Ein „Nichts“ von 40.000 EUR: Testamentsauslegung vom eindeutigen Wortlaut hin zum allgemeinen Sprachgebrauch
Zwischen der Testamentserstellung und dem tatsächlichen Erbfall kann viel geschehen. Wie diese neuen Umstände mit dem Wortlaut in der letzten Verfügung in Einklang zu bringen sind, müssen immer wieder Gerichte klären. Im folgenden Fall musste das Brandenburgische Oberlandesgericht (OLG) ein „Nichts“ in Höhe von 40.000 EUR gerecht aufteilen.
Die Erblasserin, die im Jahr 2020 verstarb, hatte im Jahr 2002 ein Testament errichtet und angeordnet, dass eine ihrer Töchter sämtliche beweglichen Gegenstände wie Möbel und Hausrat erhalten solle. Das Testament enthielt darüber hinaus Hinweise auf Schenkungen an die weitere Tochter, die die Erblasserin bereits zu Lebzeiten getätigt hatte. Außerdem enthielt das Testament folgende Formulierung: „Zu erben ist nichts mehr“. Im Jahr 2008 bestätigte die Erblasserin den Inhalt ihrer zuvor getroffenen Verfügung. Zum Zeitpunkt der Errichtung des Testaments hatte die Erblasserin kein nennenswertes Vermögen, zum Zeitpunkt ihres Todes allerdings Ersparnisse in Höhe von ca. 40.000 EUR. Die Tochter, die in dem Testament das Mobiliar erhalten sollte, vertrat im Erbscheinsverfahren die Ansicht, dass sie Alleinerbin nach ihrer Mutter geworden sei. Die Schwester hingegen war der Ansicht, dass gesetzliche Erbfolge eingetreten sei. Dieser Ansicht hatte sich auch zunächst das erstinstanzliche Amtsgericht angeschlossen, dass aufgrund des Umstands, dass es nichts zu erben gebe, keine Regelung zur Änderung der Erbfolge getroffen werden sollte.
Das OLG hob die Entscheidung jedoch auf. Auch wenn die Erblasserin ihrer Tochter vermeintlich nur einzelne Gegenstände zuwenden wollte – was eher für eine Anordnung eines Vermächtnisses spricht -, war vorliegend von einer Erbeinsetzung auszugehen. Denn die Erblasserin war davon ausgegangen, dass diese Gegenstände ihr Hauptvermögen darstellten. Die Formulierung, dass es nichts mehr zu erben gebe, bezog sich nach der Auslegung des Testaments durch das OLG lediglich auf die zweite Tochter, die bereits zu Lebzeiten der Erblasserin Zuwendungen erhalten hatte. Der Umstand, dass die Erblasserin zum Zeitpunkt der Errichtung des Testaments über kein weiteres nennenswertes Vermögen verfügte, zum Zeitpunkt ihres Todes jedoch Ersparnisse vorhanden waren, ändere an der Bewertung nichts, da es ausschließlich auf die Vorstellungen der Erblasserin zum Zeitpunkt der Errichtung des Testaments ankam.
Hinweis: Bei der Auslegung ist zunächst vom eindeutigen Wortlaut der Verfügung nach dem allgemeinen Sprachgebrauch auszugehen. Nur wenn der Wortlaut des Testaments mehrere Deutungen zulässt, können bei der Auslegung auch Umstände außerhalb des Testaments herangezogen werden.
Quelle: Brandenburgisches OLG, Beschl. v. 18.04.2023 – 3 W 19/23