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Schlagwort: OLG Hamburg

Kein wettbewerbswidriges Verhalten: Unternehmen haften nicht bei eindeutig privaten Meinungsäußerungen von Mitarbeitern auf Social Media

Wenn sich Arbeitnehmer privat auf Social-Media-Plattformen äußern, kann das unter Umständen auch Auswirkungen auf den Arbeitgeber haben. Doch wie und wann ist privat wirklich privat? Steht man dem Arbeitgeber gegenüber immer in der Pflicht, auch wenn man seine Zugehörigkeit zu einem bestimmten Unternehmen nicht erwähnt, sobald man eine Privatmeinung zu Branchengewohnheiten äußert? Das Oberlandesgericht Hamburg (OLG) weiß Antwort.

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Anzeigenschaltung reicht nicht: Werbung mit Bekanntheits-Angabe darf sich nur auf redaktionelle Berichterstattung beziehen

Werbeanzeigen werden von Medien strikt getrennt von redaktionellen Inhalten behandelt. So kann sich ein Verlag nicht vorwerfen lassen, gute Anzeigenkunden mit redaktionellen Inhalten zu bauchpinseln. Im Folgenden musste das Oberlandesgericht Hamburg (OLG) genau diesen Trennstrich bei der Wahrnehmung ziehen. Denn hier nutzte ein Unternehmen seine Anzeigenaktivitäten für eine „bekannt aus …!“-Aussage, die redaktionelle Berichterstattungen der genannten Medien nahelegte.

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Bisherige Hauptbezugsperson entscheidet: Streit über Schulwechsel muss nicht gleich das gesamte Wechselmodell infrage stellen

Das sogenannte Wechselmodell setzt eine generelle Einigkeit beider Elternteile voraus. Was aber passiert, wenn diese Einigkeit nach Start des Wechselmodells an der Frage der Schulwahl endet, und ob mit dieser Uneinigkeit gleich das Modell an sich geändert werden muss, musste im Folgenden das Oberlandesgericht Hamburg (OLG) entscheiden.

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Änderungsantrag zum Ausgangstitel: Die Vollstreckung einer Umgangsregelung hat ihre Grenzen

Umgangsregelungen zu finden, mit denen alle Beteiligten zufrieden sind, kann naturgemäß ein mühsames Ringen sein. Sie schließlich auch entsprechend der Verabredungen umzusetzen, ist mitunter nochmals deutlich schwerer. Das gilt vor allem auf für Fragen der Vollstreckung wie im folgenden Fall des Oberlandesgerichts Hamburg (OLG).

Hier waren die beiden Elternteile zutiefst zerstritten. Etliche Verfahren wurden geführt, gerade im Bereich der des Vaters mit seinen Kindern, die bei der Mutter leben. Als sich die Frau in Neumünster mit den Kindern in einem Frauenhaus befand, bot sie begleiteten Umgang an einem neutralen Ort an. Im August zog sie mit den Kindern in ein Frauenhaus in Calw um. Das Amtsgericht ordnete Ende August im Rahmen einer einstweiligen Anordnung begleiteten Umgang in Neumünster an. Die Frau konnte an der Verhandlung nicht teilnehmen. Sie beantragte die Abänderung der Entscheidung, der sie nicht nachkam und die Kinder somit auch nicht für den begleiteten Umgang von Calw nach Neumünster brachte. Daraufhin beantragte der Vater die Verhängung eines Ordnungsgeldes, ersatzweise Ordnungshaft.

Das OLG hat in zweiter Instanz diesen Antrag des Mannes zurückgewiesen. Die Entscheidung über die einstweilige Anordnung ist mit Verkündung sofort vollstreckbar geworden. Für die Frage, ob gegen die Mutter wegen ihres formal rechtswidrigen Verhaltens Ordnungsmittel zu verhängen waren, war zum einen zu berücksichtigen, dass sie wegen ihrer Verhinderung keine Möglichkeit hatte, ihre Position darzustellen. Zum anderen mussten die in der Zwischenzeit eingetretenen Änderungen in den Umständen durch ihren Umzug bei der Entscheidung miteinbezogen werden. Da es final ganz einfach unzumutbar wäre, die Mutter die weite Strecke für die kurzen Umgänge mit den Kindern fahren zu lassen, kam das OLG deshalb zu dem Ergebnis, dass keine Sanktionen gegen sie anzuordnen sind.

Hinweis: Die auch ansonsten eher zurückhaltende Vorgehensweise von Gerichten Zwangsmittel betreffend zeigt, wie wichtig es in der Praxis ist, sich zu einigen. Einigungen lassen sich einfach besser umsetzen, da alle Beteiligten dann daran mitgewirkt haben.

Quelle: OLG Hamburg, Beschl. v. 09.02.2021 – 12 WF 11/21

Thema: Familienrecht

Auszug allein reicht nicht: Schriftliche Klärung über die Rechtsverhältnisse an der Ehewohnung nach Scheidung unerlässlich

Die eheliche Wohnung ist bei Trennung und Scheidung eine regelmäßig heikle Angelegenheit. Dass aber selbst bei Einigkeit darüber, wer bleibt und wer geht, zu Recht ein Interesse darin liegen kann, schriftliche Klarheit über das weitere Schicksal des Mietvertrags zu erlangen, zeigt der folgende Fall des Oberlandesgericht Hamburg (OLG).

Ein Ehepaar hatte gemeinsam eine Wohnung angemietet. Im Zuge von Trennung und Scheidung zog der Mann aus. So weit, so gut? Nicht ganz. Denn trotz augenscheinlicher Einigkeit der beiden verweigerte der Mann die abschließende Erklärung, aus dem Mietverhältnis auszuscheiden. Auch tat er sich lange Zeit schwer, den Schlüssel zur Wohnung abzugeben. Es reiche, dass er „praktisch“ mit der Wohnung nichts mehr zu tun habe. Und da die Frau nach der Scheidung die Dinge abschließend geklärt wissen wollte, landete die Angelegenheit somit vor dem OLG.

Generell gilt gesetzlich, dass die einstigen Ehegatten für die Zeit nach der Scheidung durch übereinstimmende Erklärung dem Vermieter mitteilen und bestimmen können, wer von ihnen das Mietverhältnis künftig allein fortsetzt und welcher Ehegatte somit aus dem Mietvertrag ausscheidet. Das Mietverhältnis mit dem ausscheidenden Ehegatten ende dann abschließend für die Zukunft. Somit verlangte die Frau die nachzuvollziehende Klarheit auch in den Augen des OLG völlig zu Recht. Faktische Verhältnisse reichen allein nicht – auch formal und damit durch ausdrückliche schriftliche Erklärung habe der Mann mitzuteilen, dass auch er mit der Fortsetzung des Mietverhältnisses allein durch die Frau einverstanden sei.

Hinweis: In den meisten derartigen Fällen ist das Regelbedürfnis ein anderes: Der ausziehende Ehegatte muss  darauf achten, nach der Scheidung aus dem Mietvertrag entlassen zu werden. Andernfalls kann er noch Jahre später belangt werden. Wenn beispielsweise der in der Wohnung verbliebene Ehegatte irgendwann Jahre später aus- und womöglich unbekannt verzieht, kann der Vermieter den vorher ausgezogenen Ehegatten wegen eventuell noch offener Mietzahlungen in Anspruch nehmen.

Quelle: OLG Hamburg, Beschl. v. 03.11.2020 – 12 UF 131/20

Thema: Familienrecht

Kombinierter Geh- und Radweg: Nahende Radler dürfen sich nicht ohne weiteres auf Umsicht der Fußgänger verlassen

Kombinierte Geh- und Radwege bieten von Natur aus ein erhöhtes Gefahrenpotential. Umso stärker müssen die Verkehrsteilnehmer auf gegenseitige Rücksichtnahme zählen dürfen. Wie diese Umsicht konkret auszusehen hat, klärte das Oberlandesgericht Hamburg (OLG) wie folgt.

Eine Fahrradfahrerin befuhr einen gemeinsamen Geh- und Radweg, als sie sich von hinten einer Gruppe von Fußgängern näherte. Bei der Fußgängergruppe befand sich ein nicht angeleinter Hund. Dieser bewegte sich von der rechten auf die linke Seite des Wegs und stieß mit dem Vorderrad des Fahrrads zusammen, wobei sich die Radlerin verletzte. Von der Haftpflichtversicherung des Hundes verlangte sie daher Schmerzensgeld.

Das OLG hat der Radfahrerin ihre Ansprüche zu 2/3 zuerkannt. Gleichwohl traf die Frau ein Mitverschulden von 1/3, da sie auf einem gemeinsamen Geh- und Radweg mit geringem Abstand an einer Personengruppe mit Hund vorbeifuhr, ohne zuvor durch Klingelzeichen auf sich aufmerksam gemacht zu haben. Zu berücksichtigen war ebenso, dass für die Radlerin eine unklare Verkehrslage vorlag, so dass diese allenfalls mit Schrittgeschwindigkeit hätte fahren dürfen. Bei der Vorbeifahrt an der Personengruppe, in deren Mitte sich der Hund befand, musste die Radfahrerin besondere Sorgfalt beachten. Der Weg war nicht so breit, dass ein Fahrradfahrer zwei nebeneinandergehende Personen, die einen Hund zwischen sich führen, bequem hätte überholen können. Auch wenn der Platz für eine Vorbeifahrt unter der Voraussetzung ausreichend war, dass alle Beteiligten ihre Spur einhielten, bestand eine erhöhte Unfallgefahr, weil damit gerechnet werden musste, dass die Fußgänger sich nach links wenden und dann in die Bahn des überholenden Fahrrads geraten könnten.

Hinweis: Auf einem gemeinsamen Geh- und Radweg haben Fahrradfahrer zwar keinen Vorrang, Fußgänger müssen diese jedoch vorbeifahren lassen. Dabei müssen Radfahrer jede Gefährdung vermeiden. Fußgänger dürfen den gemeinsamen Geh- und Radweg auf der ganzen Breite benutzen und dort auch stehenbleiben. Sie brauchen nicht fortwährend nach Radfahrern Ausschau zu halten, die etwa von hinten herankommen könnten. Sie dürfen darauf vertrauen, dass Radfahrer rechtzeitig durch Glockenzeichen auf sich aufmerksam machen, damit sie die Passage dann freigeben.

Quelle: OLG Hamburg, Urt. v. 08.11.2019 – 1 U 155/18

Thema: Verkehrsrecht

Maßgeblicher Beurteilungszeitpunkt: Auch in Vaterschaftsanfechtungsverfahren spielt die Zeit eine wichtige Rolle

In den meisten Fällen gilt als Vater eines Kindes der Mann, der mit der Mutter zum Zeitpunkt der Geburt des Kindes verheiratet ist. Im Idealfall fallen dann leibliche und rechtliche Vaterschaft zusammen. Bei nichtehelich geborenen Kindern entfällt diese gesetzliche Vermutung. Mit einer der Folgen hatte sich jüngst das Oberlandesgericht Hamburg (OLG) auseinanderzusetzen.

Eine deutsche Frau und ein spanischer Mann hatten zwei minderjährige Kinder und lebten mit ihnen teilweise in Spanien und teilweise in Deutschland zusammen, bevor es zur Trennung kam. Die Kinder blieben bei der Mutter. Der Spanier, der als leiblicher Vater gilt, hatte die Vaterschaft seinerseits jedoch bislang nie anerkannt. Das machte in der Folge stattdessen ein anderer Mann, sein Nachfolger. Der leibliche Vater führte in der Folge zunächst – vergeblich – ein Vaterschaftsfeststellungsverfahren in Spanien durch, bevor er in Deutschland die Vaterschaftsfeststellung des neuen Partners der Kindesmutter anfocht. Nur: In der Zwischenzeit waren viele – wertvolle – Jahre vergangen.

Nach deutschem Recht gilt: Der leibliche Vater eines Kindes – hier der Spanier – kann die rechtliche Vaterschaft des anderen Mannes nur anfechten, wenn zwischen dem rechtlichen Vater und dem Kind keine sozial-familiäre Beziehung besteht. Als maßgeblich gilt hierbei der Zeitpunkt der letzten gerichtlichen Tatsacheninstanz. Vor diesem Hintergrund hätte das Begehren des leiblichen Vaters keine Chance mehr gehabt.

Doch die Besonderheit dieses Falls bestand darin, dass der leibliche Vater zunächst erfolglos in Spanien versucht hatte, seine Vaterschaft feststellen zu lassen – untätig war er also nicht gewesen. In dieser Konstellation stellte das OLG daher auf die sozial-familiäre Situation zum Zeitpunkt der Einleitung des Verfahrens in Spanien ab. Damals kannte die Kindesmutter den späteren rechtlichen Vater noch kaum und damit lag auch noch keine entsprechend enge Beziehung zu den Kindern vor. Aus diesem Grund ließ das OLG das Anfechtungsrecht in diesem Fall zu.

Hinweis: Wie bei den meisten Rechtsdingen spielt die Zeit auch bei Vaterschaftsanfechtungsfragen eine nicht zu unterschätzende Rolle. Umso ratsamer ist es, sich frühzeitig über eventuelle Fristen zu erkundigen.

Quelle: OLG Hamburg, Beschl. v. 04.09.2019 – 12 UF 82/17

Thema: Familienrecht

Geordnete Verhältnisse: Im Streit um die eheliche Wohnung kommt dem Kindeswohl die entscheidende Bedeutung zu

Bei Trennungen entsteht regelmäßig Streit darüber, wer in der bislang gemeinsam bewohnten Wohnung verbleiben darf und wer ausziehen muss. Das Gesetz verweist für die Entscheidung auf die sogenannte Billigkeit. Was das in der Praxis bedeutet, zeigt der folgende Fall des Oberlandesgerichts Hamburg (OLG).

Im Rahmen eines gerichtlichen Verfahrens hatten sich hier die Ehegatten vorläufig darauf geeinigt, dass die Frau mit den drei minderjährigen Kindern in der nur 67 m2 großen Wohnung (2,5 Zimmer) wohnen bleibt. Der Mann darf sie seinerseits zwischen 7.45 Uhr und 15 Uhr nutzen, wenn die Frau bei der Arbeit ist. Was einfach klingt, ist es natürlich nicht: Die Spannungen zwischen den Ehegatten nahmen zu. Als es um die abschließende Regelung ging, machte die Frau geltend, der Mann solle die Wohnung gar nicht mehr betreten. Der Mann hielt dagegen, er habe Mühe, Wohnraum für sich zu finden – unter anderem wegen seiner schlechten wirtschaftlichen Situation. Er könne sich deshalb vorstellen, abends erst um 22 Uhr in die Wohnung zu kommen, die Toilette zu benutzen und dann im Wohnzimmer zu schlafen.

Das OLG hielt von einer solchen Lösung scheinbar wenig – es wies die Wohnung zur alleinigen Nutzung der Frau (nebst den Kindern) zu. Die Zuweisung der Wohnung an einen Ehegatten in der Trennungszeit setzt voraus, dass sie notwendig ist, um eine unbillige Härte zu vermeiden. Zunächst einmal sind die damit verbundenen Voraussetzungen hoch. Besonders zu achten ist bei der vorzunehmenden Bewertung aber auf das Wohl der im Haushalt lebenden Kinder. Sie haben Anspruch auf eine geordnete, ruhige und entspannte Familiensituation – und dies möglichst ohne örtliche Veränderung. Da die Wohnung zudem recht klein ist, habe der Vater unter den streitbelasteten Umständen komplett zu weichen. Seine Interessen sind in der Situation untergeordnet.

Hinweis: Bei Streitigkeiten um die Ehewohnung sind die Kinder meist das „Zünglein an der Waage“. Streiten sich die Eltern heftig und können sie sich wegen der Größe der Wohnung nicht aus dem Weg gehen, wird die Wohnung meist dem Elternteil zugesprochen, der die Kinder betreut.

Quelle: OLG Hamburg, Beschl. v. 07.03.2019 – 12 UF 11/19

Thema: Familienrecht

Erbe gemeinsamer Zeiten: Die Pflicht zur Mitwirkung an gemeinsamer steuerlicher Veranlagung besteht auch nach der Scheidung

In intakten Ehezeiten wirken Ehegatten zusammen, um ihre steuerlichen Pflichten gering zu halten. Mit Trennung und Scheidung entfällt oft auch diese Bereitschaft. Ob sie dann dennoch eingefordert werden kann, musste das Oberlandesgericht Hamburg (OLG) klären.

Die Ehegatten dieses Falls waren bereits geschieden. Für die Zeit davor – die Zeit, in der noch die gemeinsame steuerliche Veranlagung möglich gewesen wäre – forderte der Mann seine Exgattin auf, der gemeinsamen steuerlichen Veranlagung zuzustimmen. Sie lehnte jedoch ab, denn sie selbst war bereits einzeln unanfechtbar veranlagt. Demgegenüber war gegen den Mann ein Steuerbescheid bisher nur unter Vorbehalt ergangen. Der Mann erklärte ausdrücklich, der Frau den wirtschaftlichen Schaden zu erstatten, den sie eventuell erleiden könnte, wenn sie die Zustimmungserklärung abgibt. Da auch das die Frau nicht überzeugte – auch weil der Mann nicht bereit war, vorab eine Sicherheitsleistung für den wirtschaftlichen Nachteil zu erbringen -, machte der Mann seine Forderung bei Gericht geltend.

Das OLG schloss sich in der Tat der Argumentation des Mannes an und verpflichtete die Frau zur Zustimmung zur gemeinsamen Veranlagung. Soweit die Möglichkeit besteht, eine gemeinsame steuerliche Veranlagung durchzuführen, ist diese nämlich auch zu nutzen. Diese Pflicht aus der gemeinsamen Zeit endet nicht mit dem Ende der Ehe, sondern besteht für die Zeit auch nach der Scheidung fort, für die eine gemeinsame Veranlagung möglich ist. Der Mann hat dabei einen etwaigen wirtschaftlichen Nachteil auszugleichen, den die Frau durch die Zustimmung und Mitwirkung erleidet. Er muss allerdings dazu nicht in jedem Fall eine Sicherheitsleistung erbringen. Das Risiko, dass der Mann den Schaden nicht ohne weiteres erstattet, hat die Frau vielmehr hinzunehmen.

Hinweis: Trennung und Scheidung bringen auch steuerliche Besonderheiten mit sich. Diese sind zu nutzen, ziehen doch diese Lebensumstände schon genügend Kosten nach sich. Fachkundiger Rat ist dazu einzuholen.
 
 
 

Quelle: OLG Hamburg, Beschl. v. 15.03.2019 – 12 UF 40/19

Thema: Familienrecht

Aspekte bei Wohnungszuweisung: Neben den Lebensverhältnissen entscheidet der Gerechtigkeitsgedanke

In der Praxis kommt es seltener als allgemein vermutet vor, dass sich Ehegatten für die Zeit nach der Scheidung nicht einig sind, wer in der bisherigen Ehewohnung oder dem entsprechenden Haus wohnt. Kommt es aber bei der Frage zum Streit, ist die Unsicherheit groß. Denn die zu beachtenden Billigkeitserwägungen machen die Einschätzung nicht einfach, wie der folgende Fall des Oberlandesgerichts Hamburg (OLG) zeigt.

Eine Familie lebte in einer Genossenschaftswohnung. Die Ehegatten hatten eine Tochter, die bedauerlicherweise stark an Mukoviszidose erkrankt war. Als die Ehe in eine Krise geriet, schlossen die Parteien eine Vereinbarung, wonach im Fall der Trennung und Scheidung die Frau mit der Tochter bis zu deren Schulabschluss in der Wohnung verbleiben solle. Erst danach solle der Mann die Wohnung nutzen dürfen. Schließlich kam es auch zur Trennung und Scheidung. Nach dem erfolgten Schulabschluss der Tochter begehrte der Mann für die Zeit nach der Scheidung die Wohnung folglich wie abgemacht für sich. Doch die Frau wollte nicht ausziehen.

Das OLG wies in seiner Entscheidung auf die maßgeblichen Kriterien hin, die bei der Wohnungszuweisung zu beachten sind. Bei der entscheidenden Frage, wer auf die Wohnung im stärkeren Maße angewiesen sei, sind besonders die im Haushalt lebenden Kinder und die bisherigen Lebensverhältnisse der Ehegatten zu beachten. Außerdem muss ein Gericht bei seiner Entscheidung auch sogenannte Billigkeitsgründe – ein juristischer Begriff für den Gerechtigkeitsgedanken – berücksichtigen.

Diese auf den ersten Blick unklare Lage hat das Gericht wie folgt entwirrt. Nachdem das erkrankte Kind seine Schule beendet und unterdessen auch ein Studium aufgenommen hatte, sah es keinen allgemeinen zwingenden Grund, die Wohnung der Mutter zu belassen. Da die Ehegatten sich in der Krise geeinigt hatten, dass der Mann nach dem Schulabschluss der Tochter wieder in die Wohnung kann, sprach es ihm die Wohnung vielmehr aus Billigkeit zu.

Hinweis: Wie die Frau war auch der Mann Mitglied der Genossenschaft. Andernfalls hätte diese ein besonderes Recht gehabt, das Nutzungsverhältnis zu beenden.

Quelle: OLG Hamburg, Beschl. v. 03.08.2016 – 2 UF 42/16

Thema: Familienrecht

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