Skip to main content

Schlagwort: Anhaltspunkte

Auffahrunfall: Kann der Anscheinsbeweis nicht glaubhaft widerlegt werden, haftet der Auffahrende

Einen Klassiker im Verkehrsrecht musste das Landgericht Hamburg (LG) bewerten, und zwar den Auffahrunfall. Dass eben jener sich mehrheitlich so verhält, dass für dessen Entstehung der Hintere auf den Vorderen aufgefahren ist, setzt die allgemeine Lebenserfahrung voraus. Wer diesem ersten Anscheinsbeweis entgegentreten möchte, braucht jedoch gute Argumente – die Bestätigung des Ehepartners allein reicht dafür nicht aus.

Weiterlesen

Sekundäre Darlegungslast: Eine Haftung ist auch ohne Kennzeichen des beteiligten Fahrzeugs möglich

Ein Verkehrsunfall ist stets eine schockierende Erfahrung, die es den Betroffenen nicht immer leicht macht, sich an eventuell Wahrgenommenes aktiv zu erinnern. Was vonnöten ist, wenn es wegen eigener Verletzungen und der Unfallflucht des Unfallgegners nicht möglich ist, Anhaltspunkte wie Firmenaufschrift, Logo oder andere Eigenschaften des Fahrzeugs zu nennen, musste kürzlich das Oberlandesgericht Frankfurt am Main (OLG) definieren.

Der Unfallgeschädigte machte Schadensersatzansprüche gegenüber einer italienische Spedition geltend. Im diesbezüglichen Prozess ging es dabei um die Frage, ob auch ohne Kenntnis des amtlichen Nummernschilds des Unfallverursachers anhand der Umstände auf die Haltereigenschaft der Beklagten geschlossen werden könne. Denn wie bereits oben angedeutet: Genaues – wie das Kennzeichen des Unfallgegners – wusste der Geschädigte nicht zu berichten.

Dem OLG genügten allerdings die weiteren Angaben des Klägers. Zwar habe dieser das amtliche Kennzeichen aufgrund der schweren Verletzungen und der Unfallflucht des Lkw-Fahrers nicht angeben können. Er habe aber hinreichende Anhaltspunkte vorgetragen, die mit gewisser Wahrscheinlichkeit die Haltereigenschaft der italienischen Spedition nahelegten. Aus der dem Gericht vorliegenden Videoaufzeichnung ist ohne jeden Zweifel ersichtlich, dass der unfallbeteiligte Lkw die Firmenaufschrift der Spedition trägt. Auch die Heckgestaltung des unfallbeteiligten Lkw entspreche derjenigen der Lkw-Flotte der Spedition.

Hinweis: Der Vortrag des Geschädigten hat eine sogenannte sekundäre Darlegungslast der italienischen Spedition ausgelöst. Hinsichtlich der Tatsachen, von denen der Geschädigte keine Kenntnis haben konnte, muss der Prozessgegner alles ihm Mögliche tun, um ihm zumutbare Angaben zu machen. Der italienische Spediteur war im Rahmen des Zumutbaren verpflichtet, nachzuforschen und mitzuteilen, welche Kenntnisse er über die Umstände einer eventuellen Unfallbeteiligung gewonnen hat – insbesondere über die drei Lkw, die unstreitig am Unfalltag die Autobahn im Bereich der Unfallstelle befahren hatten. Anhand der Mautdaten sowie der Daten aus dem Satellitensystem der von ihr verwendeten Automarken hätte rekonstruiert werden können, welcher Lkw am Unfalltag die Unfallstelle befahren habe. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.

Quelle: OLG Frankfurt a.M., Urt. v. 31.03.2020 – 13 U 226/15

Thema: Verkehrsrecht

Anfechtung der Erbschaftsannahme: Der Irrtum über die Nachlassüberschuldung ist ein berechtigter Anfechtungsgrund

Die Entscheidung, ob es sich finanziell lohnt, eine Erbschaft anzunehmen, kann häufig schwierig zu treffen sein. Denn nicht immer ist ohne weiteres ersichtlich, ob der Nachlass überschuldet ist. Doch auch nach Verstreichen der sechswöchigen Ausschlagungsfrist kann die Annahme der Erbschaft in Ausnahmefällen angefochten werden.

 

Eine Frau verstarb ohne Testament, so dass aufgrund der gesetzlichen Erbfolge ihr Ehemann und ihre beiden Geschwister als Erben berufen waren. Die Schwester schlug die Erbschaft aus, der Bruder ließ hingegen die Ausschlagungsfrist verstreichen. Als er als Erbe eine Krankenhausrechnung für die Behandlung seiner Schwester bekam, erklärte er dann aber die Anfechtung seiner Erbschaftsannahme wegen eines Irrtums. Er trug vor, nicht gewusst zu haben, dass der Nachlass überschuldet war. Dagegen wehrte sich der Witwer der Erblasserin vor Gericht.

Das Gericht entschied jedoch, dass die Anfechtung wirksam war. Der Bruder der Verstorbenen hatte falsche Vorstellungen hinsichtlich der Zusammensetzung des Nachlasses, die zu dem Irrtum über die Überschuldung geführt hatten. Er wusste nämlich, dass die Erblasserin ein Jahr vor ihrem Tod eine Abfindung von ca. 100.000 EUR erhalten hatte. Ihm lag zudem ein Kontoauszug vor, der einige Monate vor dem Tod ein Kontoguthaben von ca. 60.000 EUR aufwies. Aufgrund dieser konkreten Anhaltspunkte durfte er davon ausgehen, dass der Nachlass nicht überschuldet war.

Hinweis: Sowohl die Annahme als auch die Ausschlagung einer Erbschaft können angefochten werden. Ein Anfechtungsgrund ist gegeben, wenn der Erbe über die Zusammensetzung des Nachlasses als Ganzes irrt – also etwa nicht wusste, dass bestimmte Verbindlichkeiten bestehen. Fehlvorstellungen über den Wert einzelner Nachlassgegenstände oder Berechnungsfehler bei Schulden und Guthaben könnten hingegen keine Anfechtung rechtfertigen. Zu beachten ist dabei auch, dass die Anfechtung innerhalb von sechs Wochen erklärt werden muss, nachdem der Erbe von dem Anfechtungsgrund Kenntnis erlangt hat.

Quelle: OLG Köln, Beschl. v. 15.05.2017 – 2 Wx 109/17

Thema: Erbrecht

Mangelndes Erziehungsbedürfnis: Einsichtiger Ersttäter darf nicht zum Verkehrsunterricht verpflichtet werden

Ordnet eine Führerscheinstelle die Teilnahme an einem Verkehrsunterricht an, hat sie ihr Ermessen fehlerhaft ausgeübt, wenn keinerlei Anhaltspunkte vorhanden und von ihr aufgezeigt sind, dass bei dem Betroffenen ein Erziehungsbedürfnis besteht.

Wegen einer Geschwindigkeitsüberschreitung erhielt ein Verkehrsteilnehmer einen Bußgeldbescheid, der neben der Geldbuße auch ein Fahrverbot auswies. Dieser Bescheid wurde von dem Betroffenen akzeptiert. Die Führerscheinstelle sprach allerdings nach Rechtskraft des Bußgeldbescheids die Anordnung der Teilnahme an einem Verkehrsunterricht gegenüber dem Betroffenen aus.

Das Verwaltungsgericht Frankfurt/Oder entschied, dass die Anordnung zur Teilnahme am Verkehrsunterricht rechtswidrig war. Bei dem Betroffenen habe es sich um einen Ersttäter gehalten, der den gegen ihn erlassenen Bußgeldbescheid ohne Weiteres akzeptiert hatte. Zu berücksichtigen ist zwar, dass auch die Ahndung der Verkehrsverstöße nach den Bestimmungen des Ordnungswidrigkeitengesetzes einen erzieherischen Zweck haben soll; die Anordnung der Teilnahme wird von der zuständigen Behörde aber fehlerhaft ausgeübt, sobald keine Anhaltspunkte vorhanden oder von der Behörde aufgezeigt sind, dass ein solches Erziehungsbedürfnis besteht. Vorliegend war der Betroffene erstmalig im Straßenverkehr auffällig geworden. Er zeigte sich auch dadurch einsichtig, indem er den erlassenen Bußgeldbescheid akzeptiert hatte. Eine weitergehende verkehrserzieherische Maßnahme war daher nicht geboten.

Hinweis: Wie die Entscheidung zeigt, ist die Anordnung zur Teilnahme an einem Verkehrsunterricht bei Ersttätern in der Regel rechtswidrig. Anders verhält es sich bei Wiederholungstätern, weil die Wiederholungstat zeigt, dass der Denkanstoß durch die behördliche Ahndung seiner Tat für einen Lerneffekt nicht ausreichend war und insofern erzieherische Aufgaben eingesetzt werden müssen.

Quelle: VG Frankfurt/Oder, Urt. v. 26.07.2016 – VG 2 K 1534/15
Thema: Verkehrsrecht