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Schlagwort: LG Kiel

Kollision mit Überholer: Wer ein Grundstück befährt oder verlässt, den treffen besondere Sorgfaltspflichten

Kommt es im unmittelbaren zeitlichen und örtlichen Zusammenhang mit dem Ein- oder Ausfahren aus einem Grundstück zu einer Kollision mit dem fließenden Verkehr, spricht der Beweis des ersten Anscheins für ein Verschulden des Ein- bzw. Ausfahrenden.

Vom Gelände einer Schlachterei kommend wollte ein Verkehrsteilnehmer rechts abbiegen. Als er sich bereits auf der Fahrbahn befand, kam es zu einer Kollision mit einem von rechts entgegenkommenden Fahrzeug, das gerade eine Radfahrerin überholte. Unklar blieb, wie weit der Abbiegende bereits auf der Fahrbahn gefahren war, als es zur Kollision kam. Der Abbiegende verlangte von dem entgegenkommenden Pkw-Fahrer Schadensersatz.

Das Landgericht Kiel hat die Schadensersatzansprüche abgelehnt, weil der Verkehrsunfall allein von dem Abbiegenden verursacht wurde. Dieser habe sich beim Abbiegen so zu verhalten, dass eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen ist. Kommt es im unmittelbaren zeitlichen und räumlichen Zusammenhang mit dem Ein- und Ausfahren zu einer Kollision mit dem fließenden Verkehr, spricht der Beweis des ersten Anscheins für ein Verschulden des Ein- bzw. Ausfahrenden. Er kann sich dabei nicht darauf berufen, dass der Entgegenkommende nicht hätte überholen dürfen. Überholverbote bezwecken nicht den Schutz des aus einem Grundstück in die Fahrbahn einfahrenden Verkehrsteilnehmers. Das Vorfahrtsrecht der auf der Straße fahrenden Fahrzeuge gegenüber einem auf eine Straße Einfahrenden gilt grundsätzlich für die gesamte Fahrbahn. Der aus einem Grundstück kommende Fahrer muss sich darauf einstellen, dass der ihm gegenüber Vorfahrtberechtigte in diesem Sinne von seinem Recht Gebrauch macht.

Hinweis: Das Urteil macht deutlich, welche besonderen Sorgfaltspflichten an denjenigen gestellt werden, der ein Grundstück verlässt. Er darf sich nicht nur nach links absichern, sondern muss auch den von rechts kommenden Verkehr beobachten, insbesondere daraufhin, ob Fahrzeuge möglicherweise zum Überholen ansetzen. Gleiches gilt im Übrigen auch für denjenigen, der vom Fahrbahnrand anfährt.

Quelle: LG Kiel, Urt. v. 13.05.2016 – 1 S 2/15
Thema: Verkehrsrecht

Unfall ohne Kollision: Nur der tatsächlich geleistete Beitrag entscheidet über die Schuldfrage

Grundsätzlich kann ein Pkw-Fahrer auch dann haften, wenn es bei dem Unfall nicht zu einer Berührung zwischen seinem Fahrzeug und einer Radfahrerin gekommen ist. Allerdings reicht die bloße Anwesenheit des Fahrzeugs an der Unfallstelle nicht aus.

Eine Radfahrerin befuhr mit ihrem E-Bike innerorts einen neben der Straße verlaufenden kombinierten Geh- und Radweg, der in beide Richtungen befahrbar war. In einem Kreuzungsbereich stürzte die Fahrradfahrerin und zog sich eine Beinfraktur zu. Sie behauptete, ihr Bremsvorgang sei erforderlich gewesen, weil aus ihrer Sicht von links ein Pkw herankam, der ihr offensichtlich die Vorfahrt nehmen wollte. Zum Zeitpunkt der Einleitung ihrer Vollbremsung sei sie noch 5 m vom Kreuzungsbereich entfernt gewesen. Demgegenüber behauptet der Pkw-Fahrer, dass er bereits 25 bis 30 Sekunden im Einmündungsbereich gestanden habe, bevor es zu dem Sturz der Radfahrerin gekommen ist.

Das Landgericht Kiel vertritt die Auffassung, dass Schmerzensgeldansprüche der Radfahrerin nicht begründet sind. Die Radfahrerin konnte aufgrund widersprüchlicher Zeugenaussagen nicht nachweisen, dass ihr Sturz im Zusammenhang mit dem Betrieb des gegnerischen Pkw stand. Für eine Verursachung kommt es maßgeblich darauf an, ob der Unfall in einem nahen örtlichen und zeitlichen Zusammenhang mit einem bestimmten Betriebsvorgang oder einer bestimmten Betriebseinrichtung eines Fahrzeugs steht. Die reine Anwesenheit eines Kraftfahrzeugs an der Unfallstelle allein rechtfertigt keine solche Annahme. Erforderlich ist vielmehr, dass die Fahrweise oder der Betrieb des Fahrzeugs zur Unfallentstehung beigetragen hat.

Hinweis: Um Schadensersatz- bzw. Schmerzensgeldansprüche mit Erfolg durchzusetzen, ist nicht immer erforderlich, dass es zu einer Berührung der beteiligten Fahrzeuge gekommen ist. Entscheidend ist, dass ein Beitrag zur Entstehung des Unfalls geleistet wurde.

Quelle: LG Kiel, Urt. v. 16.09.2015 – 6 O 75/15

Thema: Verkehrsrecht