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Schlagwort: verfassungswidrig

Verfassungsbeschwerde erfolgreich: Bei Suizidgefahr darf Vollstreckungsschutz bei Zwangsversteigerungsverfahren nicht versagt werden

Dass bei Entscheidungen trotz aller Vorschriften vor allem die Verhältnismäßigkeit im Auge behalten werden sollte, gilt insbesondere bei der drohenden Gefahr von Leib und Leben. Entsprechend musste im Folgenden das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) mit der Frage betraut werden, ob die Gefahr einer Selbsttötung grundsätzlich einer Zwangsräumung entgegensteht.


Gegen eine Hauseigentümerin wurde die Zwangsräumung eingeleitet. Das von ihr bewohnte Haus sollte versteigert werden. Daraufhin beantragte die Frau Vollstreckungsschutz beim Gericht. Sie meinte, die Fortführung des Versteigerungsverfahrens gefährde ihre Gesundheit und ihr Leben. Der mit dem Zuschlag verbundene Verlust ihres Hausgrundstücks werde eine unkontrollierbare psychische Überbelastung verursachen und einen Suizid sehr wahrscheinlich machen. Als die Gerichte diesen Antrag abwiesen, bemühte die Eigentümerin das BVerfG – mit Erfolg.

Die Ablehnung der vorübergehenden Einstellung der Zwangsvollstreckung war in der Tat verfassungswidrig. Zwar ist eine Einstellung nicht notwendig, sofern der Gefahr der Selbsttötung durch geeignete Maßnahmen begegnet werden kann. Hier wurde jedoch der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit missachtet. Ein Sachverständiger hatte die Unterbringung in einer Anstalt gegen den Willen der Betroffenen als zweiten Schritt empfohlen, wenn diese innerhalb von sechs Monaten keine entsprechenden Fortschritte machen würde. Besteht eine durch einen Sachverständigen festgestellte erhebliche Wahrscheinlichkeit, dass die Herausnahme aus dem Haus eine Suizidgefahr auslösen könnte, ist die Versagung des Vollstreckungsschutzes unverhältnismäßig – selbst wenn eine psychiatrische, nicht stationäre Behandlung erfolgsversprechend ist.

Hinweis: Eine Suizidgefahr eines Schuldners – also ebenso eines Mieters – kann also einen Anspruch auf Vollstreckungsschutz bedeuten und damit einer Zwangsräumung entgegenstehen.

Quelle: BVerfG, Urt. v. 15.05.2019 – 2 BvR 2425/18

Thema: Mietrecht

Fehlende Gesetzgebungskompetenz: Bevorzugung weiblicher Beamtinnen bei der Beförderung ist verfassungswidrig

Ein Fehler des Gesetzgebers hat für tausende Beamte in Nordrhein-Westfalen (NRW) erhebliche Auswirkungen.

Mit einem Eilantrag wehrte sich ein Kriminaloberkommissar aus NRW gegen die bevorzugte Beförderung mehrerer Kriminaloberkommissarinnen. Die Beförderungen der Kolleginnen erfolgten wegen des neuen § 19 Abs. 6 Landesbeamtengesetz NRW. Danach sind Frauen bei gleicher Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung bevorzugt zu befördern. Der Beamte fühlte sich übergangen. Und das Verwaltungsgericht (VG) gab ihm Recht.

Das VG urteilte, dass der neue Paragraph verfassungswidrig ist. Der Landesgesetzgeber hätte das Gesetz gar nicht erst erlassen dürfen. Außerdem hatte der Bundesgesetzgeber bereits in § 9 Beamtenstatusgesetz zementiert, dass Beförderungen unter anderem gerade ohne Rücksicht auf das Geschlecht vorzunehmen sind.

Hinweis: Es ist nachvollziehbar, dass männliche Beamte sich durch das Gesetz zurückgesetzt fühlen. Es bleibt spannend, ob die nächste Bundesregierung das Bundesgesetz entsprechend ändern wird.

Quelle: VG Düsseldorf, Urt. v. 05.09.2016 – 2 L 2866/16
Thema: Sonstiges

Gesetzgeberpflicht: Verwaltungsbestimmte Altersgrenzen in NRW verfassungswidrig

Wieder einmal ist eine Altersgrenze im öffentlichen Dienst durch ein Gericht gekippt worden.

Zwei angestellte Lehrerinnen stellten Anträge auf Übernahme in das Beamtenverhältnis. Diese wurden abgelehnt, da sie die nach der maßgeblichen Laufbahnverordnung geltende Altersgrenze bereits überschritten hatten: Sie waren bereits mehr als 40 Jahre alt. Gegen die Entscheidungen legten sie Verfassungsbeschwerde vor dem Bundesverfassungsgericht (BVerfG) ein.

Beiden Verfassungsbeschwerden gab das BVerfG statt. Denn das nordrhein-westfälische Landesbeamtengesetz ist nach seinem Wortlaut keine hinreichend bestimmte Verordnungsermächtigung zur Festsetzung von Einstellungshöchstaltersgrenzen. Der Gesetzgeber ist nämlich verpflichtet, die für die Grundrechtsverwirklichung maßgeblichen Regelungen im Wesentlichen selbst zu treffen und nicht einfach der Verwaltung zu überlassen. Und im Landesbeamtengesetz Nordrhein-Westfalen war nicht erkennbar, dass sich der Gesetzgeber über die Einführung von Höchstaltersgrenzen und ihre grundrechtliche Relevanz überhaupt Gedanken gemacht hatte.

Hinweis: Grundsätzlich sind Altersgrenzen für eine Einstellung durchaus zulässig, denn sie bezwecken, dass ein vernünftiges und angemessenes Verhältnis zwischen Dienst- und Ruhestandszeit möglich ist – wichtig für die Finanzierbarkeit des beamtenrechtlichen Versorgungssystems.

Quelle: BVerfG, Beschl. v. 21.04.2015 – 2 BvR 1322/12 und 2 BvR 1989/12

Thema: Arbeitsrecht