Skip to main content

Schlagwort: Quelle: BVerfG

Kindschaftssache scheitert: Jugendamt kann selbst keine Verfassungsbeschwerde gegen eine gerichtliche Entscheidung einlegen

So brisant der folgende Fall auch ist, zeigt er auch besonders deutlich, wie wichtig es ist, den korrekten Rechtsweg zu beschreiten. Daher ist es besonders in Kindschaftssachen wichtig, darauf zu achten, wer welche Rechte und Möglichkeiten hat. Sonst geraten die Dinge aus dem Lot – so wie im folgenden Fall, der in seiner Konstellation nicht an das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hätte herangetragen werden sollen.

Ein Kind lebte bei seiner Mutter, die das alleinige Sorgerecht innehielt. Dann zog die Frau mit der Tochter zu ihrem Partner. Das Heikle an der eigentlich selbstverständlich erscheinenden neuen Lebenssituation war, dass dieser Mann ein Jahr zuvor wegen Sexualstraftaten an Kindern zu einer Bewährungsstrafe verurteilt worden war. Und so kam das Jugendamt ins Spiel. Über mehrere Instanzen endete das Verfahren damit, dass entgegen der Anregung des Amts der Mutter die elterliche Sorge nicht entzogen wurde. Sie wurde lediglich angehalten, eine Familienberatung aufzusuchen. Gegen diese Entscheidung legte das Jugendamt schließlich Verfassungsbeschwerde ein.

Das BVerfG wies die Verfassungsbeschwerde jedoch zurück, ohne in der Sache selbst eine Entscheidung zu treffen. Denn das Gericht erkannte darauf, dass das Jugendamt nicht berechtigt war, Verfassungsbeschwerde einzulegen. Dazu hätte es in eigenen Rechten verletzt sein müssen – und nicht die Rechte des Kindes. Denn das Kind wurde von einem Verfahrensbeistand vertreten, der die Entscheidung des Vorgerichts hingenommen hatte, weswegen das Jugendamt dagegen vorging. Stattdessen hätte aber ein Ergänzungspfleger bestellt werden können, damit dieser die Verfassungsbeschwerde im Namen des Kindes hätte einlegen können. Das war aber nicht geschehen. Allein der Umstand, dass das Jugendamt mit der Sache befasst war und sich um das Kind zu kümmern hat, berechtigt die Behörde aber nicht, den Fall vor das BVerfG zu bringen.

Hinweis: Der Fall zeigt, dass es in Kindschaftssachen nicht einfach nur um die Frage geht, was im Sinne des Wohls des Kindes richtig oder falsch ist. Wichtig ist auch, dass die gesetzlichen Regeln für das Vorgehen eingehalten werden. Das ist den oft bzw. meist emotional unmittelbar Beteiligten nur schwer möglich. Wichtig ist es deshalb, einen Berater zur Seite zu haben, der mit distanziertem Blick die Sache betrachtet und konstruktiv weiterhilft.

Quelle: BVerfG, Beschl. v. 15.12.2020 – 1 BvR 1395/19

Thema: Familienrecht

Mindestunterhalt bei Gesundheitseinschränkungen: Fiktive Einkünfte dürfen nicht ohne hinreichende gerichtliche Feststellungen angerechnet werden

Hat ein Unterhaltspflichtiger nur geringe Einkünfte, ist er damit nicht automatisch von der Verpflichtung befreit, Unterhalt zu zahlen. Gegebenenfalls ist mit erzielbaren und also fiktiven Einkünften zu rechnen. Was dabei zu beachten ist, hat das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) dargelegt.

Die betreffenden Kinder lebten beim Vater. Die Mutter – Floristin, psychisch vorbelastet und in Teilzeit arbeitend – sollte folglich Unterhalt zahlen. Ärztlich angeraten wurden ihr nur bis zu 16 Arbeitsstunden wöchentlich, tatsächlich arbeitet sie jedoch 20 Stunden. Dennoch reichte dies für den Kindesunterhalt nicht aus. Nur wenn sie in Vollzeit einer Tätigkeit nachgehen würde, stünden ihr ausreichend Mittel zur Verfügung, den Mindestunterhalt für die Kinder zu zahlen. Das Oberlandesgericht Naumburg (OLG) hatte sie deshalb in zweiter Instanz auf der Basis fiktiver Einkünfte zur Zahlung von Unterhalt verpflichtet. Das BVerfG hob die Entscheidung jedoch auf.

Zunächst ist es am Unterhaltspflichtigen, darzutun und zu beweisen, warum es ihm nicht möglich sei, den geforderten Mindestunterhalt zu leisten. Die Anforderungen sind hoch, denn es gilt der generelle Grundsatz, dass selbst jemand ohne Ausbildung und in selbst schwierigen Arbeitsmarktphasen den Mindestunterhalt zahlen könne. Gegebenenfalls müsse dafür auch ein Nebenjob angenommen werden – bis zu 48 Stunden Arbeit pro Woche seien zumutbar. Streng zu prüfen sei also jede Behauptung, es könne sogar der Mindestunterhalt nicht gezahlt werden. Zweifel und Unklarheiten gehen zwar erst einmal zu Lasten des Unterhaltspflichtigen – doch in dem hier behandelten Fall hätte zunächst näher der Frage nachgegangen werden müssen, inwieweit die Mutter gesundheitsbedingt außerstande war, mehr zu arbeiten. Und genau dabei hatte es sich das OLG etwas zu einfach gemacht: Wenn sie nach ärztlicher Vorgabe nur 16 Stunden arbeiten könne, tatsächlich aber 20 Stunden arbeite, dann seien ihr auch 40 Stunden möglich. So einfach ist es in den Augen des BVerfG dann doch nicht: Es verwies den Fall wegen eines Verfassungsverstoßes zurück an das OLG und fordert es nach eingehender Prüfung der individuellen Gesamtumstände zur erneuten Entscheidung auf.

Hinweis: Die Unterhaltsverpflichtung spielt auch im Fall von Arbeitslosigkeit eine Rolle. Wer arbeitslos ist, kann sich nicht darauf beschränken, sich arbeitslos zu melden. Er muss auch selber initiativ werden und von sich aus auf Stellenanzeigen reagieren, damit er seine Unterhaltspflichten erfüllen kann.

Quelle: BVerfG, Beschl. v. 09.11.2020 – 1 BvR 697/20

Thema: Familienrecht

Kündigung nach rassistischer Äußerung: Das Grundrecht der Meinungsfreiheit zieht bei Herabsetzung der Menschenwürde den Kürzeren

Die Gerichte zeigen bei rassistischen Äußerungen harte Kante und sehen in aller Regel eine Kündigung aus diesem Grund auch als gerechtfertigt an. Ein Mann wollte dies jedoch nicht hinnehmen und rief dazu das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) an.

Das Mitglied eines Betriebsrats war mit einem Kollegen aneinandergeraten. Dabei hatte er sich gegenüber dem Kollegen mit dunkler Hautfarbe abfällig geäußert und versucht, affenähnliche Geräusche mit den Worten „Ugah, Ugah!“ nachzumachen. Der Arbeitgeber kündigte dem Mann deshalb fristlos, der bereits einmal ergebnislos wegen einer vergleichbaren Äußerung abgemahnt worden war. Dieser klagte dagegen an und scheiterte damit durch alle Instanzen. Schließlich rief er nun das BVerfG mit einer Verfassungsbeschwerde an, da er sein Grundrecht auf Meinungsäußerungsfreiheit als verletzt ansah.

Die Verfassungsbeschwerde war aber unbegründet, und die Verfassungsrichter stellten klar, dass die Arbeitsgerichte durch ihre Entscheidungen das Grundrecht auf Meinungsfreiheit des Betriebsrats nicht verletzt hatten. Die grundgesetzlich geschützte Meinungsfreiheit tritt nämlich dann zurück, wenn herabsetzende Äußerungen die Menschenwürde anderer Personen antasten. Das gilt vor allem, wenn es sich dabei um Beleidigungen handelt.

Hinweis: Die Klage gegen die Kündigung hat der Arbeitnehmer in allen Instanzen verloren. Arbeitnehmer sollten stets daran denken, dass eine Kündigungsschutzklage binnen drei Wochen nach Zugang der Kündigung erhoben sein muss. Andernfalls ist die Kündigung nur noch in wenigen Ausnahmefällen angreifbar.

Quelle: BVerfG, Urt. v. 02.11.2020 – 1 BvR 2727/19

Thema: Arbeitsrecht

Zellengröße: Auch Strafgefangene genießen das Recht auf Menschenwürde

Auch Strafgefangene haben Rechte, wie dieser Fall zeigt, den letztendlich sogar das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) bestätigt hat.

Ein Strafgefangener war für ein halbes Jahr in einer Einzelzelle mit einer Fläche von 5,25 m² und einer räumlich nicht abgetrennten Toilette untergebracht, in der er täglich zwischen 15 und 21 Stunden verbringen musste. Er brachte seinen Fall zunächst vor den Verfassungsgerichtshof Berlin, der mit seinem Urteil bestätigte, dass diese Form der Unterbringung eine Verletzung der Menschenwürde darstellt. Auch urteilte das Gericht, dass die Haftbedingungen binnen zwei Wochen zu ändern sind. Als diese Frist von der Gefängnisverwaltung um drei Tage überzogen worden war, zog der Kläger vor das BVerfG – und dieses befand, dass das Grundrecht auf Menschenwürde durch diese Überziehung eindeutig verletzt worden ist. Die fortdauernde Inhaftierung auch nach Ablauf der Übergangsfrist war ein schuldhaftes Handeln, das somit amtshaftungsrechtliche Ansprüche finanzieller Art auslöste.

Hinweis: Die Verwaltung hatte Zeit genug, die menschenunwürdigen Umstände zu beenden. Da dieses nicht erfolgte, muss der Staat nun zahlen.

Quelle: BVerfG, Beschl. v. 14.07.2015 – 1 BvR 1127/14
Thema: Sonstiges