Zwölfjährige verursacht Unfall: Die altersgemäß vorhandene Einsicht in das eigene Fehlverhalten spricht für eine Haupthaftung
Steigt ein zwölf Jahre altes Kind nach einem Schulausflug nachts aus einem Reisebus, überquert dabei hinter dem Bus die Straße und verunfallt draufhin mit einem Motorradfahrer, trifft das Kind ein Mitverschulden von 2/3.
Eine zum Unfallzeitpunkt zwölfjährige Schülerin stieg Mitte April gegen 22:00 Uhr aus einem Bus und überquerte anschließend hinter diesem eine Ortsdurchfahrtsstraße, wo es dann zu einer Kollision mit einem Motorradfahrer kam. Nach Auffassung des Oberlandesgerichts Stuttgart trägt das Kind am Zustandekommen des Unfalls ein Mitverschulden in Höhe von 2/3. Da die Schülerin zum Unfallzeitpunkt bereits zwölf Jahre alt war, ist ein Mitverschulden nur dann ausgeschlossen, wenn sie bei der Begehung der schädigenden Handlung noch nicht die erforderliche Einsicht in ihr Fehlverhalten gehabt hätte. Hiervon war im vorliegenden Fall jedoch nicht auszugehen. Vielmehr habe sie gegen die ihr bekannte Pflicht verstoßen, die Fahrbahn nur unter Beachtung des Fahrzeugverkehrs zu überqueren – besonders auch deshalb, weil sie nachts hinter dem Bus die Straße überquert hat. Sie war für den herankommenden Motorradfahrer also nicht zu erkennen. Auch wenn den Motorradfahrer kein direktes Verschulden am Zustandekommen des Unfalls trifft, haftet er dennoch aus der sogenannten Betriebsgefahr, da ein Unfallrekonstruktionsgutachten eine überhöhte Geschwindigkeit nicht auschließen konnte.
Hinweis: Eine Mithaftung des Motorradfahrers zu 1/3 wurde im vorliegenden Fall nur deshalb angenommen, weil ein Kind beteiligt war. Wäre es mit einem Erwachsenen zum selben Unfall gekommen, hätte das Gericht wahrscheinlich eine alleinige Haftung des Erwachsenen angenommen. Der Bundesgerichtshof hat nämlich entschieden, dass ein Mitverschulden von Kindern und Jugendlichen meist geringer zu bewerten ist als das entsprechende Mitverschulden eines Erwachsenen. Eine völlige Freistellung von der Gefährdungshaftung wegen eines grob verkehrswidrigen Verhaltens bei Kindern und Jugendlichen setzt ferner immer voraus, dass ein Sorgfaltsverstoß altersspezifisch auch objektiv besonders vorwerfbar ist.
Quelle: OLG Stuttgart, Urt. v. 09.03.2017 – 13 U 143/16
Thema: Verkehrsrecht