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Schlagwort: Vorrang

Vertrauenstatbestand: Wer beim Einstieg auf Fahrbahnseite zunächst erkennbar innehält, kann im Schadensfall haften

Tür auf, Tür ab! – dieses Phänomen kommt im Straßenverkehr öfters vor. Wer in einer solchen Situation die Haftung übernimmt, ist zumeist eine Frage der Details. Im folgenden Fall des Oberlandesgerichts München (OLG) ging es um einen Fahrgast, der auf der Fahrbahnseite eine Taxitür öffnete – und zwar erst nach ersichtlichem Zögern. Ob genau dieser Umstand für die Haftungsfrage entscheidend war, lesen Sie hier.

Eine Autofahrerin stand mit ihrem Wagen als zweites Fahrzeug auf der rechten Spur vor einer roten Ampel. Rechts vor ihr stand ein Taxi an einem Taxistand. Dorthin ging ein Paar, wobei die Frau hinten rechts einstieg, der Mann hinter dem Taxi herum ging, dessen Tür einen Spalt öffnete, beim Umschalten der Ampel auf Grün und Anrollen des Verkehrs innehielt und dann vor der Tür stehen blieb. Es kam dann dennoch zu einer Kollision zwischen dem Pkw und der Taxitür, weil diese während der Vorbeifahrt geöffnet war oder wurde. Der Halter des Taxis verlangte nun Schadensersatz.

Das OLG wies die Klage jedoch – ebenso wie die Vorinstanz – ab. Es lag seiner Ansicht nach ein Verschulden des Fahrgasts vor. Dabei zu berücksichtigen war, dass die Pkw-Fahrerin zuerst anfuhr, während der Fahrgast neben dem Taxi in einem Abstand von 80 cm zwischen den Fahrzeuglängsseiten auf dem rechten Fahrstreifen stand. Die Autofahrerin durfte also zu Recht darauf vertrauen, der Fahrgast werde in der eingenommenen Position verharren und die Tür nicht weiter öffnen. Sie war sich nämlich bei ihrer Anhörung vor dem Senat sicher, dass der Fahrgast, nachdem er um das Heck des Taxis herumgegangen war, die linke Hand am Türgriff hatte, ganz nah mit dem Körper am Auto stand und innehielt. Dabei habe sie sich noch gedacht, dass er doch längst hätte einsteigen können. Genau dieser geäußerte Gedanke war für den Senat entscheidend. Denn unter diesen besonderen Umständen bestand in dem längeren Warten ein Vertrauenstatbestand, der Fahrgast werde nun den Vorrang des fließenden Verkehrs beachten.

Hinweis: Der erforderliche seitliche Sicherheitsabstand zwischen fließendem und haltenden Verkehr richtet sich nach den Umständen des Einzelfalls und kann den sonst beim Überholen oder der Vorbeifahrt erforderlichen Seitenabstand von einem Meter durchaus unterschreiten. Dabei kommt es – wie so oft – auf die konkrete Verkehrssituation an.

Quelle: OLG München, Urt. v. 07.10.2020 – 10 U 1455/20

Thema: Verkehrsrecht

Unfallschwerpunkt Haltestelle: Vorrang des Fahrzeugverkehrs gilt bei erkennbar haltendenden Bussen nur eingeschränkt

Am rechten Fahrbahnrand hielten zwei Omnibusse hintereinander. Aus dem ersten Bus stieg ein Kind aus und kreuzte vor ihm die Straße. Hierbei kam es zu einer Kollision mit einem Pkw, der mit einer Geschwindigkeit von 15 bis 20 km/h mit einem Seitenabstand von etwa zwei Metern an den haltenden Bussen vorbeifuhr.

Das Amtsgericht Backnang hat sowohl auf Seiten des Pkw-Fahrers als auch auf Seiten des Kindes ein 50%iges Mitverschulden am Zustandekommen des Unfalls angenommen. Von Pkw-Fahrern, die an haltenden Bussen vorbeifahren, werden eine erhöhte Aufmerksamkeit und Bremsbereitschaft sowie eine sorgfältige Beobachtung der Verkehrssituation verlangt. Sie können in einem solchen Fall nicht einfach darauf vertrauen, dass ihnen ihr durchaus gegebener Vorrang Fußgängern gegenüber auch tatsächlich eingeräumt wird. Vielmehr wird eine derart reduzierte Geschwindigkeit verlangt, dass etwa vor plötzlich auftauchenden Fahrgästen – insbesondere Kindern – rechtzeitig angehalten werden kann. Andererseits hat das Kind den Unfall mitverursacht, weil es den grundsätzlichen Vorrang des Fahrzeugverkehrs nicht beachtet hatte. Wer zu Fuß eine Fahrbahn überquert, muss den Fahrzeugverkehr berücksichtigen.

Hinweis: An Omnibussen des Linienverkehrs, die an Haltestellen stehen, darf nur vorsichtig vorbeigefahren werden. Wenn der Linienbus die Warnblinkanlage eingeschaltet hat oder der Fahrzeugverkehr gezwungen ist, rechts an dem Bus vorbeizufahren, ist die Schrittgeschwindigkeit einzuhalten.

Quelle: AG Backnang, Urt. v. 19.05.2015 – 5 C 799/14
Thema: Verkehrsrecht