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Anzeigenobliegenheit im Schadensfall: Wer als Versicherungsnehmer seine Pflichten kennt, sollte sie zwingend befolgen

Im Dezember 2015 wurde der Pkw des Versicherungsnehmers angefahren, der an seinem beschädigten Fahrzeug einen Zettel mit Namen und Telefonnummer vorfand. Der Schadensverursacher konnte in der Folgezeit dennoch nicht ermittelt werden. Im Januar 2016 ließ der Geschädigte sein Fahrzeug begutachten und anschließend reparieren.

Erst im Juni 2016 meldete er den Schaden seiner Kaskoversicherung und bat um Erstattung der Reparaturkosten. Doch diese lehnte die Versicherung mit der Begründung ab, dass der Mann seine Anzeigeobliegenheit verletzt habe. Nach den Allgemeinen Kraftfahrt-Bedingungen (AKB) muss eine Schadensmeldung nämlich innerhalb von einer Woche abgegeben werden. Außerdem bemängelte die Versicherung, dass das Schadensbild nicht plausibel sei und das vorgelegte Gutachten unbrauchbar.

Nach Ansicht des Oberlandesgerichts Hamm war der Kaskoversicherer in der Tat von seiner Leistungspflicht befreit, da sein Versicherungsnehmer seine Anzeigeobliegenheiten vorsätzlich verletzt hatte. Dieser Vorsatz setzt voraus, dass der Versicherte um seine Pflicht im Versicherungsfall kennt. Auch ein sogenannter bedingter Vorsatz ist dafür schädlich, zu seinem (vermeintlichen) Recht zu kommen. Von einem solchen bedingten Vorsatz ist dann auszugehen, wenn der Versicherte zwar seine Pflichten kennt und negative Konsequenzen bei Missachtung für möglich hält, diese aber billigend in Kauf nimmt, weil er nicht ernsthaft damit rechnet, mit seinem Anliegen auf Granit zu stoßen. Da der Versicherungsnehmer nicht bestritt, dass er seiner Obliegenheit zur Schadensmeldung nicht nachgekommen ist, geht das Gericht davon aus, dass ihm auch klar war, dass er den Schaden zeitnah hätte melden müssen. Außerdem hätte ihm klar sein müssen, dass der Versicherer durch die verspätete Schadensmeldung nur noch eingeschränkte Möglichkeiten haben würde, eigene Feststellungen zum Schaden und zur Leistungsfreiheit zu treffen. Dass der Versicherungsnehmer zuvor irrtümlich davon ausgegangen war, den Schaden vom letztendlich unauffindbaren Verursacher ersetzt zu bekommen, ist nach Ansicht des Gerichts im Ergebnis letztlich unerheblich.

Hinweis: Für den Versicherungsnehmer ergibt sich, dass er einen Schaden unmittelbar nach Feststellung seiner Kaskoversicherung melden muss. Diese muss nämlich die Möglichkeit haben, eine möglichst unmittelbare Überprüfung der Angaben ihres Versicherungsnehmers vorzunehmen.

Quelle: OLG Hamm, Beschl. v. 21.06.2017 – 20 U 42/17
Thema: Verkehrsrecht

Unausgewogene Vertragsgestaltung: Dreijährige Kündigungsfristen können Arbeitnehmer unangemessen benachteiligen

Kündigungsfristen können im Arbeitsrecht auch über die gesetzlichen Standards hinausgehend vereinbart werden. Irgendwo ist aber auch hier eine Grenze zu ziehen.

Ein Speditionskaufmann war seit Ende 2009 bei einer 45-Stunden-Woche und einer Bezahlung in Höhe von 1.400 EUR brutto tätig. Im Jahr 2012 schlossen er und seine Arbeitgeberin dann eine Zusatzvereinbarung: Die gesetzliche Kündigungsfrist erhöhte sich für beide Seiten auf drei Jahre zum Monatsende und das Bruttogehalt wurde ergebnisabhängig auf ca. das Doppelte angehoben. Dann stellten einige Arbeitnehmer fest, dass die Arbeitgeberin zur Überwachung der Arbeitnehmer ein Spionageprogramm auf den Computern installiert hatte. Daraufhin kündigten mehrere Arbeitnehmer – auch der Speditionskaufmann, der seine nunmehr dreijährige Kündigungsfrist allerdings nicht einzuhalten gedachte.

Die Arbeitgeberin verklagte den Arbeitnehmer daraufhin auf Feststellung, dass das Arbeitsverhältnis noch drei Jahre fortbestünde – und scheiterte damit vor Gericht. Die Regelungen zur Kündigungsfrist waren unwirksam, da sie von der gesetzlichen Regelfrist erheblich abwichen und den Arbeitnehmer in seiner beruflichen Bewegungsfreiheit benachteiligten – trotz gleichlautender Fristen für beide Seiten. Die Kündigung durch den Arbeitnehmer war somit rechtmäßig.

Hinweis: Was halten Sie von dieser dreijährigen Kündigungsfrist für Arbeitnehmer und Arbeitgeber? Ein großes Wagnis für beide Seiten, wie immer bei einem derart lang laufenden Vertrag. In aller Regel dürften sich Arbeitgeber mit solchen Regelungen ins eigene Fleisch schneiden. Schließlich wird er den Arbeitnehmer im Zweifel nicht so schnell los.

Quelle: BAG, Urt. v. 26.10.2017 – 6 AZR 158/16
Thema: Arbeitsrecht

Wechselmodell: Die gerichtliche Anordnung zum paritätischen Umgang wird die Ausnahme bleiben

Bis Anfang 2017 galt das Wechselmodell als Ausnahme, das gerichtlich nicht eingefordert werden konnte. Der Bundesgerichtshof (BGH) hat dann klargestellt, dass sehr wohl Gerichte einen paritätischen Umgang der Eltern mit den Kindern anordnen können – dass also jeder Elternteil die Hälfte der Zeit mit seinen Kindern verbringt. Seither herrscht Unsicherheit, welche Voraussetzungen dazu erfüllt sein müssen.

Zwei Komponenten sind von entscheidender Bedeutung. Ein gegen den Willen der Eltern bzw. – richtigerweise gesagt – gegen den Willen eines Elternteils angeordnetes Wechselmodell muss auf den Einzelfall bezogen geprüft werden, dabei vor allem dem Kindeswohl dienlich sein und setzt eine ausreichende Kommunikations- und Kooperationsfähigkeit der Eltern voraus.

Was dem Kindeswohl dienlich oder abträglich ist, ist oft schwer zu fassen. In jedem Fall schlecht für Kinder ist es, wenn sich ihre Eltern allzu oft und heftig streiten. Nicht allein deshalb ist der Schwerpunkt der Prüfung auf die Frage der Kommunikations- und Kooperationsfähigkeit zu richten. Es geht, wie der BGH in diesem Zusammenhang ausdrücklich klargestellt hat, um die entsprechende Fähigkeit – der Wille allein reicht nicht. Aber auch hier sind die faktischen Grenzen fließend.

Das Oberlandesgericht Brandenburg bekam nun die Frage vorgelegt, ob die erforderliche Kommunikations- und Kooperationsfähigkeit dann als gegeben anzusehen sei, wenn sich die Eltern seit längerem in einem sogenannten Mediationsverfahren befinden. Hierbei argumentierte die Mutter, deren Kinder beim Vater lebten, dass ohne die besagte Fähigkeit diese fortdauernde Mediation schließlich nicht möglich sei. Das Gericht schloss sich der Frau jedoch nicht an. Es reicht nicht aus, dass versucht wird, Probleme im Rahmen einer Mediation statt einer streitigen Auseinandersetzung zu lösen. Der Versuch, Probleme gemeinsam zu lösen, kann nicht dahingehend gewertet werden, dass die Fähigkeit besteht, diesen Versuch gelingen zu lassen.

Hinweis: Die zwangsweise gerichtliche Anordnung eines Wechselmodells ist möglich, wird aber – wie die Rechtsprechung auch nie in Zweifel gezogen hat – die Ausnahme bleiben.

Quelle: OLG Brandenburg, Beschl. v. 02.05.2017 – 10 UF 2/17
Thema: Familienrecht

Neues zur Eigenbedarfskündigung: Kündigungsgrund und einzugsberechtigte Person müssen zwingend benannt werden

Eine Eigenbedarfskündigung durch den Vermieter ist zwar schnell ausgesprochen, doch ganz so einfach geht es häufig doch nicht.

Im Jahr 2012 zog eine Mieterin in ein Mietshaus mit sieben Mietparteien ein. Dann wechselte der Eigentümer des Hauses und damit auch der Vermieter. Der neue Vermieter kündigte das Mietverhältnis mit der Mieterin wegen eines angeblichen Eigenbedarfs. Als Kündigungsgrund gab der neue Eigentümer an, dass er das Haus gekauft hätte, um im gesamten Haus mit seinen Kindern und der Mutter zu wohnen und arbeiten zu können. Er plane, das gesamte Haus umzubauen, und die Wohnung der Mieterin würde dann wegfallen. Die Mieterin widersprach der Kündigung, da sie von einem vorgeschobenen Eigenbedarf ausging. Daraufhin erhob der neue Vermieter eine Räumungsklage. Die wurde jedoch vom Amtsgericht abgewiesen. Die Kündigung war nämlich formell unwirksam und hatte deshalb das Mietverhältnis gar nicht beendet. Die Begründung der Kündigung war nämlich zu schwammig gewesen. Sie sollte dem Mieter Klarheit über seine Rechte verschaffen. Bei einer Kündigung wegen Eigenbedarfs sind deshalb grundsätzlich die Person, für die die Wohnung benötigt wird, und das Interesse anzugeben, das diese Person an der Wohnung hat. Im vorliegenden Fall hatte der Vermieter aber weder die Bedarfspersonen vollständig angegeben noch deren jeweiligen Bedarfsgrund dargelegt. Die Nachvollziehbarkeit der Eigennutzung konnte damit von der Mieterin nicht ausreichend überprüft werden.

Hinweis: Bei einer Eigenbedarfskündigung im Mietrecht ist also nicht nur die Person anzugeben, die in die Wohnung einziehen soll, es muss auch ein Hinweis auf das Nutzungsinteresse erfolgen.

Quelle: AG Düsseldorf, Urt. v. 07.08.2017 – 25 C 447/16
Mietrecht

Neues zu Sparkassenklauseln: Erhobene Gebühren müssen sich an den tatsächlich angefallenen Kosten orientieren

Wieder einmal hat der Bundesgerichtshof mehrere Gebührenklauseln einer Sparkasse für unwirksam erklärt.

Eine Vielzahl von Klauseln, die eine Sparkasse verwendet hatte, waren in Verbraucherverträgen laut einem Verbraucherschutzverein unwirksam, der daraufhin entsprechend klagte. Dabei ging es insbesondere um Klauseln, in denen die Sparkasse ein Entgelt von 5 EUR erhob,

  • wenn eine Lastschrift wegen einer fehlenden Deckung nicht eingelöst werden konnte,
  • wenn wegen der Nichteinlösung eine Nachricht an den Kunden versandt wurde und
  • wenn die Sparkasse ihre Kunden über nicht ausgeführte Überweisungen unterrichtete.

Diese und noch weitere Klauseln waren auch aus Sicht der Richter unwirksam. Immer dann, wenn sich die verlangten Gebühren nicht an den tatsächlich angefallenen Kosten orientieren, wird der Verbraucher benachteiligt.

Hinweis: Prüfen Sie auch in Ihren Verträgen, ob sich dort Gebührenklauseln wegen fehlender Deckung eines Kontos befinden. Es spricht viel dafür, dass solche Klauseln auch in Ihrem Fall unwirksam sein könnten.

Quelle: BGH, Urt. v. 12.09.2017 – XI ZR 590/15
Sonstiges

Vater heimlich umgebettet: Der Tochter steht kein Schmerzensgeldanspruch gegen ihre Mutter zu

Nach dem Tod naher Angehöriger kommt es häufig nicht nur zum Streit über das Erbe, sondern auch vielfach über die Ausgestaltung der Beerdigung oder die Grabpflege.

Die Urne eines verstorbenen Mannes war zunächst im Familiengrab beigesetzt worden. Die Ehefrau entfernte diese dann jedoch ohne Wissen der gemeinsamen Tochter und veranlasste eine Flussbestattung in den Niederlanden. Dagegen wehrte sich die Tochter und verlangte Schmerzensgeld.

Das Gericht lehnte dies jedoch ab. Es führte aus, dass eine Geldentschädigung wegen Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts oder auch des Totenfürsorgerechts der Tochter nur bei schwerwiegenden Beeinträchtigungen gewährt wird. Dafür reichte es nicht aus, dass die Mutter der Tochter nicht mitgeteilt hatte, dass die Urne umgebettet wurde und an welchen Ort dies erfolgt ist. Ein solcher Anspruch auf Schmerzensgeld würde nach Auffassung des Gerichts nur in Frage kommen, wenn die Mutter aus sachwidrigen Gründen gehandelt, also ohne legitime eigene Interessen den Verlust der Trauerstätte zu Lasten der Tochter in Kauf genommen hätte. Die Mutter konnte zwar nicht beweisen, dass es der Wille des Verstorbenen war, auf diese Art bestattet zu werden. Auf der anderen Seite konnte die Tochter aber auch nicht beweisen, dass die Mutter aus böswilligen Motiven gehandelt hatte. Daher stand der Tochter auch kein Schmerzensgeld zu.

Hinweis: Um Streitigkeiten zu vermeiden, empfiehlt es sich, in einem Testament oder Erbvertrag auch Regelungen zur Bestattung aufzunehmen. Wurde nichts geregelt, obliegt die Entscheidung den sogenannten „Totenfürsorgeberechtigten“. Dies sind die nahen Angehörigen – wie Ehegatten und Kinder – unabhängig davon, ob sie gleichzeitig auch Erben sind. Die Reihenfolge der Berechtigten ist in den Bestattungsgesetzen des jeweiligen Bundeslandes geregelt, wobei Ehegatten Kindern in der Regel vorgehen.

Quelle: LG Krefeld, Urt. v. 24.02.2017 – 1 S 68/16
Erbrecht

Unfall mit Einsatzfahrzeug: Selbst im Fall einer Haftungsverteilung ziehen die Unfallgegner meist den Kürzeren

Für die Haftungsabwägung bei einem bei Rotlicht in die Kreuzung einfahrenden Einsatzfahrzeug ist dessen Geschwindigkeit wesentlich. Bei dem anderen Verkehrsteilnehmer ist die Erkennbarkeit des Einsatzfahrzeugs, und ob hierauf sorgfältig reagiert wird, entscheidend.

Im innerstädtischen Kreuzungsbereich kam es in den Abendstunden zu einem Unfall, wobei ein Einsatzfahrzeug mit eingeschaltetem Martinshorn und Blaulicht bei Rot in die Kreuzung einfuhr und hier mit einem Pkw kollidierte, der bei bestehendem Grünlicht in die Kreuzung einfuhr.

Das Oberlandesgericht Hamm hat vorliegend eine Haftungsverteilung von 2/3 zu Lasten der Autofahrerin und zu 1/3 zu Lasten der Fahrerin des Einsatzfahrzeugs vorgenommen. In seiner Entscheidung weist das Gericht darauf hin, dass es bei der Haftungsquote bei Unfällen mit einem Einsatzfahrzeug keine üblichen Haftungsverteilungen gibt. Entscheidend kommt es auf die Abwägung der Verursachungs- und Verschuldensbeiträge an.

Zu Lasten der Fahrerin des Einsatzfahrzeugs war zu berücksichtigen, dass diese nicht mit der nötigen Sorgfalt in die Kreuzung eingefahren war. Sie hatte das bei Grün einfahrende Fahrzeug sorgfaltswidrig nicht beachtet, obwohl dieses über eine weite Strecke hinweg sichtbar war. Andererseits berücksichtigte das Gericht das grob nachlässige Verhalten der Autofahrerin. Diese konnte aus mehreren 100 m Entfernung das Blaulicht wahrnehmen und das Martinshorn hören. Da zudem bereits andere Fahrzeuge am rechten Fahrbahnrand standen, hätte sie hieraus den zwingenden Schluss ziehen müssen, dass eine besondere Verkehrssituation besteht, und daher nicht mit unverminderter Geschwindigkeit in die Kreuzung einfahren dürfen.

Hinweis: Fahrer von Rettungsfahrzeugen sind bei der Inanspruchnahme von Sonderrechten (Martinshorn und Blaulicht) von den Vorschriften der Straßenverkehrsordnung befreit. Dies bedeutet allerdings nicht, dass bei einem Verkehrsunfall eine Haftung ihrerseits vollständig ausgeschlossen ist. Gerade beim Einfahren in Kreuzungen bei Rotlicht muss besonders darauf geachtet werden, dass die Kreuzung frei ist. Es darf nur mit angepasster Geschwindigkeit – ggf. mit Schrittgeschwindigkeit – in die Kreuzung eingefahren werden.

Quelle: OLG Hamm, Urt. v. 18.07.2017 – I-9 U 34/17
Verkehrsrecht

Belästigung am Arbeitsplatz: Eine sexuelle Motivation des Täter ist nicht entscheidend – die Würde des Opfers schon

Bei jeder Form der sexuellen Belästigung steht für einen Arbeitnehmer der Bestand des Arbeitsverhältnisses auf dem Spiel.

In einem Stahlwerk waren neben der Stammbelegschaft unter anderem zwei Leiharbeiter eingesetzt. Dann geschah etwas Unfassbares: Einer der Arbeitnehmer aus der Stammbelegschaft, bereits seit 1991 beschäftigt, griff einem der Leiharbeiter schmerzhaft von hinten in den Genitalbereich. Dann sagte er zu ihm, dass er dicke Eier habe. Der Arbeitgeber kündigte daraufhin das Arbeitsverhältnis mit dem Täter. Gegen die Kündigung legte der Arbeitnehmer Kündigungsschutzklage ein und meinte, er habe lediglich unabsichtlich das Hinterteil des Leiharbeiters berührt.

Das Bundesarbeitsgericht sagte deutlich, dass ein solches Verhalten grundsätzlich einen wichtigen Grund für eine fristlose Kündigung darstellen kann. Denn es lag eine zweifache sexuelle Belästigung vor – einmal durch den Griff und einmal durch den anschließenden Spruch des Arbeitnehmers. Dabei muss ausdrücklich keine sexuelle Motivation des Täters vorliegen, es kommt nur darauf an, ob das Verhalten die Würde des Betroffenen verletzt. Letztendlich muss das Landesarbeitsgericht nochmals über die Angelegenheit entscheiden und auch eine ordnungsgemäße Interessenabwägung vornehmen.

Hinweis: Bei der absichtlichen Berührung von Geschlechtsteilen kommt es also nicht auf eine sexuelle Motivation des Täters an.

Quelle: BAG, Urt. v. 29.06.2017 – 2 AZR 302/16
Arbeitsrecht

Elterliche Sorge: Das Vorleben streng islamischer Werte widerspricht nicht dem Alleinsorgeanspruch

Die elterliche Sorge für die gemeinsamen Kinder soll nach Möglichkeit von den Eltern auch gemeinsam ausgeübt werden. Miteinander verheiratete Eltern besitzen diese gemeinsame elterliche Sorge von Gesetzes wegen automatisch. Bei nicht miteinander verheirateten Eltern soll der Vater heutzutage die elterliche Sorge erleichtert miteingeräumt bekommen. Was aber gilt, wenn die Wertevorstellungen der Eltern völlig verschieden (geworden) sind?

Dieser Frage wendete sich das Oberlandesgericht Hamm zu: Die Kindeseltern kannten sich nur kurz, als die Frau schwanger wurde. Der Vater, ein Nigerianer, lebte erst kurze Zeit in Deutschland. Die Mutter ist Deutsche. Verheiratet waren die Eltern nicht, hatten aber eine Erklärung abgegeben, wonach es zur gemeinsamen elterlichen Sorge kam. Alsbald trennten sich die Eltern jedoch wieder. Die Frau beantragte die Übertragung der elterlichen Sorge allein auf sich. Im Laufe des Verfahrens wendete sie sich dem Islam zu. Sie konvertierte, heiratete nach islamischem Recht und trägt seitdem eine Vollverschleierung.

Die elterliche Sorge wurde auf die Frau allein übertragen.

Maßgeblich stellte das Gericht darauf ab, dass das Kind unterdessen seit acht Jahren von der Mutter betreut und erzogen wurde. Kontakt mit dem Vater lehnte das Kind ab. Eine kommunikative Basis zwischen den Eltern fehlte aufgrund der unterschiedlichen Wert- und Erziehungsvorstellungen. Die Freizeitgestaltung des Kindes ist als den kindlichen Bedürfnissen entsprechend festgestellt worden, ebenso liegt die volle soziale Integration vor. Da sich der Kindesvater dagegen nicht einmal beim Verfahrenspfleger für ein Gespräch gemeldet hatte, war die elterliche Sorge auf die Mutter allein zu übertragen.

Hinweis: Die Entscheidung zeigt, dass sich die Rechtsprechung aus der religiösen Orientierung der Eltern nach Möglichkeit heraushält. Der Vater hatte sich schlicht und ergreifend nicht um das Verfahren gekümmert. Die Mutter konnte für sich in Anspruch nehmen, dem Kind Kontinuität zu bieten und es kindgerecht zu erziehen. Die konträre religiöse Ausrichtung der Eltern verhinderte hierbei die gemeinsame elterliche Sorge.

Quelle: OLG Hamm, Beschl. v. 12.05.2017 – II-4 UF 94/16

Thema: Familienrecht

„Wir schließen!“ Kammergericht genehmigt im Eilverfahren Räumungsverkauf trotz unklarer Kündigungslage

Nachdem Bauverzögerungen in einer Einkaufspassage bekannt wurden, zog sich eine Gewerbemieterin aus dem Mietverhältnis zurück und eröffnete ihren Räumungsverkauf. Ob sie einen solchen Verkauf starten darf, wenn die Vermieterin der Meinung ist, dass das Mietverhältnis nicht ordentlich gekündigt wurde, mussten die Berliner Gerichte klären.

Laut Mietvertrag war das Ende der Mietzeit mit Mai 2017 erreicht. Doch die Parteien schlossen einen Nachtrag ab, wonach das Einkaufszentrum innerhalb von max. zwölf Monaten renoviert werde, die Mietfläche reduziert werden und die Mietzeit weitere zehn Jahre nach Abschluss des Umbaus betragen sollte. Als der Mieterin jedoch bekannt wurde, dass der Umbau erst ein Jahr später beginnen und gut 14 Monate dauern sollte, kündigte sie das Mietverhältnis fristlos und führte im Juli 2017 einen Räumungsverkauf durch, den sie mit dem Hinweis „Wir schließen!“ bewarb. Die Vermieterin war jedoch der Meinung, dass das Mietverhältnis durchaus noch bestünde, und zog im Eilverfahren vor das Landgericht Berlin. Dieses gab dem Antrag statt.

Das Kammergericht (KG) war nun jedoch der Meinung, dass der Räumungsverkauf der Mieterin nicht untersagt werden darf. Seiner Ansicht nach bestand für die Vermieterin keinerlei Anlass, dass die Mieterin den unstreitig bereits mit Mai beendeten schriftlichen Hauptmietvertrag stillschweigend auf unbestimmte Zeit fortsetzen wolle. Die Mieterin hatte ihre Vermieterin sogar mehrfach aufgefordert, die Umbauarbeiten bis Ende Juni fertigzustellen.

Die Mieterin durfte ihren Räumungsverkauf also durchführen. Ob ihre außerordentliche Kündigung des Anschlussmietvertrags wirksam war, ließ das KG in dem Eilverfahren offen.

Hinweis: Langfristige Mietverträge können schnell dazu führen, dass die wirtschaftliche Existenz bedroht ist. Deswegen muss vor dem Abschluss solcher Verträge intensiv geprüft werden, ob sich das Vorhaben auch finanziell wirklich rechnet. Und bei der Prüfung der Verträge kann ein Rechtsanwalt behilflich sein.

Quelle: KG Berlin, Urt. v. 16.10.2017 – 8 U 135/17

Thema: Mietrecht