Wille eines Zwölfjährigen: Wechselmodell kann auch bei andauerndem Elternkonflikt durchgesetzt werden
Nachdem der Bundesgerichtshof 2017 klargestellt hat, dass Gerichte auch gegen das Veto einer Mutter das Wechselmodell erzwingen können, sind die Störung der elterlichen Kommunikation, die fehlende Kooperationsfähigkeit und die sogenannte Hochkonflikthaftigkeit weiterhin die häufigsten K.-o.-Kriterien für dieses Umgangsmodell. Zunehmend gehen Gerichte auch damit allerdings sehr differenziert um und prüfen, ob diese gestörte Elternebene nicht in allen Betreuungsmodellen gleichermaßen schädlich ist und es die Situation sogar entschärfen könnte, wenn zwischen den Eltern kein Machtgefälle mehr empfunden wird.
In diesem Fall war 2021 für das Amtsgericht (AG) ausschlaggebend gewesen, dass das damals elfjährige Kind sich nach einer Zeit, in der es den Vater in jeder zweiten Woche von Donnerstagnachmittag bis Dienstagmorgen getroffen hatte, einen Woche-Woche-Wechsel gewünscht hatte. Da die Entscheidung des AG sofort wirksam war, wurde dies dann auch vorläufig umgesetzt, obwohl die Mutter zum Oberlandesgericht (OLG) in Beschwerde ging. Bis zur einer Entscheidung 2022 nach einer gescheiterten Mediation der Eltern konnte man somit bereits auf ein Jahr Wechselmodellerfahrung zurückblicken. Das Kind wollte diese Umgangsform immer noch, beschrieb diese Regelung als besser als zuvor und zudem als „fair“. Praktische Probleme habe es nicht gegeben. Eine vernünftige, am Kindeswohl orientierte Kooperation und Kommunikation zwischen den Eltern war jedoch immer noch kaum möglich. Es fehlte weiterhin an gegenseitigem Respekt und Vertrauen, die direkte Kommunikation war eingestellt. Der massive Elternkonflikt war zudem Gegenstand eines Sorgerechtsverfahrens bezüglich einer ärztlichen Behandlung, da das Kind seit Jahren Verhaltensauffälligkeiten wegen des andauernden Elternkonflikts zeigte.
Die Kooperations- und Kommunikationsfähigkeit der Eltern ist nach OLG aber nur ein Abwägungsgesichtspunkt, der im Einzelfall zurücktreten kann. Gegenüber anderen Betreuungsgestaltungen – wie etwa dem zuvor praktizierten erweiterten Umgang des Vaters mit seinem Sohn – stellte das Wechselmodell nach dem „Prinzip der Schadensminimierung“ das für das Kind am wenigsten schädliche und damit im Vergleich beste Betreuungsmodell dar. Alle für die Durchführung des Wechselmodells bedeutsamen Fragen seien zwischen den Eltern geklärt. Daher funktioniere das Wechselmodell in der Praxis im Wesentlichen reibungslos.
Den klaren, gut begründeten und im Verfahren mehrfach geäußerten Willen des inzwischen fast Zwölfjährigen konnte das OLG nicht übergehen. Das hohe Gerechtigkeitsempfinden des Kindes sei zu respektieren. Das gelte auch vor der Überlegung, dass das Kind Opfer eines Loyalitätskonflikts sei und nur „Ruhe“ wolle. Der konstant geäußerte Wunsch nach hälftiger Betreuung stelle seine psychische Lebenswirklichkeit dar. Eine Nichtbeachtung des Willens berge die Gefahr einer Schwächung der kindlichen Selbstwirksamkeitserwartung mit voraussichtlich negativen Folgen für seine psychische Entwicklung.
Hinweis: Das OLG entschied ohne Sachverständigen, weil es die Sachlage nach Anhörung des Kindes so eindeutig fand, dass es von einem Sachverständigengutachten keinen erheblichen Erkenntnisgewinn erwartete. Üblicherweise werden in solchen Verfahren jedoch Gutachten über die Familie eingeholt, die die Eltern viele tausend Euro kosten, wenn sie nicht Verfahrenskostenhilfe gewährt bekommen haben.
Quelle: OLG Dresden, Beschl. v. 14.04.2022 – 21 UF 304/21