Schlagwort: Pflichtteilsentziehung

Begründete Pflichtteilsunwürdigkeit: Die Umgehung der unverzichtbaren Formvorschrift verhindert die Verwirkung des Pflichtteilsanspruchs

Nicht nur Kinder beerben ihre Eltern; auch die Eltern gelten als gesetzliche Erben, die zum Zuge kommen, wenn der Erblasser selbst keine Kinder hatte. Als gesetzliche Erben haben Eltern folglich auch einen Pflichtteilsanspruch, sofern sie im Testament nicht bedacht werden.

Ein Mann verstarb kinderlos und setzte seine Ehefrau in einem Testament als Alleinerbin ein. Sein Vater verlangte nach dem Tod seines Sohns jedoch seinen Pflichtteil. Dies lehnte die Witwe ab, da sie der Meinung war, dass der Vater den Pflichtteilsanspruch verwirkt hatte. Sie trug vor, dass er seinem Sohn als Kind keinen gehörigen Unterhalt geleistet und ihn fortwährend gedemütigt, beleidigt, misshandelt, geschlagen und mit 14 Jahren sogar aus dem Haus getrieben sowie körperlich angegriffen habe.

Das Gericht wies darauf hin, dass der Pflichtteil nicht wirksam entzogen wurde, weil die Entziehung zwingend im Testament erwähnt und begründet werden muss. Die Pflichtteilsunwürdigkeit kann zwar von der Witwe als Erbin vorgetragen werden, jedoch lagen in diesem Fall keine der im Gesetz genannten schweren Verfehlungen vor – wie zum Beispiel die versuchte Tötung des Erblassers. Das Gericht stellte zudem klar, dass nur diese beiden im Gesetz vorgesehenen Fallgruppen für eine Verwirkung des Pflichtteils in Frage kommen und die Regelungen nicht umgangen werden dürfen. Dem Vater stand somit ein Pflichtteil von 1/8 zu.

Hinweis: Die Gründe für eine Pflichtteilsentziehung und die Pflichtteilsunwürdigkeit sind im Gesetz abschließend geregelt. Die Rechtsprechung hat mehrfach betont, dass diese Vorschriften eng auszulegen sind und andere Gründe nicht herangezogen werden dürfen. Die Gründe decken sich jedoch nicht. Es kann also vorkommen, dass ein Verhalten des Pflichtteilsberechtigten einen Pflichtteilsentziehungsgrund, aber keinen Unwürdigkeitsgrund darstellt – etwa, wenn der Erbe seine Unterhaltspflicht verletzt hat. Wurde dieser Grund jedoch nicht im Testament ausdrücklich erwähnt, können die Erben ihn nicht im Nachhinein anführen, da dies zu einer Umgehung der Formvorschrift führen würde.

Quelle: OLG Nürnberg, Beschl. v. 04.01.2018 – 12 U 1668/17

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Pflichtteil: Schenkungen zu Lebzeiten werden im Zweifel nicht angerechnet

Um Pflichtteilsansprüche zu reduzieren, versuchen Erblasser immer wieder, den Pflichtteilsberechtigten bereits zu Lebzeiten mit Schenkungen zu befriedigen. Dabei gehen sie davon aus, dass diese Schenkungen im Erbfall automatisch auf den Pflichtteil angerechnet werden. Für die Anrechnung gelten jedoch strenge Voraussetzungen.

Ein Mann hatte seine Ehefrau zur Alleinerbin bestimmt. Seiner Tochter schenkte er noch zu Lebzeiten einen größeren Geldbetrag und teilte ihr in einem Schreiben mit, dass die Schenkung „unter Anrechnung auf Deinen späteren Erbanteil“ erfolgte. Nach dem Tod des Mannes zahlte die Ehefrau nur die Differenz zwischen diesem Betrag und dem errechneten Pflichtteil aus, da sie der Meinung war, dass ihr Mann eine entsprechende Anrechnung angeordnet hatte. Die Tochter verlangte jedoch den gesamten Pflichtteil.

Das Gericht ging davon aus, dass die in dem Schreiben verwendete Formulierung auslegungsbedürftig ist. Es wies darauf hin, dass solche Formulierungen in der Regel nicht so verstanden werden, dass sie sich auch auf den Pflichtteil beziehen. Nur wenn besondere Umstände vorliegen, kann dies ausnahmsweise angenommen werden. Eine nachträgliche, durch den Erblasser einseitig erklärte Anrechnungsanordnung ist zudem nicht möglich. Daher entschied das Gericht, dass der Tochter der komplette Pflichtteil zusteht.

Hinweis: Schenkungen als Vorauszahlung auf den Pflichtteil sind grundsätzlich eine gute Möglichkeit, die Angelegenheit bereits zu Lebzeiten des Erblassers zu regeln und die Erben zu entlasten. Damit der gewünschte Effekt jedoch eintrifft, ist darauf zu achten, dass der Erblasser spätestens bei Vornahme der Schenkung eine entsprechende Anrechnungsanordnung trifft. Diese muss dem Beschenkten auch mitgeteilt werden und so klar sein, dass er entscheiden kann, ob er die Schenkung annimmt. Die Formulierung ist dabei von entscheidender Bedeutung, denn im Zweifel bleibt der Pflichtteilsanspruch in voller Höhe bestehen. Eine nachträgliche Anrechnungsanordnung durch den Erblasser – etwa in einem Testament – kann dann grundsätzlich nicht mehr erfolgen. Nur wenn die strengen Voraussetzungen für eine Pflichtteilsentziehung vorliegen oder der Pflichtteilsberechtigte durch einen notariellen Vertrag zustimmt, ist die Anrechnung einer vorher getätigten Schenkung noch möglich.

Quelle: OLG Schleswig, Urt. v. 13.11.2007 – 3 U 54/07

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