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Geschwindigkeitsmessung: Höherer Toleranzabzug beim Messverfahren „TraffiPax“

Die bislang anerkannte Messtoleranz für das Messverfahren „TraffiPax“ gilt bei Geschwindigkeitsüberschreitungen nicht mehr uneingeschränkt. Sind dem Gericht aus zahlreichen weiteren Verfahren Messabweichungen von 1 km/h bekannt, nimmt das Gericht einen weiteren Toleranzabzug vor.

Ein Autofahrer befuhr auf der Bundesautobahn 4 die mittlere der drei Fahrspuren, als er bei der Durchfahrt eines Autobahntunnels geblitzt wurde. Die zulässige Höchstgeschwindigkeit betrug 80 km/h. Abzüglich einer Toleranz wurde ihm eine Geschwindigkeitsüberschreitung von 25 km/h vorgeworfen. Gegen den Bußgeldbescheid hat er Einspruch eingelegt.

Das Amtsgericht Jena hat den Betroffenen zu einer Geldbuße von 70 EUR verurteilt. Statt der Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit um 25 km/h ging das Gericht allerdings lediglich von einer Geschwindigkeitsüberschreitung von 24 km/h aus. Das Gericht hat somit nicht den bisher anerkannten Toleranzabzug von 4 km/h, sondern von 5 km/h berücksichtigt. Zur Begründung wird ausgeführt, dass dem Gericht aus zahlreichen weiteren Verfahren bekannt ist, dass es immer wieder zu Messabweichungen von 1 km/h kommt, wenn ein Fahrzeug beim Befahren des Mittelstreifens die Messanlagen auslöst.

Hinweis: Für den Betroffenen war es hier unerheblich, ob ihm das Gericht eine Geschwindigkeitsüberschreitung von 24 km/h oder 25 km/h vorgewirft, weil in beiden Fällen ein Bußgeld von 70 EUR verhängt wird. Die Entscheidung ist jedoch für alle Fälle von Bedeutung, in denen eine Reduzierung der vorgeworfenen Geschwindigkeit um 1 km/h ausschlaggebend ist. Wird dem Betroffenen beispielsweise eine Geschwindigkeitsüberschreitung außerhalb geschlossener Ortschaften von 41 km/h vorgeworfen, sind eine Geldbuße von 160 EUR und ein einmonatiges Fahrverbot zu verhängen. Kann eine Reduzierung auf vorwerfbare 40 km/h erreicht werden, wird lediglich eine Geldbuße von 120 EUR verhängt – und das ohne Fahrverbot!

Quelle: AG Jena, Urt. v. 06.03.2014 – 205 Js 36961/13-9 OWi
Thema: Verkehrsrecht

Ausschluss des Anspruchs auf Auskunft und Rechnungslegung

Wird aufgrund einer umfassenden Vollmacht das Vermögen des Erblassers durch einen Bevollmächtigten verwaltet, ist dieser gemäß § 66 BGB grundsätzlich zur Auskunft und zur Rechenschaft verpflichtet.

Bei Rechtsbeziehungen mit familiären oder sonstigen persönlichen Einschlag kann die Geltendmachung dieses Anspruchs aber gegen Treue und Glauben verstoßen, wenn er zuvor jahrelang nicht geltend gemacht wurde.

Quelle: OLG Düsseldorf, Urteil v. 18.12.2014 – 3 U 88/14
Thema: Erbrecht

Mindestlohn: Mitspracherechte des Betriebsrats bei tariflicher Eingruppierung

Arbeitgeber haben seit dem 01.01.2015 den gesetzlichen Mindestlohn zu zahlen. Viele Rechtsfragen sind offen, u.a. ob und wie der Betriebsrat zu beteiligen ist.

Ein Kreisverband des Deutschen Roten Kreuzes wollte einen Rettungssanitäter einstellen. Er sollte in eine bestimmte Entgeltgruppe eingeordnet werden. Dieser Eingruppierung widersprach allerdings der Betriebsrat, da die Bezahlung nach dieser Vergütungsgruppe zu einer Unterschreitung des Mindestlohns führen würde. Aus Sicht des Betriebsrats lag ein Zustimmungsverweigerungsgrund vor, da die Eingruppierung gegen ein Gesetz verstieß (§ 99 Abs. 2 Nr. 1 BetrVG). Der Arbeitgeber beantragte vor dem Arbeitsgericht daraufhin die Ersetzung der Zustimmung des Betriebsrats zur Eingruppierung. Und das Arbeitsgericht gab dem Arbeitgeber Recht. Denn ein Mitbestimmungsrecht bei einer Eingruppierung ist nur die Kontrolle einer Vertragsbedingung. Ein Widerspruchsrecht besteht daher nach dem Arbeitsgericht nur, wenn die Einstufung des Arbeitnehmers falsch ist. Es ist Aufgabe der Tarifvertragsparteien, die Vereinbarkeit eines Tarifvertrags mit dem Mindestlohngesetz sicherzustellen. Damit hat der Betriebsrat aber nichts zu tun.

Hinweis: Die betroffenen Arbeitnehmer sind darüber hinaus nicht schutzlos. Sie haben unmittelbar einen Anspruch gegen den Arbeitgeber auf Aufstockung des Tabellenentgelts bis zur Höhe des Mindestlohns.

Quelle: ArbG Dessau-Roßlau, Beschl. v. 12.08.2015 – 10 BV 4/15
Thema: Arbeitsrecht

Kindesunterhalt: Zahlungspflicht während des Freiwilligen Sozialen Jahres

Ein Kind hat Anspruch auf Unterhalt bis zu dem Zeitpunkt, da es unter normalen Umständen die Schule beendet und eine Ausbildung abgeschlossen hat. Unregelmäßigkeiten auf diesem Weg sind immer wieder Anlass zu Streit – zum Beispiel wenn das Kind sich entscheidet, nach dem Schulabschluss und vor dem Beginn einer Ausbildung ein Freiwilliges Soziales Jahr (FSJ) zu absolvieren und auch für diese Zeit Unterhalt verlangt.

Je nach Verhältnis zum Kind fragen sich die Eltern, ob sie nicht verlangen können, dass dieses Jahr anders genutzt und sogleich eine Ausbildung begonnen wird.

Das Kind kann geltend machen, das FSJ sei eingeführt worden, um ihm die Möglichkeit zu geben, soziale, kulturelle und interkulturelle Kompetenzen zu erwerben. Besonders wenn noch nicht ganz klar ist, welcher Berufsweg beschritten werden soll, kann auf diese Weise wertvolle Orientierung gefunden und berufliche Erfahrung gesammelt werden.

Diese Argumentation ist laut Rechtsprechung zu respektieren. Wer beabsichtigt, einen Heilberuf zu ergreifen, kann deshalb zunächst ein FSJ absolvieren, bevor er in die eigentliche Berufsausbildung einsteigt. Auch derjenige, der sich bereits sehr sicher ist, welchen Beruf er ergreifen will, kann diese Zwischenphase einschieben, um seine personalen und sozialen Kompetenzen zu erweitern.

Ohne Bedeutung ist es dabei, ob der Plan, ein FSJ zu absolvieren, im Vorfeld mit den Eltern abgestimmt und von ihnen gutgeheißen wird.

Hinweis: Wenn sich ein Kind entscheidet, ein FSJ zu absolvieren, müssen die Eltern dies also akzeptieren und für diese Zeit Unterhalt zahlen. Erzielt das Kind in dieser Zeit Einkünfte, sind diese allerdings zu berücksichtigen.

Quelle: OLG Hamm, Beschl. v. 08.01.2015 – II-1 296/14
Thema: Familienrecht

Rockerkutten: Tragen von Kennzeichen und Ortsbezeichnung eines nicht verbotenen Chapters ist nicht strafbar

Gegen kriminelle Rockervereinigungen will der Staat härter vorgehen. Als ein Mittel hat er sich ein Verbot der sogenannten Kutten ausgedacht.

In dem Fall ging es um zwei örtliche Organisationen des Motorrad-Clubs „Bandidos“ aus Aachen und Neumünster. Diese Ortsgruppen waren durch Verfügung des Innenministeriums verboten worden. Nun traten mehrere Mitglieder der Ortsgruppen Unna und Bochum mit Kutten des weltweit agierenden Clubs auf. Dafür erhielten sie eine Strafanzeige. Der Bundesgerichtshof hat jedoch aktuell entschieden, dass das Tragen von „Rockerkutten“, auf denen gleichzeitig Kennzeichen des Motorrad-Clubs und die Ortsbezeichnung eines nicht verbotenen „Chapters“ angebracht sind, nicht strafbar ist.

Hinweis: Eigentlich ein nicht sonderlich überraschendes Urteil. Trotzdem macht es die Bekämpfung von Rockerkriminalität nicht einfacher. Aber Rechtsstaat muss eben Rechtsstaat bleiben.

Quelle: BGH, Urt. v. 09.07.2015 – 3 StR 33/15

Kaffee zur Miete: Unklare Laufzeitangabe rettet Kioskbesitzer vor 66-monatiger Bindung

Beim Thema Miete denken viele zuerst an die gemietete Wohnung oder das gemietete Büro. Aber auch Gegenstände können gemietet werden.

Ein Kioskbetreiber bekam Besuch von einem Vertreter und wies diesen darauf hin, dass er einen Mietvertrag über eine Kaffeemaschine nur für maximal ein Jahr schließen könne, da er den Kiosk zunächst für nur ein Jahr gepachtet habe und diesen im Winter saisonbedingt schließen werde. Der Vertreter versicherte, dass dies kein Problem sei. Die Verträge wurden unterzeichnet. Danach las der Kioskbesitzer, was er eigentlich unterzeichnet hatte, und stellte eine Laufzeit von 66 Monaten fest. Er erklärte daraufhin die Anfechtung. Das Landgericht Ansbach gab ihm Recht. Die Laufzeit von 66 Monaten war nur als Wort, nicht aber als Zahl aufgeführt, während andere Daten – wie beispielsweise die Mindestabnahmemenge und die Miete – in Zahlen dort standen. Das hatte zu einem offensichtlichen Irrtum des Kioskbetreibers geführt.

Hinweis: Der Kioskbetreiber hat hier sehr viel Glück gehabt. Denn gerade unter Gewerbetreibenden gelten viele Schutzvorschriften nicht, auf die sich Verbraucher wiederum berufen können.

Quelle: LG Ansbach, Urt. v. 06.07.2015 – 1 S 852/14
Thema: Mietrecht

Betreuungsrecht: Die Rechte eines Vorsorgebevollmächtigten haben Grenzen

Mit Eintritt in die Volljährigkeit nimmt man selbständig am allgemeinen Rechtsverkehr teil, unterschreibt alle Verträge selbst und ist für sich auch in rechtlicher Hinsicht in vollem Umfang verantwortlich. Lassen im Alter die körperlichen oder geistigen Kräfte nach, kann Hilfe erforderlich werden. Probleme können sich im Hinblick auf die Frage ergeben, wer die richtige Person für diese Art von Hilfestellung ist .

Hat der Hilfebedürftige keinerlei eigene Vorsorge getroffen, richtet das Gericht eine Betreuung durch einen von ihm bestimmten Betreuer ein. Der Betreuer steht unter der Kontrolle und Überwachung des Gerichts. Dennoch handelt es sich für den Betreuten um eine mitunter unangenehme Situation, weil sich nun ein Fremder um seine wirtschaftlichen und unter Umständen auch privaten Belange kümmert.

Hat der Hilfebedürftige Vertrauen zu einer bestimmten Person, kann er ihr mit einer Vorsorgevollmacht umfassende Berechtigungen einräumen. Da dann ein Bevollmächtigter vorhanden ist, entfällt die Notwendigkeit der Einrichtung einer Betreuung.

Bedauerlicherweise kann das Vertrauen in diesen Bevollmächtigten enttäuscht werden. Missbraucht der Bevollmächtigte das Vertrauen oder erweist er sich ansonsten als nicht geeignet, kann das Gericht einen Betreuer bestellen und ihm unter anderem die Befugnis erteilen, die Vorsorgevollmacht zu widerrufen, wenn der Hilfebedürftige dazu nicht mehr in der Lage ist. Der bisher Bevollmächtigte hat kein Recht, gegen diese Entscheidung des Gerichts eine Beschwerde einzulegen, und muss sie hinnehmen.

Hinweis: Es ist äußerst wichtig, sich rechtzeitig Gedanken über das Alter zu machen. Vorsorgevollmacht, Patientenverfügung und Testament sind erforderlich, um gerüstet zu sein, wenn die eigenen geistigen und körperlichen Kräfte nachlassen. Wurden diese Maßnahmen ergriffen, so funktionieren auch die Kontrollen und kann das Gericht gegebenenfalls bei Fehlentwicklungen korrigierend eingreifen.

Quelle: BGH, Beschl. v. 15.04.2015 – XII ZB 330/14
Thema: Familienrecht

Transponderpflicht: Chip statt Schenkelbrand bei Pferden

Viele Pferdezüchter bevorzugen nach wie vor den viel kritisierten Schenkelbrand bei Pferden, obwohl die Kennzeichnung durch einen Chip für nach dem 30.06.2009 geborene Pferde Pflicht ist und auch ausreicht. Um diese Frage drehte es sich im Urteil des Oberverwaltungsgerichts Nordrhein-Westfalen (OVG).

Ein Pferdehalter züchtete in Nordrhein-Westfalen Hannoveraner-Pferde. Sämtliche Pferde erhielten einen Schenkelbrand des Zuchtverbands. Die Kennzeichnung mit einem Chip, einem sogenannten Transpondersystem, lehnte der Züchter ab und klagte gegen den entsprechenden Bescheid des Landkreises. Damit kam er allerdings nicht weiter. Das OVG entschied, dass sämtliche nach dem Stichtag geborene Pferde – und andere entsprechende Tiere wie Esel – mit einem Transponder gekennzeichnet werden müssen. Alleine der Schenkelbrand ist nicht ausreichend.

Hinweis: Es existiert keine Wahlfreiheit zwischen einem Schenkelbrand und einem Transponder. Eine Ausnahme der Transponderpflicht hat der deutsche Gesetz- und Verordnungsgeber auch nicht vorgesehen.

Quelle: OVG NRW, Urt. v. 19.08.2015 – 13 A 1445/14
Thema: Sonstiges

Fernabsatzverträge: Widerrufsrecht bei Heizölbestellungen gilt auch für Privatabnehmer

Haben Sie einen Vertrag abgeschlossen, können Sie ihn nicht ohne weiteres widerrufen. Etwas anderes gilt nur bei telefonischen Bestellungen oder Internetgeschäften.

Eine Firma, die im Brennstoffhandel tätig war, bot auch über eine Internetplattform Heizöl zum Kauf an. Eine Verbraucherin bestellte daraufhin 1.200 l Heizöl für ca. 1.000 EUR. Die allgemeinen Geschäftsbedingungen des Brennstoffhandels sahen vor, dass kein allgemeines 14-tägiges Widerrufsrecht für private Verbraucher gelte. Als die Kundin die Belieferung ablehnte, vielleicht weil zwischenzeitlich der Ölpreis gesunken war, verlangte der Brennstoffhandel eine vertraglich zugesicherte, angemessene Entschädigung. Daraufhin widerrief die Kundin den Vertrag. Und das zu Recht, wie der Bundesgerichtshof urteilte. Auch für Heizöl gilt bei Fernabsatzverträgen ein Widerrufsrecht, durch das der Vertrag beseitigt wird. Damit stand dem Brennstoffhandel auch keine Entschädigung zu.

Hinweis: Wird der Verbraucher auf sein Widerrufsrecht nicht oder nicht ordnungsgemäß hingewiesen, ist ein Widerruf sogar nach Jahren noch möglich.

Quelle: BGH, Urt. v. 17.06.2015 – VIII ZR 249/14
Thema: Mietrecht

Anscheinsbeweis: Wer seine Fahrertür unvorsichtig öffnet, haftet im Ernstfall

Wer die Fahrertür öffnen will, muss den Verkehrsraum vorher durch die Rückspiegel und erforderlichenfalls durch die Fenster beobachten. Reicht der Rückblick nicht weit genug, darf er die Tür langsam nur spaltbreit (bis zu 10 cm) und dann erst weiter öffnen, wenn dadurch mit Gewissheit niemand gefährdet wird.

Der Fahrer eines Pkw öffnete seine Fahrertür in dem Moment, als ein Pkw an dem geparkten Fahrzeug vorbei fuhr. Der Pkw-Fahrer meinte nun, der andere Fahrer sei zu dicht an seinem Fahrzeug vorbeigefahren und habe somit Schuld an dem Unfall.

Kommt es im örtlichen und zeitlichen Zusammenhang mit dem Aussteigen zu einer Kollision mit dem fließenden Verkehr, spricht der Anscheinsbeweis gegen den Aussteigenden. Dass die Fahrertür des geparkten Fahrzeugs bereits bei Annäherung leicht, aber erkennbar geöffnet gewesen war, konnte hier nicht bewiesen werden. Das Oberlandesgericht Köln vertritt die Ansicht, dass die für beide Richtungen freigegebene Fahrbahn laut eines Sachverständigengutachtens mit einer Breite von nur 3,35 m nicht als großzügig beurteilt werden kann. Daher kann hier nicht davon ausgegangen werden, dass dem fließenden Verkehr ein Seitenabstand von mindestens 1 m zu parkenden Fahrzeugen zumutbar sei. Dieser fließende Verkehr hat dem ruhenden gegenüber Vorrang. Er darf auf die Beachtung dieses Vorrechts vertrauen und muss deshalb beim Vorbeifahren nicht mit einem plötzlichen weiträumigen Öffnen von Fahrzeugtüren rechnen – maximal mit dem zur Rückschau genügenden Öffnen eines Türspalts, und auch das nur, wenn das Fahrzeug nicht zweifelsfrei leer ist.

Hinweis: Wer in ein Fahrzeug ein- oder aussteigt, muss sich so verhalten, dass eine Gefährdung Dritter ausgeschlossen ist. Der Beweis des ersten Anscheins spricht daher für ein alleiniges Verschulden desjenigen, der hiergegen verstößt. Ein Seitenabstand zum geparkten Fahrzeug von 50 cm sollte in jedem Fall eingehalten werden.

Quelle: OLG Köln, Beschl. v. 10.07.2014 – 19 U 57/14