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Schlagwort: LG München II

Einsichtsfähigkeit und Entschlusskraft: Schadensersatzanspruch von operierter 16-Jähriger mit entsprechender Entscheidungsreife abgelehnt

Vor einer Operation von Minderjährigen sollten in der Regel die Erziehungsberechtigten zustimmen. Wie es aber mit Regeln meist ist: Es gibt hierbei Ausnahmen, die Gerichte auch an der vorhandenen Einsichtsfähigkeit der minderjährigen Person ausrichten. Welche Folgen sich für Jugendliche in solchen Fällen ergeben, stellte das Landgericht München I (LG) im Folgenden klar.

Eine 16-Jährige hatte sich während eines Auslandsaufenthalts in den USA einen Kreuzbandriss im linken Kniegelenk zugezogen. Es erfolgte zunächst eine physiotherapeutische Behandlung vor Ort. Nach ihrer Rückkehr stellte sie sich in einer Arztpraxis vor. Der dortige Arzt empfahl einen operativen Kreuzbandersatz und setzte der Patientin eine Kreuzbandplastik, bestehend aus einer körpereigenen Sehne, in das Kniegelenk ein. Dann kam es noch zu einer Folgeoperation durch denselben Arzt. Als das Knie weiterhin schmerzte, entfernte ein anderer Arzt die Kreuzbandplastik und implantierte eine neue. Nun behauptet die 16-Jährige, von dem ersten Arzt falsch behandelt worden zu sein. Der Kreuzbandersatz sei nicht erforderlich gewesen. Außerdem sei die Operation fehlerhaft gewesen. Ferner seien weder sie noch ihre Mutter ordnungsgemäß aufgeklärt worden. Sie forderte ein Schmerzensgeld von mindestens 10.000 EUR.

Der Arzt hatte aber nach Meinung des LG alles richtig gemacht. Auch konnte die 16-Jährige bereits selbst entscheiden. Mit einem Alter von 16 Jahren und sechs Monaten hatte sie offensichtlich eine Reife erlangt, die hier nicht nur eine erforderliche Einsichtsfähigkeit, sondern auch die nötige Entschlusskraft vermittelte, sich für oder gegen den Eingriff zu entscheiden. Dies beruhte nicht nur auf der Einschätzung der Mutter, sondern auch darauf, dass die 16-Jährige vor der Operation bereits ein halbes Schuljahr alleine in den USA verbracht hatte. Insoweit hatte sie in den Eingriff eingewilligt.

Hinweis: Es zeigt sich, dass die Altersgrenze „18“ längst nicht vor allem schützt. Besteht eine entsprechende Einsichtsfähigkeit bei dem minderjährigen Patienten, kommt es auch auf seine Zustimmung bzw. sein Veto bei einer Operation an.

Quelle: LG München II, Urt. v. 22.09.2020 – 1 O 4890/17

Thema: Sonstiges

Provisionsanspruch verwirkt: Immobilienmakler, die das Objekt ihres Auftraggebers abwerten, begehen einen Pflichtverstoß

Wer einen Immobilienmakler beauftragt, sollte sich auf dessen rechtmäßige Loyalität verlassen dürfen. Ob ein Makler seine Provision riskiert, wenn er von diesem Prinzip abrückt, zeigt das folgende Urteil des Landgerichts München II (LG).

Es ging um einen Rechtsstreit zwischen einem Makler und dessen Kunden. Der Verkäufer einer Wohnanlage beauftragte den Makler damit, die Anlage zu verkaufen. Der Makler übersandte einem Interessenten, der schließlich später auch tatsächlicher Käufer wurde, ein Expose über das Objekt sowie Objektinformationen zu drei weiteren Hausgrundstücken. Dabei teilte er dem Käufer mit, dass im Vergleich aller vier Objekte hinsichtlich Qualität, Vermietung, Lage und Preis das Objekt der Wohnanlage nicht das Beste sei. Man hätte aber gute Chancen, den Kaufpreis noch herunterzuhandeln. Als nach Vertragsabschluss die Provision schließlich nicht gezahlt wurde, klagte der Makler – vergeblich.

Nach Ansicht des LG stand dem Makler die Provision nicht zu. Der entscheidende erhebliche Pflichtverstoß des Klägers lag im Rat an den Käufer, ein anderes Objekt zu erwerben. Denn im Fall eines qualifizierten Alleinauftrags durch den Verkäufer darf der Makler nicht vom Objekt des Verkäufers abraten, indem zugleich anderweitig vorgestellte Objekte als besser bezeichnet werden.

Hinweis: Ein Makler, der auch für die Gegenseite tätig wird, kann also seinen Lohnanspruch verwirken. Außerdem könnte das zudem auch eine strafbare Handlung sein, wenn es tatsächlich um Vermögenswerte geht.

Quelle: LG München II, Urt. v. 16.05.2019 – 11 O 134/18

Thema: Mietrecht

Testier- und Geschäftsunfähigkeit: Gesetzliche Erben können Bevollmächtigten gegenüber Rückgabeansprüche haben

Wird im Rahmen von Erbrechtsstreitigkeiten die Testierunfähigkeit festgestellt, kann das weitreichende Folgen haben – so im folgenden Fall auch für die Bevollmächtigten in einer Erbsache, über die das Landgericht München II (LG) zu befinden hatte.

Eine Frau errichtete am selben Tag ein Testament und eine Vorsorgevollmacht, mit der die Bevollmächtigten schließlich ein Grundstück verkauften. Nach dem Tod der Frau stellte das Gericht fest, dass die Frau testierunfähig und daher das Testament unwirksam war. Die gesetzlichen Erben wandten sich nun auch gegen den Grundstücksverkauf, da auch die Vollmacht nichtig gewesen sei.

Das LG stellte zunächst klar, dass durch das Urteil über das Testament auch die Geschäftsunfähigkeit der Erblasserin hinsichtlich der Vollmacht glaubhaft gemacht wurde. Es führte weiter aus, dass durch Geschäftsunfähige erteilte Vollmachten in jedem Fall nichtig sind und Dritte sich nicht auf den Rechtsschein oder ihren guten Glauben verlassen können. Der Kaufvertrag über das Grundstück war somit unwirksam.

Hinweis: Grundsätzlich werden nach dem Gesetz Dritte geschützt, die nicht wissen können, dass eine Vollmacht nicht (mehr) besteht. Sie sollen sich hier auf den Rechtsschein verlassen können. Dies gilt jedoch nur, wenn der Vertretene bei Erteilung der Vollmacht geschäftsfähig war, denn der Schutz Geschäftsunfähiger ist gegenüber dem Schutzbedürfnis des Verkehrs vorrangig.

Quelle: LG München II, Beschl. v. 24.07.2019 – 2 T 2629/19

Thema: Erbrecht

Grenzen der Testierfreiheit: Testamentarische Schiedsanordnung ist bei Streit über Pflichtteilsansprüche unwirksam

In Testamenten können auch Vorkehrungen dafür getroffen werden, wie eventuelle Streitigkeiten über das Erbe beigelegt werden sollen – zum Beispiel über eine sogenannte Schiedsklausel. Mit dieser wird angeordnet, dass nicht die staatlichen Gerichte im Streitfall entscheiden, sondern ein Schiedsgericht. Schiedsverfahren haben den Vorteil, dass sie zumeist schneller und kostengünstiger sind als vor staatlichen Gerichten und in der Regel nicht-öffentlich. Zudem haben die Schiedsrichter besondere Fachkenntnisse im Erbrecht. Jedoch muss hierbei beachtet werden, dass es bei Schiedsverfahren keine zweite Instanz gibt. Zudem kann die Unabhängigkeit der Schiedsrichter unter Umständen fraglich sein, da diese auch als Rechtsanwälte und/oder Notare tätig sind.

Ein Mann setzte in seinem Testament einen seiner Söhne zum Alleinerben ein und enterbte den zweiten Sohn ausdrücklich. Zudem bestimmte er, dass Streitigkeiten aus dem Testament „vor dem Schlichtungs- und Schiedsgerichtshof der Deutschen Notare (SDH) zu verhandeln“ sind. Der enterbte Sohn wollte dann aber seinen Pflichtteil dennoch vor den staatlichen Gerichten einklagen. Das Landgericht München (LG) musste nun entscheiden, ob die Schiedsanordnung auch in diesem Fall eine Klage vor den staatlichen Gerichten unmöglich machte.

Das LG stellte klar, dass eine Schiedsanordnung nur möglich ist, soweit sie sich im Rahmen der Testier- und Vertragsfreiheit befindet. Aber genau diese Testierfreiheit wird durch das Pflichtteilsrecht beschränkt – es darf im Testament daher kein Schiedsgericht einseitig gegen den Willen einen Pflichtteilsberechtigten verpflichtend angeordnet werden.

Hinweis: Der Erblasser kann in seinem Testament ebenso wie die Erben nach Eintritt des Erbfalls bestimmen, wie Streitigkeiten vor einem Schiedsgericht zu verhandeln sind. Dabei können sie auch die Zusammensetzung und die Mitglieder des Schiedsgerichts sowie die anwendbaren Normen festlegen. Dabei wird häufig auf schon institutionalisierte und etablierte Schiedsgerichte mit eigener Verfahrensordnung zurückgegriffen. Es gibt zwar noch keine höchstrichterliche Entscheidung dazu, jedoch haben verschiedene Gerichte mehrfach bestätigt, dass einseitige Schiedsanordnungen in Testamenten für Pflichtteils- und Pflichtteilsergänzungsansprüche unwirksam sind. Eine entsprechende vertragliche Vereinbarung zwischen den Erben wäre jedoch möglich.

Quelle: LG München II, Urt. v. 24.02.2017 – 13 O 5937/15

zum Thema: Erbrecht