Entführtes Kind: Keine Rückführung zum Vater ins Kriegsgebiet Ukraine
Der Ukrainekrieg hat längst auch die Familiengerichte erreicht. Das Oberlandesgericht Stuttgart (OLG) hatte sich mit dem Antrag eines ukrainischen Vaters zu befassen, der nicht damit einverstanden war, dass die Mutter im März 2022 mit dem Baby (geboren 2021) nach Deutschland geflohen war.
Die Familie hatte zusammen in Odessa gelebt, wo es zu Luftangriffen durch die russische Armee gekommen war. Die Eltern waren bei Fliegeralarm mit dem Kind in ein Auto geflüchtet und hatten die Nächte in einer Tiefgarage verbracht. Die Mutter nahm das Kind auf ihrer Flucht mit, der Vater durfte wegen der Generalmobilmachung der Ukraine nicht ausreisen. Er begehrte im Oktober 2022 im Eilverfahren die Rückführung nach dem Haager Übereinkommen betreffend internationale Kindesentführung (HKÜ). Nachdem das Amtsgericht (AG) das abgelehnt hatte, verlangte er vor dem OLG hilfsweise, dass das Kind in die Republik Moldau gebracht werden müsse. Er habe dort bereits eine Wohnung für Mutter und Kind angemietet.
Wie das AG bestätigte auch das OLG, dass es sich hierbei zwar um eine internationale Kindesentführung gehandelt habe, deren Rechtsfolge es im Grundsatz ist, dass das Kind in den Ausgangsstaat zurückgeführt werden müsse. Die internationalen Abkommen sehen eigentlich nicht vor, dass das Land, in dem das Kind sich befindet, eine Kindeswohlprüfung durchführt. Die steht nur dem Land zu, in dem das Kind bis zur Entführung gelebt habe. Mit dem Grundsatz „status quo ante“ soll verhindert werden, dass der Entführer sich der Rechtsprechung eines Staates entziehen und im Zufluchtsstaat das Verfahren zwecks aufwendiger Kindeswohlprüfung verzögern kann.
Zugleich gibt es aber hier eine Härteklausel. Und die wandten beide Gerichte angesichts der Kriegsssituation an. Das Auswärtige Amt habe für das gesamte Land eine Reisewarnung ausgesprochen. Nach Auswertung der Nachrichtensituation sei nicht davon auszugehen, dass es in der Ukraine sichere Orte gebe. Das Kind könne durch eine Rückführung in Lebensgefahr geraten. Die Möglichkeit, das Kind in die Nähe des Vaters, nämlich in die Republik Moldau, zu bringen, scheiterte daran, dass das HKÜ so etwas nicht vorsieht, dort keine internationale Zuständigkeit für Sorgerechtsstreitigkeiten gegeben war und die Mutter zu diesem Kompromiss nicht bereit war.
Hinweis: Das OLG verhandelte mit dem Vater – der ja nicht ausreisen durfte – und dessen ukrainischem Rechtsanwalt per Videokonferenz. Die Corona-Situation hat die technischen Ausrüstungen der Gerichte und die Bereitschaft der Richter zu Videoverhandlungen vielerorts beschleunigt.
Quelle: OLG Stuttgart, Beschl. v. 13.10.2022 – 17 UF 186/22