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Erbschaft für den Enkel: Trotz gültiger Enterbung des Sohns hat dessen Sohn einen Pflichtteilsanspruch

In besonderen im Gesetz genannten Ausnahmefällen kann ein Abkömmling nicht nur enterbt werden, es kann ihm auch der Pflichtteil entzogen werden. Das bedeutet jedoch nicht, dass die Kinder dieses Abkömmlings nicht selbst einen Pflichteilsanspruch geltend machen können.

Ein Mann hatte seine beiden Söhne durch ein notarielles Testament enterbt und ihnen auch wirksam den Pflichtteil entzogen, da sie mehrfach straffällig geworden waren. Als Erben setzte er im Testament seine Lebensgefährtin und seinen Bruder ein. Der eine Sohn verstarb kinderlos. Der andere war wegen gefährlicher Körperverletzung gegen den Erblasser verurteilt worden. Nach dem Tod des Erblassers machte jedoch dessen Enkel – Kind des enterbten, noch lebenden Sohns – seinen Pflichtteil geltend.

Das Gericht stellte zum einen klar, dass der Enkel den Pflichtteil verlangen konnte, da dieser seinem Vater entzogen worden war. Diese Entziehung war aufgrund der strafrechtlichen Verurteilung auch durchaus wirksam. Um den Pflichtteilsanspruch geltend zu machen, war es zudem nicht erforderlich nachzuweisen, dass der Enkel der biologische Sohn und damit auch der biologische Enkel des Verstorbenen war – es reichte vielmehr der Nachweis der rechtlichen Abstammung durch Anerkennung der Vaterschaft aus.

Von der Rechtsprechung ist anerkannt, dass die Enterbung des näheren Abkömmlings – also des Sohns – zum Einrücken des entfernteren Abkömmlings – also des Enkels – in die Stellung als gesetzlicher Erbe führt. Da der Enkel im Testament nicht bedacht worden war, konnte er statt seines Vaters den Pflichtteilsanspruch geltend machen.

Hinweis: In diesem Fall kam als Besonderheit hinzu, dass der Enkel mit dem Verstorbenen gar nicht biologisch verwandt war bzw. dies nicht belegt hat. Das ist jedoch nach Auffassung des Gerichts unerheblich, da er der gesetzliche Erbe des eigentlich Pflichtteilsberechtigten war.

Quelle: LG Hagen, Urt. v. 08.02.2017 – 3 O 171/14

Thema: Erbrecht

Behaupteter Spurwechsel: Den Anscheinsbeweis zu widerlegen, ist Aufgabe des Auffahrenden

Bestreitet der Vorausfahrende den vom Auffahrenden behaupteten Spurwechsel, den dieser zudem nicht beweisen kann, bleibt für die Abwägung allein der Auffahrunfall maßgeblich. Es ist nicht Sache des Vorausfahrenden zu beweisen, dass ein Spurwechsel nicht stattgefunden hat.

Auf einer Autobahn kam es zu einem Verkehrsunfall. Der Schädiger fuhr auf das vor ihm fahrende Fahrzeug des Geschädigten und behauptete, dieser habe kurz zuvor einen Spurwechsel vorgenommen.

Der Bundesgerichtshof (BGH) hat nunmehr entschieden, dass für den Fall, dass der Auffahrende nicht beweisen kann, dass der Geschädigte kurz zuvor einen Spurwechsel durchgeführt hat, den Auffahrenden die Alleinhaftung trifft. Denn nach ständiger Rechtsprechung des BGH kann auch bei Auffahrunfällen auf der Autobahn der Anscheinsbeweis dafür sprechen, dass der Auffahrende den Unfall schuldhaft allein verursacht hat. Das „Kerngeschehen Auffahrunfall“ reicht für die Annahme eines Anscheinsbeweises dann allerdings nicht aus, wenn atypische Umstände vorliegen. Hierzu gehört auch ein durchgeführter Spurwechsel. Steht allerdings nicht fest, ob solche atypischen Umstände vorliegen, steht der Anwendung des Anscheinsbeweises nichts entgegen.

Es obliegt demjenigen, zu dessen Lasten ein solcher Anscheinsbeweis angewendet werden soll, darzulegen und ggf. zu beweisen, dass Umstände vorlagen, die gegen den Charakter des ersten Anscheins sprechen. Er hat den Anscheinsbeweis also zu erschüttern. Bestreitet der Geschädigte den behaupteten Spurwechsel jedoch und kann der Auffahrende diesen nicht beweisen, ist bei der Abwägung allein ein Auffahrunfall mit seinen generellen Wesenszügen maßgeblich.

Hinweis: Bei einem Anscheinsbeweis handelt es sich um eine Beweiserleichterung für den Geschädigten. Soll der Anscheinsbeweis zur Anwendung kommen, muss ein allgemeiner Erfahrungssatz festgestellt werden, aufgrund dessen sich der Schluss aufdrängt, eine bestimmte Folge sei auf eine bestimmte Ursache oder umgekehrt zurückzuführen. Kann der Schädiger den gegen ihn sprechenden Anscheinsbeweis nicht erschüttern, bleibt es in der Regel bei seiner vollen Haftung.

Quelle: BGH, Urt. v. 13.12.2016 – VI ZR 32/16

Thema: Verkehrsrecht

Diskriminierung extrem dicker Menschen: Das Bundesarbeitsgericht muss über Adipositas als Behinderung entscheiden

Ein schweres Übergewicht kann unter bestimmten Voraussetzungen eine Behinderung im Sinne des Diskriminierungsrechts darstellen. Wann das möglich ist, zeigt dieser Fall.

Ein Mann hatte einen Body-Mass-Index (BMI) von über 40, was einer schweren Adipositas – also einem extremen Übergewicht – entsprach. Er war im öffentlichen Dienst zunächst befristet für zwei Jahre als Kraftfahrer eingestellt worden. Als das Arbeitsverhältnis auslief, bat der Mann um eine Änderung der Beschäftigung. Diese wurde jedoch abgelehnt. Die Vertrauensärztin bestätigte, dass bei diesem starken Übergewicht mittelfristig mit einer Gesundheitsgefährdung zu rechnen sei.

Der übergewichtige Mann klagte nun vor dem Arbeitsgericht und machte die Unwirksamkeit der Befristung geltend. Die Arbeitgeberin habe ihn wegen seines Übergewichts und damit wegen einer Behinderung benachteiligt. Dieser Auffassung hat sich das Landesarbeitsgericht (LAG) nicht angeschlossen. Eine Behinderung im Sinne des allgemeinen Gleichbehandlungsrechts setzt eine Einschränkung voraus, die auf physische, geistige oder psychische Beeinträchtigungen von Dauer zurückzuführen ist. Die Beeinträchtigung muss den Betreffenden an der vollen und wirksamen Teilhabe am Berufsleben hindern. Das war hier jedoch nicht der Fall.

Hinweis: Ein schweres Übergewicht stellt also per se keine Behinderung im Sinne des Diskriminierungsrechts dar. Etwas anderes kann allerdings gelten, wenn das Übergewicht bestimmte Einschränkungen von langer Dauer mit sich bringt. Das LAG ließ wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Frage die Revision zum Bundesarbeitsgericht zu.

Quelle: LAG Niedersachsen, Urt. v. 29.11.2016 – 10 Sa 216/16

Thema: Arbeitsrecht

Definitionsdetails im Umgangsrecht: Negative Kontaktaufnahme, die keinen Umgang darstellt, ist nicht zwangsläufig sanktionierbar

Es ist leider nicht selbstverständlich, dass der Umgang zwischen den Kindern und jenem Elternteil, bei dem sie nicht leben, funktioniert. Der Gesetzgeber stellt daher Regelungen bereit, um den reibungslosen Ablauf zu gewährleisten oder zumindest zu ermöglichen. Doch oftmals ist das Papier geduldiger als der Lebensalltag, wie dieser Fall beweist.

Hier hatte sich das Oberlandesgericht Frankfurt (OLG) mit zerstrittenen Eltern auseinanderzusetzen. Der Vater hatte am ersten Freitag eines jeden Monats begleiteten Umgang mit den Kindern – unter der Voraussetzung, dass er den Termin jeweils eine Woche vorher der Umgangspflegerin bestätigt. Zudem war ausdrücklich bestimmt, dass er sich während des Umgangs den Kindern gegenüber über die Mutter nicht negativ äußert. Für den Fall der Zuwiderhandlung war die Möglichkeit der Anordnung eines Ordnungsgeldes in der gerichtlichen Entscheidung angeordnet.

Der Vater folgte diesen Anordnungen jedoch nicht, nahm zu den Kindern auf deren Schulweg aus seinem Auto heraus Kontakt auf und äußerte sich dabei einmal negativ über die Mutter. Diese beantragte daraufhin die Verhängung eines Ordnungsgeldes.

Das OLG kam dem Antrag jedoch nicht nach. Umgang setze voraus, dass es über eine gewisse Zeit zu einem Beisammensein komme. Das ist noch nicht der Fall, wenn wie hier lediglich aus dem Auto heraus eine Kontaktaufnahme erfolgt. Gerichtlich ist entschieden worden, dass negative Äußerungen über die Mutter während des Umgangs zu unterbleiben haben und bei einem Verstoß gegen diese Anordnung ein Ordnungsgeld verhängt werden kann. Bei negativen Äußerungen im Rahmen einer Kontaktaufnahme, die nicht als Umgang anzusehen ist, kann diese Sanktion daher nicht verhängt werden.

Hinweis: Problemen bei der Ausübung des Umgangs beizukommen, kann sehr schwer werden. Gerade dann entscheiden die Formulierungen. Es sind alle Eventualitäten möglichst genau zu prognostizieren und zu regeln. Weiterhin ist darauf zu achten, dass für den Fall von Zuwiderhandlungen Ordnungsmittel angeordnet werden können. Fachmännischer Rat gerade bei den Formulierungen ist wichtig.

Quelle: OLG Frankfurt, Beschl. v. 31.10.2016 – 2 WF 302/16

Thema: Familienrecht

Foul mit Folgen: Schadensersatz im Fußball nur nach vorsätzlicher oder grob fahrlässiger Regelwidrigkeit

Wird ein Sportler in einem Wettkampf verletzt, stellt sich häufig die Frage, wer dafür haftet.

Bei einem Frauenfußballspiel in der Bezirksliga wurde eine Spielerin durch den Tritt einer Mitspielerin am rechten Unterschenkel verletzt. Sie erlitt einen komplizierten Unterschenkelbruch. Nach einer Operation gab es Komplikationen, und die Frau ist bis heute gehbehindert. Der Schiedsrichter hatte den Tritt nicht als Foul geahndet. Nun klagte die Spielerin von ihrer Mitspielerin Schadensersatz und Schmerzensgeld von 50.000 EUR ein. Die Mitspielerin war wiederum der Auffassung, dass sie nicht absichtlich ein Foul begangen habe.

Das Oberlandesgericht wies die verletzte und gehbehinderte Fußballspielerin darauf hin, dass es nicht von einer Erfolgsaussicht der Klage ausgehe. Die Spielerin hatte sich die schwere Verletzung in einem sportlichen Wettkampf mit hohem Gefahrenpotential zugezogen. Selbst wenn die Regeln eingehalten werden, kann es beim Fußball immer wieder passieren, dass die Spieler sich schwer verletzen. Daher gingen die Richter davon aus, dass jeder Teilnehmer auch schwere Folgen in Kauf nimmt. Diese sind selbst bei einer regelkonformen Ausübung dieser Sportart nicht zu vermeiden. Die Spielerin nahm ihre Klage daher zurück.

Hinweis: Bei Wettkämpfen mit größerem Gefahrenpotential ist also davon auszugehen, dass jeder Teilnehmer auch Verletzungen mit schweren Folgen in Kauf nimmt. Das gilt jedenfalls dann, wenn die Regeln eingehalten werden. Eine Haftung kommt nur bei vorsätzlicher oder grob fahrlässiger Regelwidrigkeit in Betracht.

Quelle: OLG Hamm, Beschl. v. 22.12.2016 – 9 U 138/16

Thema: Sonstiges

Doppelte Schriftformklausel: Trotz formularmäßiger Vereinbarung haben mündliche Vertragsabsprachen Vorrang

Viele Mietverträge sehen eine Klausel über Schriftformerfordernisse vor. Wann solche Klauseln nicht gelten, zeigt dieser Fall.

In einem gewerblichen Mietvertrag war eine sogenannte doppelte Schriftformklausel enthalten. Danach waren Änderungen oder Ergänzungen des Vertrags nur wirksam, wenn sie schriftlich vereinbart werden. Dies galt auch für eine Änderung dieser Schriftformklausel selbst. Dann wurde der Mietvertrag geändert, insbesondere hinsichtlich des Nutzungszwecks der Gewerbefläche. Die doppelte Schriftform wurde dabei nicht konsequent eingehalten. Das war aber nicht weiter tragisch. Denn der BGH urteilte, dass eine in einem Mietvertrag über Gewerberäume enthaltene doppelte Schriftformklausel im Fall der formularmäßigen Vereinbarung eine mündliche oder auch allgemeinhin schlüssige Änderung der Vertragsabreden wegen des Vorrangs der Individualvereinbarung nicht ausschließt.

Hinweis: Einzelabreden – also echte individuelle Vereinbarungen – gehen den formularmäßigen schriftlichen Mietbedingungen in jedem Fall vor.

Quelle: BGH, Beschl. v. 25.01.2017 – XII ZR 69/16

Thema: Mietrecht

Sorgfaltspflichten auf der Tankstelle: Fußgänger und Autofahrer sind gleichsam zur Vorsicht verpflichtet

Überquert ein Fußgänger auf einer Tankstelle beim Weg zur Kasse die Fahrbahn zwischen zwei Tankinseln, hat er mit erhöhter Sorgfalt nicht nur den (vorrangigen) Fahrzeugverkehr zu beachten, er muss auch die an den Zapfsäulen stehenden Fahrzeuge im Auge behalten.

Im Bereich einer Tankstelle kollidierte ein Pkw-Fahrer mit einem Fußgänger, der sich zwischen den Tankstelleninseln auf dem Weg zur Kasse befand. Hierbei zog sich der Fußgänger Verletzungen im Bereich des linken Fußgelenks zu.

Das Oberlandesgericht Naumburg hat entschieden, dass im vorliegenden Fall sowohl den Fußgänger als auch den Pkw-Fahrer zu gleichen Teilen ein Verschulden an dem Unfall trifft. Laut einem Sachverständigen hätte der Fußgänger den Unfall ganz einfach durch Stehenbleiben verhindern können. Es reicht also nicht aus, sich auf die simple Wahrnehmung von Bewegungen zu verlassen, ohne die Fahrbahn und das dortige Geschehen bewusst erfasst zu haben. Denn im Moment des Überquerens kann – wie der vorliegende Sachverhalt zeigt – ein Fahrzeug gerade im Begriff sein, zum Verlassen der Tankstelle anzufahren.

Aber natürlich traf auch den Autofahrer die unabdingbare Pflicht, die im Bereich der Tankstelle zu erwartenden Fußgänger nicht zu gefährden oder gar zu schädigen. Er hat dabei den zu befahrenden Raum zum Zweck rechtzeitigen Bremsens zu beobachten. Wäre der Pkw-Fahrer dieser Pflicht nachgekommen, hätte er laut Sachverständigem beim Anfahren den Fußgänger sehen müssen.

Hinweis: Das Urteil macht deutlich, dass sowohl Pkw-Fahrer als auch Tankstellenbenutzer besondere Sorgfaltspflichten treffen. Autofahrer müssen sich in einer Tankstelle auf Fußgänger einstellen und deshalb den von ihnen zu befahrenden Bereich sorgfältig im Auge behalten. Andererseits muss auch der Fußgänger jederzeit damit rechnen, dass sich noch stehende Fahrzeuge nach dem Tanken in Bewegung setzen, um das Tankstellengelände zu verlassen.

Quelle: OLG Naumburg, Urt. v. 25.02.2016 – 1 U 99/15

Thema: Verkehrsrecht

Keine Diskriminierung: Auch behinderte Bewerber müssen die geforderte fachliche Eignung aufweisen

Öffentliche Arbeitgeber haben besondere Pflichten bei der Einstellung von Menschen mit Behinderungen.

Eine Hochschule suchte einen Leiter für seine Rechenzentren. Sie verlangte in der Ausschreibung „Erfahrung in Führung eines IT-Bereichs“ sowie „Erfahrungen in der Steuerung komplexerer IT-Projekte“ und „sehr gute Kenntnisse der aktuellen Informationstechnologie“. Auf die Anzeige bewarb sich ein schwerbehinderter promovierter Wirtschaftswissenschaftler. Er wies in seiner Bewerbung ausdrücklich darauf hin, dass aus seiner Erkrankung keine Beeinträchtigung bei der Ausübung der ausgeschriebenen Position bestehen würde.

Die Hochschule schickte seine Bewerbung an die Schwerbehindertenbeauftragte zur Prüfung weiter. Diese kam zu der Auffassung, dass der Bewerber nicht die notwendigen Erfahrungen hatte. Denn er war überwiegend in den Bereichen Marketing und Beratung tätig gewesen. Deshalb wurde der Mann nicht einmal zu einem Bewerbungsgespräch eingeladen. Dieser erkannte darin eine Diskriminierung und klagte eine Entschädigung ein. Die Hochschule musste jedoch keine Entschädigung zahlen. Zwar muss ein öffentlich-rechtlicher Arbeitgeber Schwerbehinderte einladen. Das gilt jedoch nach dem Gesetz nicht, wenn der Bewerber für die Stelle offensichtlich gar nicht geeignet ist. Und davon war das Gericht hier ausgegangen.

Hinweis: Ein schwerbehinderter Bewerber, dem die fachliche Eignung offensichtlich fehlt, muss auch von einer öffentlichen Hochschule nicht zum Bewerbungsgespräch eingeladen werden.

Quelle: LAG Rheinland-Pfalz, Urt. v. 06.10.2016 – 5 Sa 181/16

Thema: Arbeitsrecht

Bei bestehender Bindung: Das Wechselmodell kann im Umgangsrecht nunmehr eingefordert werden

In den meisten Fällen leben die Kinder nach der Trennung bei einem Elternteil, während der andere mehr oder weniger umfangreich Umgang mit seinen Kindern pflegt. Mitunter kommt es aber auch zum paritätischen Wechselmodell, bei dem die Kinder je hälftig bei den Elternteilen leben, zum Beispiel indem sie jeweils im Wochenrhythmus zwischen den Eltern wechseln. In einem Fall stritten sich die Eltern darüber, ob dieses Wechselmodell verlangt oder allenfalls freiwillig vereinbart werden kann.

Diesen Streit hat der Bundesgerichtshof (BGH) jetzt entschieden. Das Wechselmodell kann demnach gerichtlich eingefordert werden. Allerdings ist dies an einige Voraussetzungen geknüpft. Wie in Kindschaftssachen generell kommt es auch hier auf das Kindeswohl an. Das bedeutet, dass es vor allem auf die Erziehungseignung der Eltern, die Bindungen des Kindes, die Prinzipien der Förderung und der Kontinuität, den Kindeswillen und die Kooperations- und Kommunikationsfähigkeit der Eltern ankommt. Unter Beachtung dieser Kriterien soll das Wechselmodell auf Antrag angeordnet werden, wenn es im Vergleich zu anderen Betreuungsmodellen dem Kindeswohl am besten entspricht.

Der BGH betont, dass das Wechselmodell gegenüber den herkömmlichen Modellen höhere Anforderungen an die Eltern stellt, mit anderen Worten also nicht als Regelfall anzuordnen ist. Er hebt auch hervor, dass das Wechselmodell nicht angeordnet werden kann, um eine tragfähige Bindung zu beiden Elternteilen aufzubauen. Diese ist vielmehr Voraussetzung dafür, wobei besonders darauf zu achten ist, dass bereits zur Zeit des Zusammenlebens beide Elternteile die Kindesbetreuung übernommen hatten. Zu beachten ist schließlich, dass beim Wechselmodell ein erhöhter Abstimmungs- und Kooperationsbedarf besteht. Bei hoher elterlicher Konfliktbelastung scheidet deshalb das Wechselmodell aus.

Hinweis: Das Wechselmodell wird nicht der Regelfall werden. Zwar hat der BGH entschieden, dass auch gegen den Willen eines Elternteils das Wechselmodell angeordnet werden kann. Er betont aber, dass das Zusammenwirken der Eltern dabei gut harmonieren muss. Ist das nicht gesichert, wird auch in Zukunft ein entsprechender Antrag im Zweifel erfolglos sein.

Quelle: BGH, Beschl. v. 01.02.2017 – XII ZB 601/15

Thema: Familienrecht

Bausparer aufgepasst! Bausparkassen dürfen Verträge kündigen, die seit mehr als zehn Jahren zuteilungsreif sind

Nun ist es leider amtlich: Bausparkassen können alte Bausparverträge unter bestimmten Voraussetzungen kündigen. Bausparer können daher nicht mehr darauf zählen, weiterhin die vereinbarten Zinsen zu erhalten.

In dem ersten der beiden just entschiedenen Verfahren schloss eine Frau 1978 mit einer Bausparkasse einen Bausparvertrag. Bereits seit 1993 war dieser zuteilungsreif. Anfang 2015 erhielt die Frau dann die Kündigung des Bausparvertrags unter Berufung auf § 489 Abs. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB). Danach gilt Folgendes: „Der Darlehensnehmer kann einen Darlehensvertrag mit gebundenem Sollzinssatz ganz oder teilweise kündigen … in jedem Fall nach Ablauf von zehn Jahren nach dem vollständigen Empfang unter Einhaltung einer Kündigungsfrist von sechs Monaten …“ Nun stellte sich für das Gericht die Frage, wer hier Darlehensnehmer und wer der Darlehensgeber sei.

In dem zweiten Fall wurde im Jahr 1999 ein Bausparvertrag über eine Bausparsumme von rund 80.000 EUR und ein weiterer Bausparvertrag um eine Bausparsumme von rund 20.000 EUR abgeschlossen. Auch diese Verträge wurden Anfang 2015 durch die Bausparkasse gekündigt, nachdem sie mehr als zehn Jahre zuteilungsreif waren. In beiden Fällen waren die Bausparer der Auffassung, dass der Bausparkasse kein Kündigungsrecht zugestanden habe.

Der Bundesgerichtshof stellte sich in den Verfahren auf die Seite der Bausparkassen und urteilte, dass die Kündigungen wirksam waren. Während der Ansparphase ist die Bausparkasse Darlehensnehmerin und der Bausparer Darlehensgeber. Erst mit der Inanspruchnahme eines Bauspardarlehens kommt es zu einem Wechsel. Die Kündigungsvorschrift des BGB muss auch zugunsten einer Bausparkasse als Darlehensnehmerin anwendbar sein.

Hinweis: Eine Bausparkasse kann Bausparverträge also kündigen. Sie müssen für eine solche Kündigung allerdings seit mehr als zehn Jahren zuteilungsreif sein. Und das gilt sogar dann, wenn sie noch nicht voll angespart sind.

Quelle: BGH, Urt. v. 21.02.2017 – XI ZR 185/16 und XI ZR 272/16
Thema: Sonstiges