Fahrers als auch auf Seiten des Kindes ein 50%iges Mitverschulden am Zustandekommen des Unfalls angenommen. Von Pkw-Fahrern, die an haltenden Bussen vorbeifahren, werden eine erhöhte Aufmerksamkeit und Bremsbereitschaft sowie eine sorgfältige Beobachtung der Verkehrssituation verlangt. Sie können in einem solchen Fall nicht einfach darauf vertrauen, dass ihnen ihr durchaus gegebener Vorrang Fußgängern gegenüber auch tatsächlich eingeräumt wird. Vielmehr wird eine derart reduzierte Geschwindigkeit verlangt, dass etwa vor plötzlich auftauchenden Fahrgästen – insbesondere Kindern – rechtzeitig angehalten werden kann. Andererseits hat das Kind den Unfall mitverursacht, weil es den grundsätzlichen Vorrang des Fahrzeugverkehrs nicht beachtet hatte. Wer zu Fuß eine Fahrbahn überquert, muss den Fahrzeugverkehr berücksichtigen.

Hinweis: An Omnibussen des Linienverkehrs, die an Haltestellen stehen, darf nur vorsichtig vorbeigefahren werden. Wenn der Linienbus die Warnblinkanlage eingeschaltet hat oder der Fahrzeugverkehr gezwungen ist, rechts an dem Bus vorbeizufahren, ist die Schrittgeschwindigkeit einzuhalten.

Quelle: AG Backnang, Urt. v. 19.05.2015 – 5 C 799/14
Thema: Verkehrsrecht