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Zu schwungvoll gedreht: Selbsternannter Tanzkönig haftet nicht für Folgen eines freiwillig ausgeführten Paartanzes

Verletzungen beim Sport durch den Partner sind ärgerlich und werden meistens von niemandem ersetzt, selbst wenn die Tätigkeit, die zum Schaden führte, auf den ersten Blick eigentlich nicht als Sportunfall anzusehen ist.

Eine Frau wurde auf einer Feier von einem Bekannten zu einem gemeinsamen Paartanz aufgefordert. Der Mann bezeichnet sich selbst sogar als Tanzkönig. Die Frau teilte ihm mit, dass sie nicht tanzen könne, begab sich aber trotzdem mit ihm auf die Tanzfläche. Bei einer schwungvollen Drehung wurde sie dann von ihrem Tanzpartner losgelassen, stürzte und zog sich erhebliche Verletzungen zu. Schließlich klagte sie gegen ihren Tanzpartner und wollte Schadensersatz erhalten – den sie allerdings nicht bekam.

Die Gefahr eines Sturzes beim Tanzen besteht grundsätzlich und ist allgemein bekannt. Auch war die Gefahr für die Frau erkennbar, so dass die Folgen des Unfalls ihrem Tanzpartner nicht zuzurechnen waren. Es lag eine Selbstgefährdung vor. Die Frau hätte durch eine klar formulierte Absage oder ein Verlassen der Tanzfläche den Tanz verhindern können.

Hinweis: Es gibt also keine Haftung des Tanzpartners für Unfallfolgen. Und das dürfte nicht nur für den Tanzsport, sondern für andere Sportarten ebenfalls gelten.

Quelle: OLG Frankfurt a.M., Urt. v. 02.08.2017 – 13 U 222/16

Thema: Sonstiges

Elterliche Rücksichtnahmepflicht: Nachbarn müssen nicht jeglichen Kinderlärm hinnehmen

Nach diesem durchaus überraschenden Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) müssen Mieter nicht jeglichen Kinderlärm aus der Nachbarwohnung hinnehmen.

Es ging um Lärmbeschwerden im Mietshaus. Seit dem Einzug der Obermieter kam fast täglich massiver Lärm durch heftiges Stampfen, Springen, Poltern sowie durch Schreie und sonstige lautstarke familiäre Auseinandersetzungen aus der Wohnung. Diese Lärmstörungen wurden nicht nur durch die Kinder, sondern auch durch die Eltern selbst verursacht und dauerten meistens ein bis vier Stunden an. Selbst Ohrstöpsel halfen nicht. Deshalb klagten die Mieter aus der unteren Wohnung gegen ihren Vermieter auf die Feststellung eines Mietminderungsrechts von 50 %, die Rückzahlung der unter Vorbehalt gezahlten Miete von knapp 9.000 EUR sowie die Beseitigung der Lärmstörung.

Das Landgericht (LG) hatte die Klage abgewiesen, doch der BGH sah die Angelegenheit anders. Denn das LG hatte die wesentlichen Punkte des Vorbringens zu Art, Intensität, Häufigkeit und Dauer der Lärmstörungen nicht berücksichtigt. Mieter müssen im Hinblick auf die Rücksichtnahmepflicht nicht jeglichen Kinderlärm hinnehmen. Es gibt Grenzen, wann das normale Maß überschritten ist. Diese sind im Einzelfall nach Art, Dauer, Intensität und Häufigkeit sowie nach Alter und Gesundheitszustand des Kindes zu ermitteln. Auch bedarf es keiner Vorlage eines Lärmprotokolls, wenn sich Art, Dauer, Zeit und Häufigkeit aus der Beschreibung der Betroffenen konkret ermitteln lassen.

Hinweis: Mitmieter müssen demnach nicht jeglichen Kinderlärm hinnehmen. Bei wiederkehrenden Lärmstörungen bedarf es nicht der Vorlage eines sogenannten detaillierten Lärmprotokolls. Empfehlenswert ist das jedoch allemal.

Quelle: BGH, Urt. v. 22.08.2017 – VIII ZR 226/16

Thema: Mietrecht

Erbvertrag ohne Rücktrittsrecht: Nur nachweisbare schwere Verfehlungen entbinden von getroffenen Vereinbarungen

Erbverträge werden häufig in Erwartung einer bestimmten Gegenleistung geschlossen. Wird diese Erwartung nicht erfüllt, stellt sich – wie bei gemeinschaftlichen Testamenten auch – immer wieder die Frage, wie man die bindend getroffene Vereinbarung rückgängig machen kann.

Ein Ehepaar hatte einen notariellen Erbvertrag geschlossen, in dem sich die Ehepartner gegenseitig zu Alleinerben einsetzten. Nach über 50 Jahren erklärte der Erblasser den Rücktritt von diesem Vertrag und setzte in einem privatschriftlichen Testament die gemeinsamen Kinder zu seinen Erben ein. Kurz darauf verstarb er. Nun stritten Ehefrau und Kinder um das Erbe.

Das Gericht entschied, dass der Ehemann nicht wirksam von dem Erbvertrag zurückgetreten war. Ein Rücktritt vom Erbvertrag wegen Verfehlungen des Vertragspartners ist nur wirksam, wenn entsprechende Verfehlungen nachgewiesen werden, die auch die Entziehung des Pflichtteils rechtfertigen würden. Die Söhne führten zwar an, dass die Ehefrau über Jahre hinweg größere Geldbeträge von dem Konto des Ehemannes für sich verwandt hatte. Jedoch konnten sie nicht nachweisen, dass dies eine Straftat darstellte und nicht auf Vereinbarungen zwischen den Ehepartnern beruhte.

Hinweis: Es empfiehlt sich, im Erbvertrag ausdrücklich ein Rücktrittsrecht zu vereinbaren – etwa für den Fall, dass bestimmte Verpflichtungen, wie zum Beispiel die Pflege des Vertragspartners, nicht eingehalten werden. Wurde kein vertragliches Rücktrittsrecht vereinbart, besteht ein gesetzliches Rücktrittsrecht nur in den engen Grenzen, die auch für die Entziehung des Pflichtteils gelten – also vorsätzliche körperliche Misshandlung, Verbrechen oder sonstige schwere Verfehlungen des Vertragspartners.

Quelle: OLG Köln, Beschl. v. 03.07.2017 – 2 Wx 147/17

Thema: Erbrecht

Fiktive Schadensabrechnung: Der Hinweis auf eine gleichwertige, aber günstigere Werkstatt muss akzeptiert werden

Bei der sogenannten fiktiven Schadensabrechnung ist ein Verweis auf eine günstigere Referenzwerkstatt auch dann möglich, wenn im Gutachten des Geschädigten die Reparaturkosten auf der Basis mittlerer ortsüblicher Stundenverrechnungssätze kalkuliert wurden.

Nach einem unverschuldeten Unfall brachte der Geschädigte sein Fahrzeug zu einem Kfz-Sachverständigen, um die erforderlichen Reparaturkosten schätzen zu lassen. Bei der Erstellung des Gutachtens kalkulierte der Sachverständige die Reparaturkosten auf Basis mittlerer ortsüblicher Stundenverrechnungssätze. Der Geschädigte verlangte daraufhin die Erstattung der Reparaturkosten auf Basis dieses Gutachtens. Die gegnerische Haftpflichtversicherung verwies den Mann allerdings auf eine günstigere Reparaturmöglichkeit in einer nahe gelegenen Werkstatt.

Nach Auffassung des Amtsgerichts Würzburg (AG) war der Verweis auf eine günstigere Reparaturmöglichkeit nicht zu beanstanden. Auch wenn der Geschädigte nicht zur Marktforschung verpflichtet ist, muss er sich im Rahmen fiktiver Abrechnung doch mit einem  Hinweis auf eine günstigere, gleichwertige Reparaturwerkstatt auseinandersetzen – und sich bei Gleichwertigkeit mit dem niedrigeren Betrag zufrieden geben. Das Gericht hatte durch einen Sachverständigen klären lassen, ob die von der gegnerischen Versicherung genannte Referenzwerkstatt die Leistungen gleichwertig und entsprechend den Vorgaben im Gutachten hätte durchführen können. Und genau dies wurde bestätigt.

Hinweis: Es ist immer wieder zu beobachten, dass Sachverständige bei der Kalkulation der Reparaturkosten nicht die Stundenverrechnungssätze einer Markenwerkstatt, sondern mittlere ortsübliche Stundenverrechnungssätze zugrunde legen. Das Oberlandesgericht München hatte in einem Fall aus dem Jahr 2013 noch entschieden, dass dort ein Verweis auf eine günstigere Reparaturmöglichkeit nicht akzeptiert werden musste. Die Entscheidung des AG liegt allerdings auf der Linie des Bundesgerichtshofs. Kann die Schädigerseite die zumutbare Möglichkeit der Inanspruchnahme einer preiswerteren Werkstatt ausreichend darlegen und notfalls beweisen, ist auf Grundlage der preiswerteren Reparaturmöglichkeit abzurechnen.

Quelle: AG Würzburg, Urt. v. 10.04.2017 – 30 C 1735/16

Thema: Verkehrsrecht

Kündigung von Low Performern: Arbeitgeber muss unterdurchschnittliche Leistungserbringung protokollieren und darlegen

Arbeitnehmer, die nicht die gewünschte Arbeitsleistung erbringen, werden „Low Performer“ genannt – kein schöner Ausdruck und dennoch leider Realität.

Ein Arbeitnehmer hatte bereits wegen schlechter Arbeitsleistungen in der Kfz-Werkstatt drei Abmahnungen erhalten. Nun warf der Arbeitgeber seinem Arbeitnehmer vor, bei einem Kfz-Werkstatttest nur vier von sechs Fehlern erkannt sowie bei einem Auftrag anstehende Servicearbeiten nicht durchgeführt zu haben. Dies schade dem Ruf des Autohauses. Deshalb sprach der Arbeitgeber eine Kündigung wegen schlechter Arbeitsleistungen aus. Dagegen klagte der Arbeitnehmer – und das Arbeitsgericht gab der Kündigungsschutzklage des Arbeitnehmers statt. Der Arbeitgeber hatte weder die Leistungen des Arbeitnehmers über einen repräsentativen Zeitraum noch die Fehlerquote vergleichbarer Arbeitnehmer dargelegt. So konnte das Gericht nicht erkennen, ob der Arbeitnehmer seine vertraglichen Verpflichtungen vorwerfbar verletzt hatte.

Hinweis: Will der Arbeitgeber einem Low Performer kündigen, muss er darlegen, dass bei dem Arbeitnehmer eine unterdurchschnittliche Leistung vorliegt.

Quelle: ArbG Siegburg, Urt. v. 25.08.2017 – 3 Ca 1305/17

Thema: Arbeitsrecht

Abstammungsklärung: Die Stellung als Vater wieder loszuwerden, ist nicht einfach

Bringt eine verheiratete Frau ein Kind zur Welt, gilt ihr Mann automatisch als Vater des Kindes. Wird das Kind einer nicht verheirateten Frau geboren, bedarf es einer ausdrücklichen Erklärung oder Feststellung zur Begründung der Vaterschaft. Die Frage, ob man eine Vaterschaft auch wieder loswird, beschäftigte den Bundesgerichtshof (BGH).

Wer als rechtlicher, jedoch nicht leiblicher Vater eines Kindes gilt, kann die Vaterschaft anfechten, sobald er von ihm bisher unbekannten Umständen erfährt, die gegen die Vaterschaft sprechen. Aber: Ab dem Zeitpunkt der Kenntniserlangung gilt eine Frist von zwei Jahren, um eine solche Anfechtung gerichtlich zu betreiben. Ist die Frist verstrichen, bleibt der rechtliche Vater der Vater – selbst wenn noch so eindeutig feststeht, dass die tatsächliche Situation nicht mit der rechtlichen in Einklang steht.

Unabhängig davon kann der Vater – auch nach Ablauf der Zweijahresfrist – vom Kind und der Mutter verlangen, dass eine genetische Abstammungsuntersuchung durchgeführt wird, um die leibliche Abstammung zu überprüfen. Das Ergebnis dieser Untersuchung ist dann allerdings ohne rechtliche Bedeutung.

Im BGH-Fall hatte ein kinderlos verheirateter Türke mit starkem Kinderwunsch den Sohn eines mit ihm verwandten Ehepaars zu sich genommen und durch Falschangaben im türkischen Geburtenregister als sein Kind eintragen lassen. Die Geburtsurkunde des Kindes wies den Mann, der mit seiner Frau und „seinem“ Kind in Deutschland lebte, ebenso als Vater aus. Dann wurde seine Ehe jedoch geschieden, er heiratete erneut und bekam nun vier „weitere“ Kinder. Er betrieb daraufhin das Verfahren zur Einwilligung zur genetischen Abstammungsuntersuchung.

Das Verfahren verlor er. Als Vater des Kindes könne er ein solches Verfahren zwar betreiben – er ist aber nicht der Vater. Da er das Kind einer verheirateten Frau zu sich genommen hatte, gilt deren Mann als Vater, nicht er. Dass er das Geburtsregister „erfolgreich“ gefälscht hatte, ändert daran natürlich nichts.

Hinweis: Erfreulicherweise ist dieser Fall ein Beispiel dafür, dass einem Fälschungen nicht weiterhelfen.

Quelle: BGH, Beschl. v. 26.07.2017 – XII ZB 125/17

Thema: Familienrecht

Altersgrenze für Geschäftsführer: Eine betriebliche Altersversorgung legitimiert das Ausscheiden vor dem Renteneintrittsalter

Für Geschäftsführer gelten andere Regelungen als für „normale“ Arbeitnehmer. Trotzdem verwundert das eine oder andere Urteil schon.

Zwischen einer GmbH und ihrem Geschäftsführer war vertraglich vereinbart worden, dass beide Parteien den Vertrag beim Eintritt des Geschäftsführers in das 61. Lebensjahr kündigen dürfen. So ging die GmbH dann auch vor. Der ehemalige Geschäftsführer sah diese Kündigung als unberechtigt an und war der Auffassung, dass die Regelung im Arbeitsvertrag ihn aus Altersgründen diskriminieren würde. Das sah der Bundesgerichtshof allerdings anders. Die Regelung im Arbeitsvertrag war zulässig. Das Gericht vertrat die Auffassung, dass die Vereinbarung einer Altersgrenze unterhalb des gesetzlichen Renteneintrittsalters für GmbH-Geschäftsführer dann zulässig ist, wenn gewährleistet ist, dass dem Geschäftsführer ab dem Zeitpunkt seines Ausscheidens eine betriebliche Altersversorgung zusteht. Und das war hier der Fall, denn dem ehemaligen Geschäftsführer stand ab dem Zeitpunkt seines vorzeitigen Ausscheidens eine betriebliche Altersversorgung zu.

Hinweis: Eine Altersgrenze von 60 Jahren kann also mit einem GmbH-Geschäftsführer vereinbart werden, sofern dem Geschäftsführer eine betriebliche Altersversorgung zusteht.

Quelle: OLG Hamm, Urt. v. 19.06.2017 – 8 U 18/17

Thema: Sonstiges

Wurzeln im Abwasserkanal: Eigentümer baumbestandener Grundstücke tragen Rückstauschäden nur in Ausnahmefällen

Wenn die Wurzeln eines Baums in den Abwasserkanal dringen und dadurch ein Schaden entsteht, haftet dann der Eigentümer des Grundstücks, auf dem der Baum steht?

Auf einem Gelände, das sich in städtischem Eigentum befand, stand ein Kastanienbaum. Dieser Kastanienbaum hatte Wurzeln, die in den öffentlichen Kanal hineingewachsen waren. Nach einem starken Regen kam es wegen der Wurzeln zu einem Rückstau im öffentlichen Kanalsystem und in einem Haus trat das Wasser aus dem Bodenablauf des Kellers heraus. Den Schaden von rund 30.000 EUR wollte die Eigentümerin nun von der Stadt ersetzt verlangen. Die Richter des Bundesgerichtshofs (BGH) entschieden, dass Eigentümer von Grundstücken mit Bäumen nur unter besonderen Umständen für Rückstauschäden haften, die durch Wurzeleinwuchs in Abwasserkanäle entstehen.

Es hängt von den konkreten Umständen des jeweiligen Einzelfalls ab, ob und in welchem Umfang ein Grundstückseigentümer für einen auf seinem Grundstück stehenden Baum Kontroll- und Überprüfungsmaßnahmen auch in Bezug auf die mögliche Verwurzelung eines Abwasserkanals durchführen muss. Dabei muss der Eigentümer allerdings nicht den Kanal selbst überprüfen, zu dem er zumeist keinen Zugang hat.

Hier gab es allerdings eine Besonderheit, da die Stadt als Eigentümerin des Grundstücks mit der Kastanie auch die Betreiberin des öffentlichen Abwassersystems war und unmittelbaren Zugang zum Kanalsystem hatte. Deshalb hätte sie bei ohnehin gebotenen Inspektionen des Kanals die Wurzeln erkennen können und gegebenenfalls dann auch rechtzeitig beseitigen können. Ob das möglich gewesen wäre, muss nun die Vorinstanz noch aufklären, an die der Fall zurückverwiesen wurde.

Hinweis: Grundstückseigentümer haften für Rückstauschäden durch Baumwurzeln in Abwasserkanälen also in aller Regel nicht, da eine Prüfungspflicht für sie nach dem BGH nicht besteht.

Quelle: BGH, Urt. v. 24.08.2017 – III ZR 574/16

Thema: Mietrecht

Verjährung des Pflichtteilsanspruchs: Eine Stundungsvereinbarung verhindert die Verjährung

Engen Verwandten, die im Testament nicht bedacht werden, steht ein Pflichtteil zu. Häufig ist die Auszahlung des Pflichtteils für den Erben jedoch mit finanziellen Schwierigkeiten verbunden – etwa wenn er Immobilien verkaufen muss, um den Pflichtteil auszubezahlen. Daher werden von den Beteiligten in solchen Fällen häufig Absprachen über eine Ratenzahlung oder einen Aufschub der Zahlung getroffen. Dabei ist jedoch Vorsicht geboten, da der Pflichtteilsanspruch innerhalb von drei Jahren verjährt.

Eine Frau hatte eine Tochter und einen Sohn, der bereits verstorben war. Sie setzte in ihrem Testament ihre Tochter als Alleinerbin ein. Die Tochter des Sohns machte als Enkelin der Erblasserin daraufhin den Pflichtteil aus dem Erbteil ihres Vaters geltend. Ihre Tante bat als Tochter der Erblasserin jedoch, davon abzusehen, da sie sonst die Eigentumswohnung, in der sie lebte, verkauften müsse. Sie sicherte ihrer Nichte zu, dass diese nach ihrem Tod sowieso alles erben würde, was auch in einem Brief festgehalten war. Die Nichte stimmte diesem Vorgehen zu. 13 Jahre nach dem Tod der Großmutter wollte sie dann aber doch ihren Pflichtteil geltend machen und verlangte Auskunft über den entsprechenden Nachlass. Die Tante lehnte dies jedoch ab und trug vor, dass der Anspruch verjährt sei.

Das Gericht sah dies jedoch anders. Es ging davon aus, dass die Vereinbarung zwischen Tante und Nichte rechtlich eine Stundungsvereinbarung über den Pflichtteil darstellt und nicht etwa einen Verzicht. Die Stundung einer Forderung hemmt gleichzeitig auch die Verjährung. Somit war weder der Auskunfts- noch der Auszahlungsanspruch nach Auffassung des Gerichts verjährt.

Hinweis: Grundsätzlich muss der Erbe den Pflichtteil sofort auszahlen. In der Praxis kommt es jedoch häufig zu Verzögerungen, etwa weil der Erbe keine genaue Auskunft über den Wert des Nachlasses gibt oder einzelne Nachlassgegenstände erst bewertet werden müssen. Sofern sich die Parteien einig sind, gibt es mehrere Möglichkeiten, während dieser Zeit die Verjährung des Anspruchs zu verhindern (z.B. eine Vereinbarung zum Verzicht auf die Einrede der Verjährung oder eine Stundung). Kann jedoch keine Einigung erzielt werden, kann der Pflichtteilsberechtigte die Verjährung dadurch verhindern, dass er Klage erhebt. Der Erbe wiederum kann nicht einseitig die Auszahlung des Pflichtteils verweigern oder verzögern. Nur in Ausnahmefällen, in denen die sofortige Erfüllung des Pflichtteilsanspruchs für den Erben eine unbillige Härte darstellen würde, kann er beim Nachlassgericht die Stundung des Anspruchs beantragen.
 

Quelle: OLG Karlsruhe, Urt. v. 15.10.2015 – 9 U 149/14

Thema: Erbrecht

Geschwindigkeitsüberwachung: Das Unterschreiten der vorgeschriebenen Regelentfernung muss immer begründet werden

Von einem an sich verwirkten Regelfahrverbot wegen einer innerorts begangenen Geschwindigkeitsüberschreitung kann mit der Begründung abgesehen werden, dass die Messung entgegen den polizeilichen Verkehrsüberwachungsrichtlinien in einem zu geringen Abstand vor einer markierten Ortstafel durchgeführt wurde. In einem solchen Fall ist jedoch in den Urteilsgründen darzulegen, ob sachliche Gründe für die Wahl und Einrichtung der konkreten Messstelle bestanden haben.

Wegen einer innerörtlichen Geschwindigkeitsüberschreitung um 31 km/h wurde gegen den Betroffenen eine Geldbuße von 160 EUR festgesetzt sowie ein einmonatiges Fahrverbot verhängt. Auf den Einspruch des Betroffenen hin verurteilte ihn das Amtsgericht zu einer Geldbuße von 320 EUR – von der Verhängung eines Fahrverbots wurde abgesehen. Das Oberlandesgericht Bamberg hat das Urteil des Amtsgerichts aufgehoben und zur erneuten Entscheidung zurückverwiesen.

 

Zur Begründung führt das Gericht aus, dass die Entscheidung des Amtsgerichts, mit der es ein Absehen von der Verhängung eines Fahrverbots begründet hat, lückenhaft sei. Die Argumentation, dass sich die Messstelle weniger als 200 m vor dem Ortsausgangsschild und die Bebauung an der Messstelle „weiter weg“ befunden habe, reiche nicht aus. Zwar kann eine Geschwindigkeitsmessung, die unter Verletzung des in internen Verwaltungsanweisungen vorgegebenen Mindestabstands zu einem die Geschwindigkeit regelnden Verkehrszeichen vorgenommen wird, die Aufhebung eines Fahrverbots rechtfertigen. Allerdings gilt dies nicht ausnahmslos. Am Beginn oder am Ende einer geschlossenen Ortschaft kann bei besonderen Verkehrsverhältnissen die Regelentfernung unterschritten werden – zum Beispiel beim Fehlen von Fußwegen bei spürbarem Fußgängerverkehr, bei einmündenden Straßen, Firmenzufahrten, Schulen oder Kindergärten. Zum Vorliegen einer solchen Fallkonstellation hat das Amtsgericht hier aber keine Feststellungen getroffen.

Hinweis: Die Richtlinien der Bundesländer zur Geschwindigkeitsüberwachung sind nach allgemeiner Ansicht sogenanntes Verwaltungsinnenrecht und entfalten keine unmittelbare Außenwirkung.

Quelle: OLG Bamberg, Beschl. v. 22.02.2017 – 3 Ss Owi 178/17

Thema: Verkehrsrecht