Erbschaft in Marokko: Über den Einsatz außerhalb der EU vererbten Vermögens im Sozialrecht
Leistungsempfänger im Sozialrecht müssen in einem gewissen Umfang vorhandenes Vermögen vorrangig zur Deckung ihres täglichen Lebensbedarfs einsetzen. Dies gilt auch dann, wenn der Leistungsbezieher durch Erbschaft zu Vermögen kommt. Das Sozialgericht Gießen (SG) musste sich in diesem Zusammenhang mit der Frage beschäftigen, welches Erbrecht in einem Fall anzuwenden ist, bei dem das Immobilienvermögen in Marokko lag, der Erblasser aber deutscher Staatsangehöriger war.
Die Witwe des verstorbenen Ehemanns war seit Jahren bereits Leistungsbezieherin bei dem zuständigen Jobcenter. Der Erblasser hatte zwei Töchter aus einer ersten Ehe. Zwischen der Witwe und dem Jobcenter war streitig, ob die Frau überhaupt Erbin nach dem verstorbenen Ehemann geworden sei. Aus diesem Grund hatte sich das SG mit der Frage zu beschäftigen, welches Erbrecht anzuwenden war – insbesondere, da die Immobilie außerhalb der EU lag.
Für Erbfälle, die nach dem 17.08.2015 eingetreten sind und die einen Auslandsbezug haben, gilt die sogenannte EU-Erbrechtsverordnung, die im Grunde auf den gewöhnlichen Aufenthalt des Erblassers abstellt, wenn dieser eine EU-Staatsangehörigkeit besitzt. Da der gewöhnliche Aufenthalt hier in Deutschland lag, war nach Ansicht des Gerichts deutsches Recht anzuwenden. Das Gericht hat zudem geprüft, zu welchem Ergebnis man gelangen würde, fände marokkanisches Recht Anwendung: Nach marokkanischem Recht bestimmt sich die Erbfolge nach dem Tod eines Ausländers nach dem Recht des Landes seiner Staatsangehörigkeit.
Hinweis: Sozialrechtlich besteht eine grundsätzliche Pflicht, ein solches Erbe geltend zu machen und einzusetzen. Zumindest muss ein Erbschein beantragt werden, was die Witwe bislang nicht getan hatte. Das Jobcenter bewilligt auf Antrag auch Leistungen zur Beantragung eines Erbscheins.
Quelle: SG Gießen, Urt. v. 20.04.2022 – S 29 AS 279/20