Erster Anschein oder Sichtfahrgebot? Wer die geöffnete Fahrertür weit in die Gegenfahrbahn ragen lässt, trägt überwiegende Haftung
Mit einem sogenannten „Dooring“-Unfall der etwas anderen Art war im Folgenden das Landgericht Saarbrücken (LG) befasst. Hierbei handelte es sich nicht etwa um einen Radfahrer, der durch das unvorsichtige Öffnen einer Autotür zu Schaden kam, sondern um einen Unfall zweier Autofahrer. Deren Versicherungen waren nämlich unterschiedlicher Auffassung, wer die Schäden zu verantworten hatte, nachdem eine Fahrerin in die weit geöffnete Fahrertür des anderen auf der Gegenfahrbahn gefahren war.
Der Autofahrer hielt bei Dunkelheit am Fahrbahnrand an und öffnete seine Fahrertür, die dann bis in die Mitte der Gegenfahrbahn hineinragte. Er hatte das Standlicht und die Innenbeleuchtung eingeschaltet. Da das geparkte Fahrzeug hinter einer Kuppe stand, fuhr die ihm auf der Gegenfahrbahn entgegenkommende Frau in die Tür hinein. Nun verlangten beide Beteiligten Schadensersatz – doch beide Versicherer verweigerten die Zahlung. Auf der einen Seite verwies die Versicherung des Parkenden auf das sogenannte Sichtfahrgebot, wonach den Lichtverhältnissen entsprechend so langsam gefahren werden muss, dass Hindernisse rechtzeitig erkannt werden können. Auf der anderen Seite war die Versicherung der Ansicht, dass das so weite Öffnen einer Tür bei Dunkelheit und hinter einer Straßenkuppe grob verkehrswidrig sei.
Das LG teilte durchaus die Ansicht der Versicherung der Frau, dass der Türöffner überwiegend hafte – aber in diesem Fall zu 2/3 und nicht zu 100 %. Denn es sei nach dem ersten Anschein zutreffend, dass eine in die Gegenfahrbahn hineinragende Tür als hauptursächlich für eine solche Kollision angesehen werden muss, noch dazu, wenn das Fahrzeug hinter einer Kuppe steht. Dennoch trifft auch die andere Beteiligte hier ein Mitverschulden. Wenn sie die gesamte Fahrbahnbreite ausgenutzt hätte, wäre sie an dem Hindernis vorbeigekommen. Daher sei erwiesen, dass sie entweder aus Unachtsamkeit oder wegen Verstoßes gegen das Sichtfahrgebot gegen die Tür gefahren sei. Also hafte sie zu 1/3 mit.
Hinweis: Nach § 14 Abs. 1 Straßenverkehrsordnung (StVO) müssen sich Ein- bzw. Aussteigende so verhalten, dass eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen ist. Diese Sorgfaltsanforderung gilt für die gesamte Dauer eines Ein- oder Aussteigevorgangs – also für alle Vorgänge, die in einem unmittelbaren zeitlichen und örtlichen Zusammenhang damit stehen, bis hin zum Schließen der Fahrzeugtür nach dem Wiedereinstieg und dem Verlassen der Fahrbahn. Die Sorgfaltspflicht des § 14 Abs. 1 StVO beschränkt sich dabei auch nicht ausschließlich auf solche Vorgänge, bei denen sich durch das unvorsichtige Öffnen einer Fahrzeugtür ein Überraschungsmoment für andere Verkehrsteilnehmer ergibt. Wird beim Ein- oder Aussteigen ein anderer Verkehrsteilnehmer geschädigt, spricht insoweit schon der Beweis des ersten Anscheins für eine fahrlässige Sorgfaltspflichtverletzung des Ein- oder Aussteigenden.
Quelle: LG Saarbrücken, Urt. v. 11.11.2022 – 13 S 23/22