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Schlagwort: Behinderung

Betreuungsunterhalt und Volljährigkeit: Mutter eines behinderten Kindes darf nicht überlastet werden

Einer der Gründe, warum nach der Scheidung noch Unterhalt an den Expartner zu zahlen ist, ist die Kinderbetreuung. In dem Umfang, in dem die Kinderbetreuung an Erwerbstätigkeit hindert, schuldet der andere Elternteil quasi Ersatz des Verdienstausfalls. Die typische Fallgestaltung hierfür sind kleine Kinder bis zum Ende des Grundschulalters. Dass dies bei besonders betreuungsbedürftigen Kindern jedoch auch über die Volljährigkeit hinaus gilt, hat das Oberlandesgericht Frankfurt am Main (OLG) bestätigt.

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Ersatzbeförderung und Ausgleichszahlung: Rollstuhlfahrer durfte Flugzeug erst als Letzter verlassen und verpasste Anschlussflug

Der Bundesgerichtshof (BGH) hat mit dem folgenden Urteil die Rechte von Reisenden mit Handikap enorm gestärkt. Denn hier scheint es, dass ein Mensch durch die Tatsache, auf einen Rollstuhl angewiesen zu sein, eher wie sperriges Gut behandelt wurde. Er musste zuletzt aussteigen und verpasste seinen Anschlussflug. Ob er auf Ausgleich hoffen durfte? Der BGH hat diese Frage beantwortet.

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Berührungsloser Unfall: Auch nach Panikreaktion des Entgegenkommenden haftet der Überholende einer Kolonne voll

Wer sich im Straßenverkehr bewegt, sollte seine Handlungen stets davon abhängig machen, welche Reaktionen anderer Verkehrsteilnehmer und welche Folgen sie im Allgemeinen auslösen können.

Das gilt natürlich auch beim Überholvorgang, der für so manche Autofahrer Alltag ist. Sich im Streitfall auf die eigenen Fähigkeiten zu berufen und diese den anderen Verkehrsteilnehmern abzusprechen, führt hier äußerst selten zum Erfolg.

Eine Frau, die in diesem Fall als Geschädigte auftritt, befuhr außerhalb geschlossener Ortschaften eine Bundesstraße. In Gegenrichtung fuhr ein Autofahrer, der mehrere vor ihm fahrende Fahrzeuge überholen wollte. Als sie das entgegenkommende Fahrzeug auf ihrer Fahrbahn erkannte, wich die Klägerin auf eine rechts neben der Fahrbahn liegende Busspur aus, geriet dabei auf den Grünstreifen und verlor die Kontrolle über ihr Fahrzeug. Ihr Wagen drehte sich, schleuderte auf das auf der Gegenfahrbahn befindlichen Auto eines Zeugen und prallte schließlich gegen das Fahrzeug des Überholenden.

Nach Auffassung des Oberlandesgerichts haftet der Überholende zu 100 %. Denn es sah die Tatsache als erwiesen an, dass der Überholvorgang für den späteren Unfall ursächlich war. Es war für den Fall auch nicht ausschlaggebend, dass das Ausweichmanöver eine Panikreaktion war, deren Unterbleiben womöglich nicht zu einer Kollision mit dem Überholer geführt hätte. Es war der Mann, der sich hier grob verkehrswidrig verhalten hat – er hat trotz Gegenverkehrs eine Kolonne mit mehreren Fahrzeugen überholt. Wer eine Fahrzeugkolonne überholen will, muss stets die Gewissheit haben, dass er sich vor der Annäherung des Gegenverkehrs vor das vorderste Fahrzeug setzen oder aber gefahrlos in eine ausreichende Lücke einfahren kann, ohne andere zu behindern. Und dies war hier nicht gegeben, denn ein Zeuge bekundete, dass er dicht auf das vor ihm fahrende Fahrzeug auffahren musste, um für den Beklagten eine Lücke zu schaffen.

Hinweis: Nach § 5 Abs. 2 Satz 1 StVO darf nur überholen, wer überschauen kann, dass während des gesamten Überholvorgangs jede Behinderung des Gegenverkehrs ausgeschlossen ist. Darüber hinaus muss derjenige, der eine ganze Fahrzeugkolonne überholen will, die Gewissheit haben, dass die Gegebenheiten einen sicheren Abschluss oder einen Abbruch des Manövers ohne Behinderung anderer ermöglichen.

Quelle: Schleswig-Holsteinisches OLG, Urt. v. 24.03.2017 – 7 U 73/16
Thema: Verkehrsrecht

Nicht eingeladen: Öffentlicher Arbeitgeber schuldet schwerbehindertem Bewerber eine Entschädigung

Insbesondere öffentliche Arbeitgeber sind angehalten, schwerbehinderte Bewerber nicht zu diskriminieren. Dass dies nicht immer klappt, zeigt dieser Fall.

Eine Stadt suchte einen „Techn. Angestellte/n für die Leitung des Sachgebiets Betriebstechnik“ des von ihr unterhaltenen Palmengartens. Ein ausgebildeter Zentralheizungs- und Lüftungsbauer sowie staatlich geprüfter Umweltschutztechniker bewarb sich auf die Stelle. Der Bewerber war schwerbehindert mit einem sogenannten Grad der Behinderung von 50. Die Stadt lud den Bewerber nicht zu einem Vorstellungsgespräch ein, sondern entschied sich für jemand anders.

Der Bewerber war deshalb der Auffassung, er sei aufgrund seiner Behinderung diskriminiert worden. Die Stadt sei ihrer Verpflichtung aus dem Neunten Sozialgesetzbuch nicht nachgekommen, ihn zu einem Vorstellungsgespräch einzuladen. Schon allein dieser Umstand begründe die Vermutung, dass er wegen seiner Schwerbehinderung diskriminiert worden sei. Und tatsächlich musste die Stadt eine Entschädigung zahlen. Der Bewerber war nicht von vornherein ungeeignet für die ausgeschriebene Stelle und hätte nach den gesetzlichen Vorgaben eingeladen werden müssen. Die daraus resultierende Entschädigungssumme belief sich auf einen Bruttomonatsverdienst.

Hinweis: Nach dem Neunten Sozialgesetzbuch sind auch private Arbeitgeber verpflichtet zu prüfen, ob freie Arbeitsplätze mit Schwerbehinderten und insbesondere mit arbeitslos oder arbeitssuchend gemeldeten Schwerbehinderten besetzt werden können.

Quelle: BAG, Urt. v. 11.08.2016 – 8 AZR 375/15z
Thema: Arbeitsrecht

Trotz Vorsorgevollmacht: Sicherungs- und Zwangsmaßnahmen bedürfen gerichtlicher Genehmigung

Ist ein Erwachsener krankheitsbedingt oder wegen einer Behinderung außerstande, sich selbst um seine Angelegenheiten zu kümmern, wird ihm ein Betreuer zur Seite gestellt. Soll kein Fremder die Betreuung übernehmen, ist die Errichtung einer Vorsorgevollmacht für diesen Fall sinnvoll. Durch sie kann er selbst bestimmen, wer in welchem Umfang eine betreuende Funktion ausübt, wenn dies erforderlich wird. Diese Vorsorgevollmachten haben aber ihre Grenzen – zum Beispiel, wenn ärztliche Sicherungs- und Zwangsmaßnahmen ergriffen werden sollen.

Lassen die körperlichen Fähigkeiten nach, kann es notwendig werden, einen Menschen im Rollstuhl festzugurten oder sogar ein Gitter am Bett anzubringen, damit er nicht stürzt und sich verletzt. Dies sind die körperliche Bewegungsfreiheit einschränkende Maßnahmen, die nicht ohne Weiteres ergriffen werden dürfen. Sie müssen genehmigt sein.

Fraglich war bisher, ob mit einer Vorsorgevollmacht auch das Recht auf den Bevollmächtigten übertragen werden kann, solche Entscheidungen zu treffen. Das Bundesverfassungsgericht hat nunmehr entschieden, dass solch einschneidende Maßnahmen nur ergriffen werden dürfen, wenn sie durch ein Gericht genehmigt wurden. Eine Vorsorgevollmacht reicht also nicht aus – selbst wenn darin ausdrücklich auch die Befugnis zu derartigen Entscheidungen zum Ausdruck gebracht wurde. Freiheitsentziehende Maßnahmen, so das Gericht, sind so einschneidend, dass sie stets bezogen auf die konkrete Situation überprüft werden müssen. Die pauschale Möglichkeit, die Entscheidungsgewalt in dieser Hinsicht vorab generell auf einen Dritten zu übertragen, wird deshalb abgelehnt.

Hinweis: Vorsorgevollmachten sind wichtig. Auch wenn sie ihre Grenzen haben, ist es angebracht, sich beraten zu lassen und nicht darauf zu bauen, dass sich alles von alleine regelt.

Quelle: BVerfG, Beschl. v. 10.06.2015 – 2 BvR 1967/12zum

Thema: Familienrecht