Ablenkende Werbung: Schutz des Lebens und der körperlichen Unversehrtheit siegt über Kunstbegriff
Wer ein Auto führt, sollte stets dafür sorgen, dass die eigene Konzentration dem sicheren Straßenverkehr gilt statt beispielsweise dem Handy. Dass aber auch äußere Umstände für Ablenkungen sorgen können, welche die eigene Sicherheit und die anderer Verkehrsteilnehmer gefährden können, zeigt der folgende Fall des Vewaltungsgerichtshofs München (VGH).
Die Besitzerin einer großen Halle ließ an deren Front zwei große Fassadengemälde anbringen. Eines der beiden Gemälde enthielt einen von der nebenherführenden Bundesstraße gut lesbaren Schriftzug, der Werbung für die Umgebung machte. Die außerörtliche Straße war rund 40 Meter von der Halle entfernt, aufgrund der landwirtschaftlichen Nutzung der davor liegenden Flächen waren die Gemälde von der Straße aus dank Extrabeleuchtung selbst nachts gut sichtbar. Die zuständige Behörde erließ eine Beseitigungsanordnung, da die Gemälde die Aufmerksamkeit der Autofahrer in einem derartigen Umfang auf sich ziehen, dass eine Gefahr für den Straßenverkehr entstehe. Dagegen legte die Betroffene Einspruch ein: Sie berief sich auf die Kunstfreiheit und darauf, dass die Gemälde aufgrund der landwirtschaftlichen Motive keine wirkliche Ablenkung bedeuten. Zudem bot sie an, eine schnellwachsende Hecke als Sichtschutz zu pflanzen. Das genügte der Behörde nicht – die Sache ging vor Gericht.
Der VGH gab der Behörde Recht. Die großflächigen Gemälde – insbesondere der Schriftzug – stellen laut § 33 Straßenverkehrs-Ordnung eine Verkehrsbeeinträchtigung dar. Der Standort der Halle liege zwar innerorts, der Schriftzug könne aber bereits außerhalb der geschlossenen Ortschaft von Verkehrsteilnehmern wahrgenommen werden, was durchaus auch so gewollt sei. Durch den Schriftzug können Verkehrsteilnehmer auf der Bundesstraße bereits vor der Ortstafel in einer verkehrsgefährdenden oder -erschwerenden Weise abgelenkt werden. Es komme dabei auch nicht darauf an, ob es bereits zu einer Gefährdung kam – es sei nicht auszuschließen, dass eine Ablenkung der Autofahrer zu einer Gefährdung werde. Da es sich um eine Bundesstraße handele, sei davon auszugehen, dass auch Ortsunkundige die Straße nutzen und somit kein Gewöhnungseffekt erwartet werden könne. Bis die Bepflanzung einen Sichtschutz biete, seien die Gemälde daher zu verdecken oder zu entfernen.
Hinweis: Entsteht durch Werbung eine relevante Gefährdung durch Ablenkung von Verkehrsteilnehmern außerhalb geschlossener Ortschaften, ist angesichts des hohen Rangs des Lebens und der körperlichen Unversehrtheit in Zusammenhang mit der insoweit dem Staat obliegenden Schutzpflicht eine Beseitigungsanordnung auch dann gerechtfertigt, wenn die Werbung oder Propaganda dem Kunstbegriff des Art. 5 Abs. 3 Satz 1 Grundgesetz unterfällt.
Quelle: VGH München, Beschl. v. 08.06.2022 – 3 S 22.380