Formelhafte Argumente reichen nicht: Ohne individuelle Abwägung keine dauerhafte geschützte Unterbringung für 89-Jährige
Menschen in geschützten Abteilungen unterbringen zu lassen, ist eine Maßnahme, die nur auf Basis fallindividueller konkreter Anhaltspunkte erlassen werden darf. Und so musste im folgenden Fall wieder einmal der Bundesgerichtshof (BGH) seine schützenden Hände über eine Patientin halten, deren Unterbringung zwar naheliegend sei, für die diese Augenscheinlichkeit allein jedoch keinen Freiheitsentzug bedeuten dürfe.
Eine 89-Jährige litt schon Jahrzehnte unter einer bipolaren Störung (manisch-depressiv). Im Alter war erschwerend eine Demenz hinzugekommen. Sie stand unter Betreuung. Es war aufgrund ihres Verhaltens schwierig, für sie ein offenes Pflegeheim zu finden. Deshalb war sie schon seit zwei Jahren auf einer geschützten Abteilung für Gerontopsychiatrie untergebracht und sollte nun dauerhaft geschützt untergebracht werden.
Amtsgericht und Landgericht (LG) hatten das zwar für weitere zwei Jahre genehmigt – der BGH hob diese Genehmigung aber wieder auf. Er hielt die Maßnahme zwar nicht für ausgeschlossen, aber die Begründung der Gerichte beschränke sich auf formelhafte Wendungen. Das reiche so nicht aus. Konkrete Anhaltspunkte für die Gefahr des Eintritts eines erheblichen Gesundheitsschadens ohne Unterbringung habe das LG nicht festgestellt. Auch in dem Sachverständigengutachten fehlte es an konkreten Anhaltspunkten für eine Gefahrenlage. Der Betreuungsrichter habe es versäumt, die krankheitsbedingten Einschränkungen auf eine konkrete Gefahrenlage für die Betroffene zu übertragen. Ferner fehle es auch an der erforderlichen Relation zum möglichen Schaden für die Betroffene.
Hinweis: Gemäß § 1906 Abs. 1 Nr. 1 Bürgerliches Gesetzbuch ist eine Unterbringung des Betreuten durch den Betreuer, die mit Freiheitsentziehung verbunden ist, nur dann zulässig, wenn eine ernstliche und konkrete Gefahr für Leib und Leben des Betreuten besteht. Ob das Verhalten des Betreuten fremdgefährdend ist, darf keine Rolle spielen.
Quelle: BGH, Beschl. v. 20.07.2022 – XII ZB 81/22