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31. Juli 2016
Vereinzeltes Fortbestehen: Ausnahmen bei der generellen Nichtigkeit erfolgreich angefochtener Testamente

Letztwillige Verfügungen können aus verschiedenen Gründen angefochten werden, zum Beispiel wenn der Erblasser getäuscht oder bedroht wurde oder – wie im folgenden Fall – wenn der Erblasser ein Kind übergangen hat, das erst nach der Testamentserrichtung geboren wurde.

Ein Mann hatte mit seiner Frau zwei Kinder. Ungefähr ein Jahr vor der Geburt des zweiten Kindes errichtete er ein notarielles Testament, in dem er seinen erstgeborenen Sohn zum Alleinerben erklärte und seine Frau aus steuerlichen Gründen enterbte. Nach dem Tod des Erblassers focht die Ehefrau das Testament mit der Begründung an, dass der Mann sein zweites Kind nicht übergehen wollte.

Das Gericht musste nun zunächst die Frage klären, ob der Mann sein zweites Kind bewusst enterbt hatte. Allein die Tatsache, dass er sein Testament nach der Geburt seines zweiten Kindes nicht geändert hatte, ließ nach Auffassung des Gerichts nicht darauf schließen, dass er dieses Kind habe übergehen wollen – er war schließlich kurz nach dessen Geburt im Alter von nur 47 Jahren gestorben. Die Anfechtung war somit zulässig.

Im zweiten Schritt musste das Gericht nun darüber entscheiden, welche Auswirkungen diese Anfechtung hat. Es stellte zwar fest, dass eine Anfechtung generell zur Nichtigkeit des gesamten Testaments führt. Es bleiben unter Umständen jedoch einzelne Verfügungen für den Fall wirksam, wenn positiv zu bewerten ist, dass sie der Erblasser auch getroffen hätte, wenn er zum Zeitpunkt der Errichtung des Testaments Kenntnis von dem weiteren Pflichtteilsberechtigten gehabt hätte. Da der Verstorbene nach Auffassung des Gerichts die Enterbung der Ehefrau aus steuerlichen Gründen auch angeordnet hätte, wäre das zweite Kind schon geboren gewesen, blieb diese einzelne Verfügung daher bestehen. Ansonsten war das Testament nichtig: Die Kinder wurden jeweils zur Hälfte zu Erben.

Hinweis: Bei der Anfechtung einer letztwilligen Verfügung sollte genau überlegt werden, welche Konsequenzen diese hat. Bei der Nichtigkeit eines Testaments können die gesetzliche Erbfolge, die Regelungen aus einem früheren Testament oder auch einzelne Regelungen aus dem angefochtenen Testament zum Tragen kommen. In kompliziert gelagerten Fällen sollte daher besser fachkundiger Rat eingeholt werden.

Quelle: OLG Schleswig, Beschl. v. 07.12.2015 – 3 Wx 108/15
Thema: Erbrecht