Beweis des ersten Anscheins: Nach Unfall beim Reißverschlussverfahren haftet der unvorsichtige Einfädler allein
Ereignet sich ein Verkehrsunfall im Zusammenhang mit einem Spurwechsel im Reißverschlussverfahren, greifen die Grundsätze des Anscheinsbeweises.
Ein Autofahrer wechselte im Rahmen eines Reißverschlussverfahrens in die Spur, in der sich ein Lkw befand. Dort bremste er seinen Wagen nach dem Spurwechsel bis zum Stillstand ab, woraufhin der Lkw auf das Heck des Pkw auffuhr.
Das Oberlandesgericht München entschied, dass den Einfädler die alleinige Schuld an dem Verkehrsunfall trifft. Für dessen Verschulden spricht der Beweis des ersten Anscheins, der hier nicht widerlegt werden konnte. Denn zu den entscheidenden Parametern – nämlich dem Zeitraum zwischen dem Stillstand des Pkw und der Kollision sowie dem Abstand zwischen dem Lkw und dem Auto bei Einleitung des Spurwechsels – konnte der Spurwechsler keine konkreten Angaben machen. Damit ist nach Auffassung des Gerichts nach den Grundsätzen des Anscheinsbeweises davon auszugehen, dass der Autofahrer den Fahrstreifen gewechselt hat, ohne eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer auszuschließen. Eine Mithaftung aus der Betriebsgefahr auf Seiten des Lkw-Fahrers tritt hinter den Verstoß vollständig zurück, bei einem Spurwechsel keine äußerste Sorgfalt walten haben zu lassen.
Hinweis: Die Verhaltensanforderungen beim Spurwechsel im Zusammenhang mit dem Reißverschlussverfahren sind in § 7 Abs. 4 Straßenverkehrsordnung geregelt. Das Reißverschlussverfahren ist bei Fahrbahnverengungen, endenden Fahrstreifen und Verkehrsbehinderungen anzuwenden. Hierbei gilt die Regel, dass das Fahrzeug, das auf dem freien Fahrstreifen fährt, zuerst fahren darf und derjenige, der die Spur wechselt, den Wechsel rechtzeitig anzuzeigen sowie äußerste Sorgfalt zu beachten hat.
Quelle: OLG München, Urt. v. 21.04.2017 – 10 U 4565/16
Thema: Verkehrsrecht