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Schlagwort: Rechtsprechung

Gutscheinlösung zu Pandemiezeiten: Für abgesagte Events dürfen statt Geld nun auch Gutscheine ausgegeben werden

Die Coronapandemie hat die Rechtsprechung nicht nur gefordert, sondern an einigen Stellen auch novelliert. So gibt es auf die Frage, ob es in Ordnung sei, für eine abgesagte Veranstaltung nur einen Gutschein und nicht das Geld zurückzuerhalten, eine neue gesetzliche Grundlage. Und die Antwort formuliert im Folgenden entsprechend der neuen Norm das Amtsgericht Bayreuth (AG).

Es ging um Eintrittskarten für die Veranstaltung „Das ist Wahnsinn! Das Musical mit den Hits von Wolfgang Petry“ im Wert von 154 EUR. Die Veranstaltung konnte im April 2020 wegen der Coronapandemie allerdings nicht durchgeführt werden. Als der Ticketinhaber sein Geld zurückverlangte, war der Veranstalter allerdings nur bereit, dem Mann stattdessen lediglich einen Gutschein für eine weitere Veranstaltung zu geben. Der sah das wiederum nicht ein und klagte.

Die Richter des AG waren allerdings auf Seiten des Veranstalters. Mit der anlässlich der Pandemiefolgen stattgefundenen Einführung des Art. 240 § 5 Abs. 1 Satz 1 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuch sind Veranstalter von Freizeitveranstaltungen berechtigt, anstelle der Rückerstattung des Ticketpreises einen Gutschein zu übergeben, wenn die Veranstaltung aufgrund der COVID-19-Pandemie abgesagt werden musste.

Hinweis: Der Mann erhielt sein Geld also nicht zurück – zumindest vorerst nicht! Denn das Gesetz besagt auch, dass es durchaus das Geld zurückgeben kann, wenn der Verweis auf einen Gutschein für den Kunden angesichts persönlicher Lebensumstände unzumutbar ist oder er den Gutschein bis zum 31.12.2021 nicht eingelöst hat.

Quelle: AG Bayreuth, Urt. v. 11.05.2021 – 102 C 191/21

Thema: Sonstiges

Keine Aufsichtspflichtsverletzung: Gesteigerte Sorgfaltspflichten von Autofahrern gegenüber Kindern sind bindend

Bei Kindern ist im Straßenverkehr doppelte Vorsicht geboten. Dass man sich im Schadensfall nämlich nicht einfach auf die Aufsichtspflicht der Eltern berufen kann, zeigt das folgende Urteil des Landgerichts Osnabrück (LG) in einem Fall, in dem ein Achtjähriger nahe eines Zebrastreifens den Wagen einer Frau beschädigte.

Die Klägerin befuhr mit ihrem Auto innerorts eine Hauptverkehrsstraße. In entgegengesetzter Fahrtrichtung kam ihr der achtjährige Sohn der späteren Beklagten auf dem Fahrrad entgegen. Er war alleine auf dem Gehweg unterwegs. In unmittelbarer Nähe eines Zebrastreifens fuhr das Kind auf die Straße, um sie zu überqueren. Dabei stieß es mit dem Fahrzeug der Klägerin zusammen. An dem Auto entstand Sachschaden. Diesen verlangte die Klägerin von der Mutter des Kindes ersetzt. Sie ist der Ansicht, die Mutter habe ihre Aufsichtspflicht verletzt, indem sie ihren Sohn an der Hauptverkehrsstraße habe alleine mit dem Fahrrad fahren lassen.

Die Klage hatte weder in der ersten noch in der zweiten Instanz Erfolg. Das zuerst mit der Sache vertraute Amtsgericht argumentierte, die Klägerin habe sich nicht so verhalten, dass eine Gefährdung des Kindes ausgeschlossen gewesen wäre. Der Unfall habe sich in unmittelbarem räumlichen Zusammenhang mit einem Zebrastreifen ereignet, der Achtjährige sei im Begriff gewesen, die Straße im Bereich des Zebrastreifens zu überqueren. Dass er hierzu schon zweieinhalb bis drei Meter vor dem Zebrastreifen ansetzte, sei hierbei unerheblich. Gerade bei Kindern sei es nicht unüblich, dass sie in einem Bogen (und nicht in einem 90-Grad-Winkel) auf den Zebrastreifen auffahren. Das LG hat diese Ansicht bestätigt und die Berufung der Klägerin zurückgewiesen, weil die Mutter des Kindes ihre Aufsichtspflicht nicht verletzt hatte.

Hinweis: Ein achtjähriges Kind, das sein Fahrrad im Allgemeinen hinreichend sicher beherrscht, über Verkehrsregeln eindringlich von den Eltern unterrichtet wurde und sich über eine gewisse Zeit im Verkehr bewährt hat, darf nach der Rechtsprechung auch ohne eine Überwachung durch die aufsichtspflichtigen Eltern mit dem Fahrrad am Straßenverkehr teilnehmen – beispielsweise, um zur Schule zu fahren oder einen sonst bekannten, geläufigen Weg zurückzulegen. Eine Aufsichtspflichtverletzung liegt im Ernstfall dann nicht vor.

Quelle: LG Osnabrück, Urt. v. 08.10.2020 – 6 S 150/20

Thema: Verkehrsrecht

Bei teilmittellosem Nachlass: OLG Celle hofft auf Grundsatzentscheidung des BGH zur Vergütung von Nachlasspflegern

Die Vergütung von Nachlasspflegern, die beispielsweise bei unbekannten (Mit-)Erben eingesetzt werden, ist gerade deshalb interessant, weil deren Vergütung vorrangig aus dem Nachlass erfolgen soll. Vor dem Oberlandesgericht (OLG) Celle stand eine hierbei bislang gängige Praxis nun auf dem Prüfstand.

Ist ein Nachlass mittellos, richtet sich die Vergütung des Nachlasspflegers nach dem Gesetz über die Vergütung von Vormündern und Betreuern (VBVG). Die Frage, wie allerdings eine Abrechnung zu erfolgen hat, wenn der Nachlass nur teilmittellos ist, wird von der Rechtsprechung nicht einheitlich beantwortet. Teilweise wird angenommen, dass ein Nachlass so lange als werthaltig betrachtet werden kann, wie liquide Mittel vorhanden sind. Dies führt in der Konsequenz dazu, dass Stundenverrechnungssätze der Nachlasspfleger aufgesplittet werden können. Denn wenn die liquiden Mittel nicht mehr ausreichen, muss die Vergütung auf die im VBVG festgelegten Stundensätze umgestellt werden.

Das OLG Celle hat in einer neuerlichen Entscheidung dieser Vorgehensweise eine Absage erteilt. Seiner Ansicht nach ist ein Nachlass erst dann als mittellos anzusehen, wenn die Vergütung aus dem einzusetzenden Einkommen oder Vermögen gar nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufgebracht werden kann. Dies allerdings führe meist zu einer geringeren Vergütung der Nachlasspfleger auf der Basis des VBVG.

Hinweis: Da andere Gerichte die Abrechnung nach gespaltenen Stundensätzen zulassen – das OLG Frankfurt, das OLG Stuttgart und das OLG Düsseldorf -, hat das hier urteilende OLG die Rechtsbeschwerde zum Bundesgerichtshof zugelassen, um eine einheitliche Klärung dieser Rechtsfrage herbeizuführen.

Quelle: OLG Celle, Beschl. v. 20.03.2020 – 6 W 142/19

Thema: Erbrecht

Schutz von Hilfebedürftigen: Vor der Entscheidung über die Erweiterung einer Betreuung ist ein Verfahrensbeistand zu bestellen

Wer sich wegen einer psychischen Krankheit oder einer körperlichen, geistigen oder seelischen Behinderung als Volljähriger um seine Angelegenheiten ganz oder teilweise nicht selbst kümmern kann, erhält einen Betreuer. Geprüft wird in der Folge in Abständen bzw. bei Bedarf, ob die Betreuung aufgehoben werden kann, fortbestehen muss und ob sie zu erweitern oder einzuschränken ist. Dabei gelten strenge Regeln, die die Rechtsprechung immer wieder beschäftigen – wie im Folgenden den Bundesgerichtshof (BGH).

Für den hier Betroffenen war eine Betreuung eingerichtet worden, weil sein IQ bei lediglich 56 lag. In der Folge beantragte die Betreuerin die Erweiterung dieser Betreuung, der Betreute stimmte dieser zu. Aus der zunächst nur eingeschränkten Betreuung wurde daraufhin eine sehr weitgehende (Vertretung in Nachlassangelegenheiten/Entgegennahme und Öffnen sowie Anhalten der Post/Vertretung gegenüber den Behörden, Versicherungen, Renten- und Sozialleistungsträgern sowie Gerichten/Vermögenssorge und Gesundheitssorge einschließlich hiermit verbundener Aufenthaltsbestimmung). Gegen diese Erweiterung legte der Betroffene trotz seiner zunächst erfolgten Einverständniserklärung Beschwerde ein. Vor dem Amts- und dem Landgericht hatte er keinen Erfolg, wohl aber vor dem BGH.

Wenn und soweit in wesentlichen Fragen der Betroffene selbst und allein nicht sicher in der Lage ist, die Dinge zu überblicken, und er keinen Anwalt oder sonstigen Verfahrensbevollmächtigten hat, ist ihm gesetzlich ein Verfahrensbeistand zu bestellen. Das mag zwar lästig sein, entspricht aber dem gesetzlichen Schutz, der dem Hilfsbedürftigen zu gewähren ist. Wenn – so der BGH – wie hier eine so umfassende Erweiterung der Betreuung im Raum steht, gilt dies in besonderem Maße. Deshalb wurde die Vorentscheidung aufgehoben und an die Vorinstanz zur erneuten Verhandlung zurückverwiesen.

Hinweis: Der Fall zeigt, wie im Betreuungsrecht eine rechtlich fundierte Beratung von Bedeutung ist.

Quelle: BGH, Beschl. v. 11.12.2019 – XII ZB 249/19

Thema: Familienrecht

Verlässlichkeit für Betriebe: Bundessozialgericht stärkt die Rechtssicherheit bei beanstandungsfreien Betriebsprüfungen

Bislang konnten sich Betriebe darauf verlassen, dass mit dem Verlassen des Betriebsprüfers eine Betriebsprüfung ohne Beanstandung als beendet galt. Doch das folgende Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) sorgt mit einem Verwaltungsakt nun dafür, dass Unternehmen sich künftig auch rechtssicher auf bisherige Prüfungsergebnisse stützen dürfen.

Mehrere GmbHs – alle Familiengesellschaften – hatten auf die frühere Rechtsprechung vertraut, ihre Geschäftsführer als selbständig eingestuft und somit keine Sozialversicherungsabgaben gezahlt. Dann jedoch verlangte die Deutsche Rentenversicherung entsprechende Nachzahlungen. Die Gesellschaften meinten nun, dass bisherige Sozialversicherungsprüfungen zu einer anderen Entscheidung gekommen seien, worauf sie sich hätten verlassen können. Das sah das BSG jedoch anders.

Die Geschäftsführer der klagenden GmbHs unterlagen aufgrund ihrer Beschäftigung der Sozialversicherungspflicht. Das familiäre Näheverhältnis zwischen Geschäftsführern und Mehrheitsgesellschaftern einer GmbH änderte daran nichts. Allerdings müssen künftig auch bei fehlenden Beanstandungen Sozialversicherungsprüfungen zwingend durch einen Verwaltungsakt beendet werden. Die darin enthaltenen Feststellungen sind bei neuerlichen Betriebsprüfungen zu beachten und können einer anderslautenden Beurteilung entgegengehalten werden. Zudem sind die prüfenden Rentenversicherungsträger verpflichtet, die Betriebsprüfung auf die im Betrieb tätigen Ehegatten, Lebenspartner, Abkömmlinge des Arbeitgebers sowie geschäftsführende GmbH-Gesellschafter zu erstrecken, sofern ihr sozialversicherungsrechtlicher Status nicht bereits durch Verwaltungsakt festgestellt worden ist. Trotzdem vermitteln weder die Rechtsprechung des BSG noch Betriebsprüfungen, die mangels Beanstandungen ohne Bescheid beendet wurden, Vertrauensschutz.

Hinweis: Betriebsprüfungen müssen nach diesem Urteil zukünftig auch bei fehlenden Beanstandungen zwingend durch einen Verwaltungsakt beendet werden, der insbesondere den Umfang, die geprüften Personen und das Ergebnis der Betriebsprüfung festhält. Ein gutes Urteil für Unternehmen.

Quelle: BSG, Urt. v. 19.09.2019 – B 12 R 25/18 R

 Thema: Sonstiges

Rechts(un-)sicherheit: Gerichte sind sich über Geschwindigkeitsmessungen ohne Rohmessdatenspeicherung uneins

Daran, ob auch ohne Speicherung von Rohmessdaten eine Geschwindigkeitsüberschreitung zu ahnden ist, scheiden sich die rechtlichen Geister. Dass es für eine sogenannte Rechtssicherheit an der Zeit ist, dass sich der Bundesgerichtshof (BGH) dieser Frage abschließend annimmt, zeigt das folgende Urteil des Oberlandesgerichts Oldenburg (OLG).

Dem hier betroffenen Fahrzeugführer wurde eine Geschwindigkeitsüberschreitung vorgeworfen. Gegen den ihm zugestellten Bußgeldbescheid verteidigte er sich mit Hinweis auf die kürzlich ergangene Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs des Saarlandes. Dieser hatte nämlich entschieden, dass Fotos von Geschwindigkeitsmessanlagen, die keine Rohmessdaten speichern, für eine Verurteilung nicht ausreichen. Dies gelte selbst dann, wenn die Geräte von der Physikalisch-Technischen-Bundesanstalt (PTB) zugelassen und geeicht seien. Ansonsten sei das Recht auf ein faires Verfahren des Betroffenen verletzt.

Doch dieser Auffassung wollte sich das OLG hier nicht anschließen. Auch Messungen ohne Datenspeicherung seien seiner Ansicht nach durchaus verwertbar. Der BGH habe für den Bereich der Verkehrsordnungswidrigkeiten schließlich das standardisierte Messverfahren anerkannt. Die Bauartzulassung durch die PTB indiziere bei Einhaltung der Vorgaben der Bedienungsanleitung und Vorliegen eines geeichten Geräts nämlich die Richtigkeit des gemessenen Geschwindigkeitswerts. Bei Einhaltung der Voraussetzungen dieses Messverfahrens sei das Ergebnis nach der gefestigten Rechtsprechung des BGH für eine Verurteilung ausreichend. Auch die Messung mit einer Laserpistole, bei der keine Daten gespeichert werden, habe der BGH anerkannt. Für eine Geschwindigkeitsmessung mit einem Blitzgerät könne nach Meinung des OLG daher nichts anderes gelten.

Hinweis: Es wäre im Sinne einer einheitlichen Rechtsprechung, wenn nunmehr ein OLG durch Vorlage eine Entscheidung zu solchen Fallkonstellationen durch den BGH herbeiführen würde.

Quelle: OLG Oldenburg, Beschl. v. 09.09.2019 – 2 Ss (Owi) 233/19

Thema: Verkehrsrecht

Trotz genutzter Freisprecheinrichtung: In Berlin führt bereits das ledigliche Halten eines Handys während der Fahrt zum Bußgeld

„Am Steuer Hände weg vom Handy!“ So einfach dieser Satz klingt, so heikel ist die Umsetzung in der Rechtsprechung. Dass selbst die Gerichte unterschiedliche Auslegungen darüber haben, ob ein Handy schon dann genutzt wird, wenn es lediglich bei der Fahrt in der Hand gehalten wird, zeigt das folgende Urteil des Kammergerichts Berlin (KG). Denn das widerspricht einem erst vor kurzem ergangenen Beschluss von Rechtskollegen aus Celle.


Im aktuellen Fall in Berlin hielt der betroffene Autofahrer sein heiß gelaufenes Handy während der Fahrt vor den Lüfter, um es so zu kühlen und das laufende Telefonat während der Fahrt über die aktivierte Freisprechanlage fortsetzen zu können. Hierbei wurde er beobachtet, so dass ein Bußgeld gegen ihn festgesetzt wurde.

Das KG bestätigte, dass der Bußgeldbescheid zu Recht ergangen ist. Nach der anzuwendenden Vorschrift stellt das Verhalten des Betroffenen zum einen eine Tätigkeit dar, die verhinderte, dass ihm beide Hände für die eigentliche Fahraufgabe zur Verfügung standen. Zum anderen erforderte es – wie das Führen eines Telefonats auch – eine erhöhte Konzentration. Bereits nach dem Wortlaut der Vorschrift komme es nicht darauf an, ob das Mobiltelefon für die Benutzung grundsätzlich in der Hand gehalten werden muss, sondern ob es tatsächlich in der Hand gehalten wird. Der Verordnungsgeber wollte mit der gesetzlichen Neuregelung gerade auch jene Fälle erfassen, in denen das Gerät in der Hand gehalten wird, obwohl dies – etwa dank einer Freisprechanlage – nicht erforderlich ist

Hinweis: Die Frage, ob nach der Neufassung des § 23 Abs. 1a StVO bereits das bloße Halten eines elektronischen Geräts ausreicht, um den Bußgeldtatbestand zu verwirklichen, ist umstritten. In der Maiausgabe hatten wir auf die Entscheidung des Oberlandesgerichts Celle (OLG) hingewiesen, wonach das ledigliche Halten eines Handys nicht bereits als Ordnungswidrigkeit geahndet wurde (Beschl. v. 07.02.2019 – 3 Ss (OWi) 8/19). Das OLG argumentierte, dass über das bloße Halten hinaus eine Benutzung des elektronischen Geräts hinzukommen muss. Das KG hat nun jedoch anders entschieden. Eine zeitnahe Entscheidung des Bundesgerichtshofs ist daher wünschenswert.

Quelle: KG, Beschl. v. 13.02.2019 – 3 Ws (B) 50/19 – 162 Ss 20/19

Thema: Verkehrsrecht

Erbrecht unehelicher Kinder: Nur ohne gerechten Ausgleich zwischen den Betroffenen ist die Stichtagsregelung unverhältnismäßig

Die erbrechtliche Gleichstellung unehelicher Kinder mit ehelichen hat ihren langen Weg immer noch nicht abgeschlossen. Nachdem die deutsche Rechtsprechung durch ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) zur Aktualisierung aufgerufen wurde, geht es vermehrt um ihre Umsetzung, so auch im folgenden Fall, mit dem das Oberlandesgericht Köln (OLG) befasst wurde.


Ein Mann hatte für seine 1943 unehelich geborene Tochter die Vaterschaft anerkannt. Nach seinem Tod im Jahr 1990 verlangte die Tochter von den ehelichen Kindern ihren Pflichtteil – was vor Gericht jedoch abgelehnt wurde. Nach deutschem Recht waren uneheliche Kinder seinerzeit von der gesetzlichen Erbfolge ausgeschlossen und bekamen daher auch keinen Pflichtteil, sofern sie vor dem 01.07.1949 geboren waren. Aufgrund eines Vergleichs wurde der Tochter damals jedoch ein Anteil gezahlt. Durch die 2009 erfolgte Rechtsprechung des EGMR erließ der deutsche Gesetzgeber schließlich ein neues Gesetz, das nichteheliche Kinder für Erbfälle nach 2009 gleichstellt. Daraufhin machte die Frau 2017 erneut ihren Pflichtteil geltend. Das Gericht wies sie jedoch ab.

Als der deutsche Gesetzgeber sein neues Gesetz erließ, machte er mit der unverhältnismäßigen Stichtagsregelung zwar durchaus einen Fehler, der auch 2017 bereits durch den EGMR als unter Umständen rechtsverletzend bewertet wurde. Das OLG führte jedoch aus, dass diese Stichtagsregelung die Rechte nichtehelicher Kinder nur dann verletzt, wenn unter den besonderen Umständen des Falls kein gerechter Ausgleich zwischen den Betroffenen hergestellt wird. In diesem Fall waren aber bereits über acht Jahre seit dem EGMR-Urteil vergangen. Die Erben durften durch einen gerichtlichen Vergleich zudem ihr besonderes Vertrauen auf den Fortbestand ihres Erbrechts setzen. Somit war die Anwendung der Stichtagsregelung in diesem Fall nicht als unverhältnismäßig anzusehen.

Hinweis: Der EGMR hatte einige Kriterien aufgestellt, woran zu bemessen ist, ob die Stichtagsregelung unverhältnismäßig ist. Dies sind unter anderem die Kenntnis der Betroffenen, der Status der erbrechtlichen Ansprüche (Verjährung) und die bis zur Geltendmachung des Anspruchs verstrichene Zeit, aber auch der Umstand, ob durch das nationale Recht eine finanzielle Entschädigung für den Verlust des Erbrechts gewährt wird. Die weitere Umsetzung dieser Rechtsprechung bleibt abzuwarten.

Quelle: OLG Köln, Beschl. v. 10.12.2018 – 2 Wx 405/18

Thema: Erbrecht

Ob Vollbremsung oder nicht: Wer zu dicht auffährt, hat keine Chance auf Verwirkung des Anscheinbeweises

Bei Auffahrunfällen spricht in der Regel der sogenannte Anscheinsbeweis gegen den Auffahrenden. Das heißt, dass bei den gerichtlich entschiedenen Fällen zumeist nachgewiesen werden konnte, dass eben dieser die Schuld an dem Unfall trug. Doch keine Regel ohne Ausnahme – vor allem in der Rechtsprechung. Ob das Oberlandesgericht Hamm (OLG) in einer unerwarteten Bremsung eine solche Ausnahme gesehen hat, lesen Sie selbst.

In einem Kreisverkehr fuhr ein Autofahrer auf das vorausfahrende Fahrzeug auf. Er verlangte von dessen Haftpflichtversicherung Schadensersatz mit der Begründung, der Vorausfahrende habe beim Verlassen des Kreisverkehrs das Fahrzeug abgebremst. Das OLG hat allerdings dennoch die Alleinhaftung des Auffahrenden angenommen, da gegen ihn der Beweis des ersten Anscheins für sein Verschulden spricht.

Das OLG weist darauf hin, dass das bloße Bremsen – auch das plötzliche Abbremsen – nicht ausreicht, um den Anscheinsbeweis zu erschüttern, weil jeder Verkehrsteilnehmer mit einem derartigen Verhalten zu rechnen habe. Selbst ein plötzliches, scharfes Bremsen des Vorausfahrenden hat ein Kraftfahrer stets einzukalkulieren. Der Beweis des ersten Anscheins kommt lediglich dann nicht in Betracht, wenn der Vorausfahrende unvorhersehbar und ohne Ausschöpfung des Anhaltewegs „ruckartig“ zum Stehen gekommen ist, sich der Bremsweg aufgrund dessen verkürzt hat und der Nachfolgende deshalb aufgefahren ist. Ob dies hier der Fall gewesen ist, konnte das OLG in seiner Entscheidung aber unbeantwortet lassen. Denn ein Sachverständiger konnte nachweisen, dass der aufgefahrene Kläger viel zu nah auffuhr. Mit nur rund zwei Metern hatte er einen zu geringen Abstand gewahrt und die Folgen sich somit vollends selber zuzuschreiben – völlig egal, wie stark und unerwartet der Vordermann abgebremst habe.

Hinweis: Der Anscheinsbeweis spricht immer dann gegen den Auffahrenden, wenn sich die beteiligten Fahrzeuge im gleichgerichteten Verkehr bewegt haben und zumindest eine teilweise Überdeckung der Schäden an Front und Heck vorliegt. In der Rechtsprechung ist umstritten, ob der Anscheinsbeweis auch dann zum Tragen kommt, wenn der Vorausfahrende grundlos eine Vollbremsung macht. Teilweise wird vertreten, dass auch hiermit jeder Verkehrsteilnehmer rechnen muss. Andere vertreten die Auffassung, dass ohne zwingenden Grund nicht gebremst werden darf.

Quelle: OLG Hamm, Beschl. v. 31.08.2018 – 7 U 70/17

Thema: Verkehrsrecht

Neu gekauft, schon kaputt: Die „Abrechnung auf Neuwagenbasis“ gilt aktuell nicht für beschädigte E-Bikes

Laut einem Urteil in diesem Jahr sind die Grundsätze zur Neuwagenabrechnung auf frisch gekaufte E-Bikes nicht übertragbar. Ob diese Entscheidung auch obergerichtlich gefestigt wird, muss sich aber noch herausstellen.

Bei einem Unfall wurde das gerade einen Monat zuvor erworbene E-Bike einer Frau beschädigt, das zu diesem Zeitpunkt eine Laufleistung von 180 km aufwies. Die Reparaturkosten beliefen sich laut Kostenvoranschlag auf 558 EUR, wobei die Geschädigte darauf hingewiesen wurde, dass der Elektromotor bei dem Unfall in Mitleidenschaft gezogen worden sein und deswegen womöglich in naher Zukunft Probleme bereiten könnte. Daraufhin klagte die Frau auf Erstattung der Kosten für ein neuwertiges E-Bike.

Bei Beschädigung neuwertiger Kraftfahrzeuge gewährt die Rechtsprechung dem Geschädigten eine Entschädigung nach den Beschaffungskosten eines Neuwagens, wenn und weil die allgemeine Wertschätzung eines Neuwagens die eines selbst fachgerecht instandgesetzten Wagens übersteigt – und das schlägt sich im Wert nieder. Laut Amtsgericht Nordhorn (AG) sei dies bei E-Bikes jedoch nicht der Fall. Zwar existiert allgemein eine höhere Wertschätzung gebrauchter Gegenstände, die nicht repariert werden mussten, gegenüber solchen, die einer Reparatur unterzogen wurden – jedoch lässt sich diese besondere Wertschätzung in der Verkehrsanschauung bei Kraftfahrzeugen nicht auf alle Gegenstände übertragen. Das Gericht wies die Klage auf Erstattung der Kosten für ein neuwertiges E-Bike ab, da die Grundsätze zur Neuwagenabrechnung auf E-Bikes nicht übertragbar seien. Es sei davon auszugehen, dass keine allgemeine über das normale Maß hinausgehende Wertschätzung eines unfallfreien E-Bikes gegenüber einem gebrauchten und fachgerecht reparierten E-Bike bestehe.

Hinweis: Ob die Entscheidung des AG obergerichtlicher Rechtsprechung standhält, erscheint zweifelhaft, da bei Wohnwagen und Fahrrädern eine Abrechnung nach den Beschaffungskosten eines Neuwohnwagens bzw. Neufahrrads möglich ist. Die Klage war hier aber auch deshalb abzuweisen, weil die Geschädigte nicht nachgewiesen hatte, dass sie sich ein neuwertiges E-Bike gekauft hat. Dies ist natürlich immer Voraussetzung für eine Abrechnung auf „Neuwagenbasis“.

Quelle: AG Nordhorn, Urt. v. 02.05.2017 – 3 C 1108/16

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