Welche Verkehrsteilnehmer kennen es nicht: Das Verkehrsaufkommen macht es einem manchmal schwer, sich in ihm ordnungsgemäß durchzuwurschteln. Doch Obacht gilt hier natürlich besonders für alle, die sich motorisiert bewegen möchten. Das zeigt auch das Urteil des Berliner Kammergerichts (KG), das fragliche Situationen auf verkehrsreichen Straßen naturgemäß kennt. Sich diesem dann als sogenannter Kreuzungsräumer zu verkaufen, ist daher besonders schwer, wie der folgende Fall beweist.
Eine unklare Verkehrslage liegt vor, wenn ein Fahrzeugführer unter Inanspruchnahme zweier vorhandener Richtungsfahrstreifen zwischen links- und rechtsabbiegenden Fahrzeugen hindurch geradeaus in eine Kreuzung einfährt und dort mit einem Pkw kollidiert, dessen Fahrer nach links abzubiegen gedenkt.
Ein Geschäftsführer fuhr innerorts mit seinem Firmenfahrzeug auf eine Kreuzung zu, um diese geradeaus zu passieren. Vor ihm wollte ein Fahrzeug nach links auf einer für ebendiese Fahrtrichtung bestimmten Spur abbiegen. Ein weiteres Auto vor ihm plante, nach rechts abzubiegen, und befuhr dafür die rechte Spur, die Rechtsabbiegern und Geradeausfahrern zugedacht war. Statt den Rechtsabbieger gewähren zu lassen, um danach in gerader Fahrtrichtung passieren zu können, fuhr der Geschäftsführer unter Mitbenutzung der Linksabbiegerspur auf die Kreuzung. Prompt kam es zur Kollision mit einem Fahrzeug, das sich auf der Linksabbiegerspur der Gegenfahrbahn befand.
Das Schleswig-Holsteinische Oberlandesgericht hat eine (Mit-)Haftung des entgegenkommenden Pkw verneint und die alleinige Haftung dem Geradeausfahrer zugesprochen. Nach Ansicht des Gerichts hat der Geschäftsführer gleich zwei grobe Verkehrsverstöße begangen: Zum einen hat er im Kreuzungsbereich überholt, obwohl die Verkehrslage dieses Verhalten nicht zuließ. Dabei hatte er als Geradeausfahrer die durch den dort Abbiegenden blockierte Linksabbiegerspur genutzt statt die ihm für seine Fahrtrichtung zugedachte – nur um den vor ihm fahrenden Rechtsabbieger zu überholen, mit dem er sich eine Spur zu teilen hatte. Dies allein stellt angesichts der örtlichen Verhältnisse am Unfallort ein unzulässiges und grob verkehrswidriges Verhalten dar. Zum anderen war der Geschäftsführer zusätzlich mit unangepasster Geschwindigkeit in den Kreuzungsbereich eingefahren. Die vernommenen Zeugen haben angegeben, dass der Mann mit einer Geschwindigkeit von 80 bis 90 km/h bzw. höher als 50 km/h fuhr. Ein Verkehrsverstoß des entgegenkommenden Fahrzeugführers steht nach Überzeugung des Gerichts dagegen nicht fest, da er sich noch auf seiner Linksabbiegerspur und nicht auf der Gegenfahrspur befand.
Hinweis: Unklar ist eine Verkehrslage dann, wenn unter anderem den Umständen entsprechend nicht mit einem gefahrlosen Überholvorgang gerechnet werden darf. Die Straßenverkehrsordnung verbietet in einem solchen Fall das Überholen.
Quelle: Schleswig-Holsteinisches OLG, Urt. v. 17.12.2015 – 7 U 53/15 Thema: Verkehrsrecht
Überquert ein Radfahrer trotz ihm versperrter Sicht von einem Gehweg aus eine Straßeneinmündung, kann dies im Fall einer Kollision dazu führen, dass ihn die alleinige Schuld an dem Unfall trifft.
Ein Radfahrer befuhr entgegen der Fahrtrichtung innerorts einen Bürgersteig. Im Einmündungsbereich war ihm die Sicht in die von ihm aus links einmündende Straße durch einen abgestellten Transporter versperrt. Dennoch fuhr er weiter, so dass es zu einer Kollision mit einem Pkw kam, der langsam in Richtung Querstraße fuhr. Die Haftpflichtversicherung des Fahrradfahrers lehnte aufgrund seines Vorfahrtsrechts eine Zahlung ab und behauptete, eine Mithaftung des Pkw sei aus dessen sogenannter Betriebsgefahr gegeben.
Nach Ansicht des mit dem Fall beschäftigten Amtsgerichts haftet der Fahrradfahrer dem Pkw-Fahrer gegenüber jedoch zu 100 %. Der Radfahrer befuhr mit seinem Fahrrad verkehrswidrig den Gehweg in entgegengesetzter Richtung. Ohne abzusteigen oder anzuhalten, überquerte er die einmündende Straße, obwohl er zugab, dass ihm die Sicht links durch einen dort parkenden Pkw versperrt war. Sein Verhalten stellt sich somit als höchst leichtfertig dar. Schließlich musste er damit rechnen, dass sich Fahrzeuge aus der Seitenstraße langsam vortasten, um Einsicht in den Kreuzungsbereich zu erlangen. Eine Mithaftung aus der Betriebsgefahr auf Seiten des Pkw liegt hier deshalb nicht vor, da das Verhalten des Radfahrers grob verkehrswidrig war. Eine Mithaftung des Autofahrers tritt daher in diesem Fall vollständig zurück.
Hinweis: Nicht nur bei Unfällen zwischen Radfahrer und Pkw, sondern auch bei Unfällen zwischen Pkw kann eine Mithaftung aus der Betriebsgefahr vollständig zurücktreten, wenn sich das Verhalten des Unfallverursachers als grob fahrlässig darstellt. Grob fahrlässig handelt immer derjenige, der die gebotenen Sorgfaltsanforderungen in erheblichem Maße nicht beachtet.
Quelle: AG Wiesbaden, Urt. v. 01.10.2015 – 91 C 1333/15 Thema: Verkehrsrecht