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Schlagwort: BVerfG

Mietpreisbremse ist verfassungsgemäß: Deutschlandweit unterschiedliche Mietobergrenzen verstoßen nicht gegen den Gleichheitsgrundsatz

Bei neuen gesetzlichen Regelungen steht oftmals die Frage im Raum, ob die entsprechenden Gesetze gegen verfassungsgemäße Rechte verstoßen könnten. Auch die sogenannte „Mietpreisbremse“ musste sich kürzlich vor dem Bundesverfassungsgericht (BVerfG) auf etwaige Grundrechtsverletzungen prüfen lassen. Aber lesen Sie selbst.

Zunächst einmal zur Faktenlage, was die Mietpreisbremse eigentlich ist: Die Mietpreisbremse besagt, dass die Miete bei Neuvermietungen von Wohnungen in Gebieten mit einem sogenannten „angespannten Wohnungsmarkt“ die ortsübliche Vergleichsmiete um höchstens 10 % übersteigen darf. Dabei dürfen die Bundesländer für maximal fünf Jahre bestimmen, welche Gebiete von dieser angespannten Lage betroffen sind. Bereits im Jahr 2015 wurde so zum Beispiel für Berlin eine entsprechende Rechtsverordnung erlassen, die das gesamte Stadtgebiet für diesen fünfjährigen Zeitraum als Gebiet mit einem angespannten Wohnungsmarkt bestimmt.

Nun hatte sich ein Mieter gegen die Vereinbarung einer die höchstzulässige Miete bei Mietbeginn übersteigenden Miete gewandt. Der Mieter meinte, es würde gegen das Gleichheitsgebot verstoßen, dass die zulässige Mietobergrenze anhand der ortsüblichen Vergleichsmiete bestimmt wird, was zu deutschlandweit unterschiedlichen Mietobergrenzen führt. Deshalb wäre die Mietpreisbremse verfassungswidrig. Damit lag er allerdings falsch.

Die Mietpreisbremse ist laut BVerfG durchaus verfassungsgemäß und verstößt somit weder gegen die Garantie des Eigentums noch gegen die Vertragsfreiheit. Die Miethöhenregulierung ist erforderlich und den Vermietern zumutbar. Es verstößt ebenso wenig gegen den bemängelten Gleichheitsgrundsatz, dass die zulässige Mietobergrenze anhand der ortsüblichen Vergleichsmiete bestimmt wird, was zu deutschlandweit unterschiedlichen Mietobergrenzen führt.

Hinweis: Die Mietpreisbremse ist verfassungsgemäß und verstößt nicht gegen das Grundgesetz. Nun bleibt abzuwarten, ob dadurch auch die gewünschte Entspannung des Wohnungsmarkts eintreten wird.

Quelle: BVerfG, Urt. v. 18.07.2019 – 1 BvL 1/18

Thema: Mietrecht

Verfassungsbeschwerde erfolgreich: Bei Suizidgefahr darf Vollstreckungsschutz bei Zwangsversteigerungsverfahren nicht versagt werden

Dass bei Entscheidungen trotz aller Vorschriften vor allem die Verhältnismäßigkeit im Auge behalten werden sollte, gilt insbesondere bei der drohenden Gefahr von Leib und Leben. Entsprechend musste im Folgenden das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) mit der Frage betraut werden, ob die Gefahr einer Selbsttötung grundsätzlich einer Zwangsräumung entgegensteht.


Gegen eine Hauseigentümerin wurde die Zwangsräumung eingeleitet. Das von ihr bewohnte Haus sollte versteigert werden. Daraufhin beantragte die Frau Vollstreckungsschutz beim Gericht. Sie meinte, die Fortführung des Versteigerungsverfahrens gefährde ihre Gesundheit und ihr Leben. Der mit dem Zuschlag verbundene Verlust ihres Hausgrundstücks werde eine unkontrollierbare psychische Überbelastung verursachen und einen Suizid sehr wahrscheinlich machen. Als die Gerichte diesen Antrag abwiesen, bemühte die Eigentümerin das BVerfG – mit Erfolg.

Die Ablehnung der vorübergehenden Einstellung der Zwangsvollstreckung war in der Tat verfassungswidrig. Zwar ist eine Einstellung nicht notwendig, sofern der Gefahr der Selbsttötung durch geeignete Maßnahmen begegnet werden kann. Hier wurde jedoch der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit missachtet. Ein Sachverständiger hatte die Unterbringung in einer Anstalt gegen den Willen der Betroffenen als zweiten Schritt empfohlen, wenn diese innerhalb von sechs Monaten keine entsprechenden Fortschritte machen würde. Besteht eine durch einen Sachverständigen festgestellte erhebliche Wahrscheinlichkeit, dass die Herausnahme aus dem Haus eine Suizidgefahr auslösen könnte, ist die Versagung des Vollstreckungsschutzes unverhältnismäßig – selbst wenn eine psychiatrische, nicht stationäre Behandlung erfolgsversprechend ist.

Hinweis: Eine Suizidgefahr eines Schuldners – also ebenso eines Mieters – kann also einen Anspruch auf Vollstreckungsschutz bedeuten und damit einer Zwangsräumung entgegenstehen.

Quelle: BVerfG, Urt. v. 15.05.2019 – 2 BvR 2425/18

Thema: Mietrecht

Familienschutz greift nicht: Nach illegalem Filesharing müssen Eltern als Anschlussinhaber an der Aufklärung mitwirken

Sich und seine Familie zu schützen, gehört hierzulande zu den Grundrechten. Dass das Grundgesetz jedoch nicht dazu dient, sich um rechtliche Konsquenzen nach einer Urheberrechtsverletzung zu drücken, beweist der folgende Fall des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG).

Hier waren Eltern die Inhaber des familiären Internetanschlusses. Über diesen Anschluss war ein Musikalbum auf einer Internettauschbörse zum Herunterladen angeboten worden. Dagegen ging der Inhaber der Albumrechte vor. Die Eltern weigerten sich jedoch, Schadensersatz und die Rechtsanwaltsgebühren zu zahlen. Sie meinten, dass sie ihren Anschluss während der maßgeblichen Zeit selbst nicht genutzt hätten. Auch wüssten sie, dass eines ihrer Kinder den Anschluss genutzt hatte, wollten aber nicht sagen, welches. Nachdem das Ehepaar sämtliche Instanzen verloren hatte, zog es vor das BVerfG – ebenfalls vergeblich.

Das Grundrecht auf Achtung des Familienlebens aus Art. 6 Abs. 1 GG war zwar berührt worden. Dieses Recht schützt die Eltern nicht vor ihrer zivilprozessualen Verpflichtung, zu offenbaren, welches Familienmitglied den Internetanschluss genutzt hat, wenn darüber eine Urheberrechtsverletzung begangen wurde. Der Schutz der Familie dient nicht dazu, sich aus taktischen Erwägungen der eigenen Haftung für die Verletzung von Rechten des geistigen Eigentums zu entziehen. Familienangehörige müssen sich nicht gegenseitig belasten, wenn der konkret Handelnde nicht ermittelbar ist. Eltern dürfen schweigen, müssen dann aber auch die Konsequenzen tragen – und zahlen.

Hinweis: Eltern müssen also mitteilen, welches ihrer Kinder eine Rechtsgutverletzung begangen hat. Andernfalls können sie deshalb einen Prozess verlieren.

Quelle: BVerfG, Urt. v. 18.02.2019 – 1 BvR 2556/17

Thema: Sonstiges

Schenkung bei Verheirateten: Besonderheiten der ehelichen Gemeinschaft rechtfertigen Ungleichbehandlung bei Zehnjahresfrist

Ein Pflichtteilsberechtigter kann bei einer Schenkung des Erblassers an einen Dritten ergänzend den Betrag verlangen, um den sich der Pflichtteil erhöht, wenn der verschenkte Gegenstand dem Nachlass hinzugerechnet wird. Dabei werden jedoch nur Schenkungen berücksichtigt, die maximal zehn Jahre zurückliegen. Bei einer Schenkung an den Ehegatten beginnt diese Frist allerdings erst mit Auflösung der Ehe. So müssen bei miteinander Verheirateten alle Schenkungen berücksichtigt werden – ganz egal, wie lange sie auch zurückliegen. Eine hiervon betroffene Witwe hielt dies für verfassungswidrig und zog vor das Bundesverfassungsgericht (BVerfG).


Ein Mann hatte seiner Frau mehr als zehn Jahre vor seinem Tod ein mit einem Mietshaus bebautes Grundstück geschenkt. Nach seinem Tod verlangte dessen Sohn aus erster Ehe Auskunft über den Wert des Grundstücks, um mögliche Pflichtteilsergänzungsansprüche geltend zu machen. Die Frau weigerte sich jedoch und legte Verfassungsbeschwerde ein. Das BVerfG musste ihr jedoch widersprechen.

Die Norm ist nach Auffassung der Richter durchaus nicht verfassungswidrig und muss daher angewendet werden. Die ehetypische wirtschaftliche Verflechtung und die aus der Ehe resultierenden gegenseitigen Ansprüche rechtfertigen eine solche Ungleichbehandlung der Schenkungen. So kann der schenkende Ehegatte den Gegenstand typischerweise weiterhin nutzen, was bei einer Schenkung an andere nicht der Fall ist. Die Witwe musste daher Auskunft erteilen und den Pflichtteil gegebenenfalls entsprechend erhöhen.

Hinweis: Schenkungen zu Lebzeiten werden häufig eingesetzt, um den Nachlass noch zu Lebzeiten zu regeln oder um Steuern zu sparen und Pflichtteilsansprüche zu reduzieren. Bei Schenkungen unter Ehegatten kann die letzte Wirkung jedoch nicht erzielt werden, da Schenkungen bis zur Auflösung einer Ehe voll angerechnet werden. Daher empfiehlt es sich, hier fachkundigen Rat einzuholen, um geeignetere Regelungen zu finden.

Quelle: BVerfG, Beschl. v. 26.11.2018 – 1 BvR 1511/14

Thema: Erbrecht

Verfassungsgemäße Ungleichbehandlung: Gewerkschaftsmitglieder dürfen bevorzugt werden, wenn der Beitritt ohne Zwang und Druck erfolgt

Wer die Wahl hat, hat bekanntlich oft auch die Qual. So kann man sich als Arbeitnehmer beispielsweise frei dazu entscheiden, kein Mitglied einer Arbeitnehmervertretung zu werden. Dass man dann aber folglich auch mit Nachteilen rechnen und auch leben muss, hat das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) im folgenden Fall verdeutlicht.

 

Zahlungen, die aus einem Sanierungstarifvertrag als Überbrückungs- und Abfindungsleistungen anfielen, sollten nur jenen Beschäftigten zukommen, die Mitglieder der Gewerkschaft waren. Ein Arbeitnehmer, der kein Gewerkschaftsmitglied war und folglich auch keine Leistungen erhielt, fühlte sich durch diese Restriktion benachteiligt und zog vor das BVerfG. Die Verfassungsbeschwerde wurde jedoch nicht zur Entscheidung angenommen.

Tarifliche Differenzierungsklauseln verletzten den Arbeitnehmer nicht in seinem Grundrecht auf negative Koalitionsfreiheit aus Art. 9 Abs. 3 Grundgesetz. Dieser schützt auch die Freiheit, Gewerkschaften fernzubleiben. Daher darf kein Zwang oder Druck auf eine Mitgliedschaft ausgeübt werden. Die Tatsache, dass organisierte Arbeitnehmer anders behandelt werden als nicht organisierte Beschäftigte, bedeutet aber noch keine Grundrechtsverletzung. Solange sich nur ein eventueller faktischer Anreiz zum Beitritt ergibt, aber weder Zwang noch Druck entstehen, muss bei Nichtbeitritt ein daraus entstehender Nachteil als Preis der Wahlfreiheit hingenommen werden.

Hinweis: Eine unterschiedliche Behandlung gewerkschaftlich organisierter und nicht gewerkschaftlich organisierter Arbeitnehmer in einem Tarifvertrag ist also verfassungsgemäß.

Quelle: BVerfG, Urt. v. 14.11.2018 – 1 BvR 1278/16

Thema: Arbeitsrecht

Hohes Rechtsgut Freiheit: Jede einzelne Fixierung über 30 Minuten ist als Freiheitsentziehung reine Richtersache

Das Freiheitsrecht ist hierzulande ein hohes Gut und darf nur in Ausnahmefällen entsprechend eingeschränkt werden. Und über solche Ausnahmen, in denen ein Mensch durch derlei Maßnahmen entweder vor sich selbst geschützt werden soll oder seine Umwelt vor ihm, entscheiden in Deutschland zum Glück die Gerichte. Ein ebenso hoch zu schätzender Umstand ist es, dass sich Verfahrenspfleger der Wahrung des Freiheitsrechts jener Menschen annehmen, die dazu selbst nicht in der Lage sind. Ein solcher Verfahrenspfleger legte sich dazu nun sogar mit dem Land Baden-Württemberg an – und zwar mit Erfolg!

Die sogenannte Fünf-Punkt-Fixierung ist die Fesselung aller Extremitäten sowie des Bauchbereichs an ein Krankenbett. Und genau um diese ging es in dem Fall eines Patienten, der in einer geschlossenen psychiatrischen Einrichtung untergebracht war. Dessen Fixierung war über mehrere Tage wiederholt ärztlich angeordnet worden, wogegen sich sein Verfahrenspfleger wandte. Er erhob unmittelbar Verfassungsbeschwerde gegen den die Fixierung anordnenden amtsgerichtlichen Beschluss sowie mittelbar gegen § 25 Abs. 3 des baden-württembergischen Gesetzes über Hilfen und Schutzmaßnahmen bei psychischen Krankheiten, auf dessen Grundlage der Beschluss erging. Und das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) teilte die Meinung des engagierten Verfahrenspflegers.

Die einschlägige Vorschrift des Landes Baden-Württemberg ist verfassungswidrig. Der baden-württembergische Gesetzgeber – der bisher keine spezielle Regelung für Fixierungen vorsah – wurde seitens des BVerfG verpflichtet, bis zum 30.06.2019 einen entsprechend verfassungsgemäßen Zustand herzustellen. Denn die Fixierung eines Patienten stellt einen Eingriff in dessen Grundrecht auf Freiheit der Person nach Art. 2 Abs. 2 Satz 2 Grundgesetz (GG) dar. Und dieses Freiheitsrecht ist ein besonders hohes Rechtsgut.

Ob ein Eingriff in die persönliche Freiheit vorliegt, hängt lediglich vom tatsächlichen, natürlichen Willen des Betroffenen ab. Schutz ist daher auch dem psychisch Kranken und nicht voll Geschäftsfähigen garantiert. Eine Freiheitsentziehung als schwerste Form der Freiheitsbeschränkung liegt vor, wenn die Bewegungsfreiheit nach jeder Richtung hin aufgehoben wird. Sie setzt eine besondere Eingriffsintensität und eine nicht nur kurzfristige Dauer (länger als 30 Minuten) voraus. Jede einzelne Freiheitsentziehung unterliegt dem Richtervorbehalt nach Art. 104 Abs. 2 Satz 1 GG und ist nicht etwa von einer bereits vorliegenden richterlichen Unterbringungsanordnung gedeckt.

Hinweis: Bei einer nicht nur kurzfristigen Fixierung von Patienten in öffentlich-rechtlichen Unterbringungen handelt es sich also um eine Freiheitsentziehung, die einem Richtervorbehalt unterliegt. Vor allem Pflegekräfte sollten dieses Urteil beherzigen, da schnell eine Strafbarkeit entstehen kann.

Quelle: BVerfG, Urt. v. 24.07.2018 – 2 BvR 309/15

Thema: Sonstiges

BVerfG spricht Machtwort: Rechtsprechungsänderung gestaltet das Befristungsrecht arbeitnehmerfreundlicher

Dass sich selbst hohe gerichtliche Instanzen irren können, zeigt der folgende Fall, bei dem das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) als Hüter der Verfassung einer erfolgten Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) die rote Karte zeigte.

Ein Mann, der bereits in früheren Jahren bei einem Unternehmen beschäftigt gewesen war, wurde vom selbigen erneut sachgrundlos befristet beschäftigt – was laut dem Vorbeschäftigungsverbot aus § 14 Abs. 2 Satz 2 Teilzeit- und Befristungsgesetz (TzBfG) jedoch unzulässig ist. Doch zu solchen Konstellationen hatte das BAG bereits in einem anderen Verfahren entschieden, dass eine erneute sachgrundlose Befristung nach Ablauf von drei Jahren durchaus zulässig sei. Das sah das BVerfG nun völlig anders und erklärte die Auffassung des BAG für verfassungswidrig.

Laut BVerfG kann das Vorbeschäftigungsverbot aus § 14 Abs. 2 Satz 2 TzBfG nicht dahingehend ausgelegt werden, dass eine weitere sachgrundlose Befristung zwischen denselben Vertragsparteien zulässig ist, wenn zwischen den Arbeitsverhältnissen ein Zeitraum von mehr als drei Jahren liegt. Unzumutbar ist ein generelles Verbot der sachgrundlosen Befristung bei nochmaliger Einstellung bei demselben Arbeitgeber lediglich, sofern keine Gefahr der Kettenbefristung in Ausnutzung der strukturellen Unterlegenheit der Beschäftigten besteht. Ebenso ist das Verbot der sachgrundlosen Befristung nicht erforderlich, um das unbefristete Arbeitsverhältnis als Regelbeschäftigungsform zu erhalten. Das kann dann der Fall sein, wenn die Vorbeschäftigung entweder sehr lang zurückliegt, ganz anders geartet war oder von sehr kurzer Dauer gewesen ist. Beispiele für derartige Konstellationen sind etwa geringfügige Nebenbeschäftigungen während der Schul- und Studienzeit oder der Familienzeit, die Tätigkeit von Werkstudierenden oder die lang zurückliegende Beschäftigung von Menschen, die sich später beruflich völlig neu orientieren.

Hinweis: Das Befristungsrecht ist damit arbeitnehmerfreundlicher geworden. Denn eine zweite sachgrundlose Befristung eines Arbeitsverhältnisses zwischen denselben Vertragsparteien ist auch dann nicht einfach deshalb zulässig, weil zwischen den Arbeitsverhältnissen ein Zeitraum von mehr als drei Jahren liegt.

Quelle: BVerfG, Beschl. v. 06.06.2018 – 1 BvR 1375/14

Thema: Arbeitsrecht

Kindeswohl entscheidet: Die Übertragung des Sorgerechts auf einen Elternteil verletzt die Grundrechte des anderen nicht

Verheirateten Eltern steht zunächst immer die gemeinsame elterliche Sorge über ihre Kinder zu, und auch Trennung und Scheidung ändern daran erst einmal nichts. Dabei ist aber vor allem, wenn es um Kinder geht, nichts in Stein gegossen. Eine Änderung kann also auch hier ausdrücklich gerichtlich beantragt werden. Worauf es dabei ankommt, hat nun das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) klären müssen.

Im betreffenden Fall leben zwei Jungen seit der Trennung ihrer nahezu heillos zerstrittenen Eltern bei ihrer Mutter. Zum Vater haben beide Kinder keinen Kontakt mehr. So beantragte die Mutter schließlich, die elterliche Sorge über die Söhne auf sie allein zu übertragen. In zweiter Instanz wurde diesem Antrag schließlich vom Oberlandesgericht (OLG) stattgegeben. Doch dann rief der Vater das BVerfG an, was immer dann infrage kommt, wenn man sich in seinen Grundrechten verletzt fühlt. Doch das BVerfG hat die Verfassungsbeschwerde zurückgewiesen.

Im Mittelpunkt der Frage, ob die elterliche Sorge auf einen Elternteil zu übertragen ist, steht eindeutig das Kindeswohl. Bei der Bewertung dieses Umstands hat der Wille des Kindes bzw. der Kinder logischerweise ein umso stärkeres Gewicht, je älter diese sind. Im hiesigen Fall waren die Kinder bereits 15 und 17 Jahre alt. Folglich wog ihr Wunsch, nichts mehr mit dem Vater zu tun haben zu wollen, entsprechend schwer. Schließlich prüfte der Senat noch die sogenannte Konsensfähigkeit der Eltern und sprach den beiden diese Fähigkeit aufgrund des mitterweile eingetretenen Kommunikationsstillstands ab. Und zu guter Letzt wurde gewichtet, dass über Jahre kein Kontakt mehr zwischen den Söhnen und ihrem Vater bestand und alle notwendigen gemeinsamen Entscheidungen nur über Anwälte oder in gerichtlichen Verfahren herbeigeführt wurden. Unter diesen Umständen ist es nicht zu beanstanden, dass das OLG die elterliche Sorge auf die Mutter allein übertragen hat.

Hinweis: Auf die Frage einer Kindeswohlgefährdung kam es dem Gericht nicht an. Die Gefährdung sei nur relevant, wenn den Eltern die elterliche Sorge insgesamt genommen werden solle, um sie auf einen Dritten zu übertragen – nicht aber, wenn sie auf einen Elternteil allein übergehen soll.

Quelle: BVerfG, Beschl. v. 22.03.2018 – 1 BvR 399/18

Thema: Familienrecht

Geschlechtsbezeichnung „inter/divers“: Bundesverfassungsgericht fordert Gesetzgeber zur Aktualisierung des Personenstandgesetzes auf

Nach diesem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) sollten Arbeitgeber schnellstmöglich tätig werden.

Eine Person verfügte über einen Chromosomensatz mit einem X-Chromosom und einem fehlenden zweiten Gonosom. Deshalb beantragte sie die Berichtigung ihres Geburtseintrags beim Standesamt. Sie wollte, dass ihre bisherige Geschlechtsangabe „weiblich“ gestrichen und die Angabe „inter/divers“, hilfsweise nur „divers“, eingetragen werden sollte. Ein Verlangen, über das schließlich das BVerfG entscheiden musste.

Nach dessen Richtern schützt das allgemeine Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 Grundgesetz auch die geschlechtliche Identität derjenigen, die sich dauerhaft weder dem männlichen noch dem weiblichen Geschlecht zuordnen lassen. Diese Personengruppe muss nach Ansicht des Gerichts ebenfalls vor Diskriminierungen wegen ihres Geschlechts geschützt werden. Das Personenstandsrecht darf sie nicht dazu zwingen, ihr Geschlecht als weiblich oder männlich eintragen zu lassen. Das BVerfG hat den Gesetzgeber deshalb aufgefordert, bis zum 31.12.2018 im Personenstandsgesetz eine entsprechende neue Regelung zu treffen.

Hinweis: Nicht nur der Gesetzgeber ist gefordert. Auch Arbeitgeber sollten ihre Stellenanzeigen anpassen. Denn: Benachteiligungen wegen des Geschlechts sind nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz verboten.

Quelle: BVerfG, Beschl. v. 10.10.2017 – 1 BvR 2019/16

Thema: Sonstiges

Neutralität und Unparteilichkeit: Hessen untersagt das Tragen eines Kopftuchs in richterlichen Funktionen

Im Bundesland Hessen regelt nun ein Erlass, wann in der Justiz aus religiösen Gründen ein Kopftuch getragen werden darf und wann nicht.

Sobald sie auf der Richterbank sitzen und Sitzungsleitungen sowie Beweisaufnahmen durchführen oder Sitzungsvertretungen für die Staatsanwaltschaft übernehmen, dürfen Rechtsreferendarinnen in Hessen bei Verhandlungen im Gerichtssaal kein Kopftuch aus religiösen Gründen tragen. Dagegen ging eine Referendarin im einstweiligen Rechtsschutzverfahren vor – vergeblich. Denn dieser Eingriff in ihre Grundrechte während bestimmter Tätigkeiten im Rechtsreferendariat war mit dem Kopftuchverbot zeitlich und örtlich begrenzt. Die weitaus überwiegenden Teile der Ausbildung waren davon nicht betroffen. Richter müssen unparteiisch und neutral sein. Und das gilt auch für Rechtsreferendare.

Hinweis: Die Rechtsreferendarin ist also mit ihrem Eilantrag gegen das Kopftuchverbot in der hessischen Justiz gescheitert. Wenn religiöse Zeichen verboten werden sollen, dann generell und am besten ohne einen aktuellen Anlass.

Quelle: BVerfG, Urt. v. 27.06.2017 – 2 BvR 1333/17

zum Thema: Arbeitsrecht