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Schlagwort: Notstand

Raserei statt Rettungswagen: Ein heftig blutender Zeigefinger rechtfertigt keinen Tempoverstoß auf dem Weg ins Krankenhaus

Wenn sich ein nahestehender Mensch verletzt, ist ein kühler und besonnener Kopf gefragt. Wer sich jedoch selbst bei einer recht übersichtlichen Verletzung nicht in Geduld üben kann und – statt auf einen Rettungsdienst zu warten – lieber selbst hinter das Steuer setzt, sollte besser nicht vor dem Amtsgericht Frankfurt (AG) landen, wenn er dabei durch eine verkehrsberuhigte Zone gerast und erwischt worden ist.

Der hier betroffene Mann fuhr mit seinem Pkw innerorts mit einer Geschwindigkeit von mindestens 80 km/h, wobei dort lediglich 30 km/h erlaubt waren. Hierbei wurde er geblitzt. Als Erklärung hierfür trug er vor, seine Ehefrau habe sich beim gemeinsamen Kochen mit den Kindern am Zeigefinger geschnitten. Die Wunde habe so stark geblutet, dass er sich entschieden habe, keinen Rettungswagen zu rufen, sondern seine Gattin selbst ins Krankenhaus zu fahren. Das war in der Sache zwar rührend, aber mit einem Appell an Emotionen allein kommt man vor Gericht nicht sonderlich weit.

Das AG hat den panischen Gatten nämlich zu einer Geldbuße von 235 EUR sowie einem Fahrverbot von einem Monat verurteilt. Zwar könne eine Ordnungswidrigkeit grundsätzlich durch Notstand gerechtfertigt sein – hier scheide eine solche Rechtfertigung jedoch aus zweierlei Gründen aus. Zum einen habe keine gegenwärtige Gefahr für Leib oder Leben der Ehefrau vorgelegen, weil weder ihr Tod noch eine sonstige Komplikation aufgrund der Verletzung ernsthaft zu erwarten war. Zum anderen käme eine Rechtfertigung auch nur dann in Betracht, wenn die gegenwärtige Gefahr objektiv nicht anders abwendbar gewesen wäre. Hier sei es dem Mann nach der Begründung des Gerichts jedoch im Sinne eines alternativ rechtmäßigen Verhaltens zumindest zumutbar gewesen, ein Rettungsfahrzeug zu rufen.

Hinweis: Der Rechtfertigungsgrund des rechtfertigenden Notstands (§ 16 OWiG) setzt voraus, dass der Betroffene in einer gegenwärtigen, nicht anders abwendbaren Gefahrenlage für Leben, Leib, Freiheit, Ehre, Eigentum oder ein anderes Rechtsgut gehandelt hat, um die Gefahr von sich oder einem anderen abzuwenden. Ein stark blutende Fingerwunde erfüllt diese Gefahr nicht.

Quelle: AG Frankfurt am Main, Urt. v. 22.03.2019 – 971 Owi 955 Js-OWi 65423/19

Thema: Verkehrsrecht

Tiefgaragenausfahrt behindert: Auf den Tritt gegen ein Fahrzeug können empfindliche Schadensersatzforderungen folgen

Dass für viele Menschen Zeit in der Tat Geld gleichzusetzen ist, beweist der tägliche Wahnsinn im Straßenverkehr. Dass man jedoch seinen Geduldsfaden hier besonders lang halten sollte, zeigt das Amtsgericht München (AG) mit seinem folgenden Urteil.

Als ein Mann mit seinem Fahrzeug eine Tiefgarage verlassen wollte, parkte in der Einfahrt ein Hähnchenlieferant, um kurz eine Lieferung zuzustellen. Als dieser der Aufforderung, wegzufahren, nicht sofort nachkam, sondern das Essen auszuliefern gedachte, kam es zuerst zum Streit, bei dem der Anwohner den Lieferanten am Wegfahren hinderte, und schließlich zu Tritten gegen dessen Fahrzeug.

Das AG verurteilte den Anwohner zur Zahlung von Schadensersatz von 3.800 EUR, weil dieser durch einen willentlichen Tritt eine Delle am Lieferfahrzeug verursacht hatte. Auch bestand nach Ansicht des Gerichts kein ernsthafter Grund, die Polizei zu rufen – worauf der Anwohner bestand, weil der Fahrer erkennbar ohnehin bald wieder wegfahren würde. Das AG ging nach dem Foto der Abstellsituation ferner davon aus, dass mit hoher Wahrscheinlichkeit andere Autos hinter dem abgestellten Fahrzeug des Auslieferers aus der Garage hätten ausfahren können, weil etwa eine Fahrzeuglänge hinter dem Auto frei war. Dies lässt genügend Platz zum Vorbeifahren, weil Autos durchgängig deutlich weniger breit als lang sind.

Hinweis: Auch im Zivilrecht ist Schadensersatz nur dann zu zahlen, wenn die zum Schaden führende Handlung rechtswidrig war. Ein Rechtfertigungsgrund kann zum einen bei Notwehr vorliegen – also wenn ein gegenwärtiger rechtswidriger Angriff auf den Schädiger erfolgt – oder aber auch beim sogenannten Notstand – also bei Handlungen, die geeignet sind, eine drohende Gefahr von sich oder Dritten abzuwenden. Zutreffend hat das AG München diese Voraussetzungen im vorliegenden Fall verneint.

Quelle: AG München, Urt. v. 29.01.2019 – 132 C 22645/18

Thema: Verkehrsrecht