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Anscheinsbeweis kam mit Martinshorn: Wer auffährt, hat so lange Schuld, bis er das Gegenteil eindeutig beweisen kann

Bei einem Auffahrunfall spricht der Beweis des ersten Anscheins dafür, dass der Auffahrende entweder unaufmerksam war oder zu dicht aufgefahren ist. Will er diesen Anscheinsbeweis entkräften, muss er nachweisen, dass sein Vordermann ohne zwingenden Grund stark gebremst hat.

Eine Pkw-Fahrerin beabsichtigte, innerorts auf eine Vorfahrtstraße abzubiegen. Aufgrund einer auf rot geschalteten Ampel musste sie auf der Rechtsabbiegerspur anhalten. Hinter ihr kam ein weiteres Fahrzeug zum Stehen. Nachdem die Ampel auf grün umgesprungen war, fuhren beide Fahrzeuge an, um nach rechts abzubiegen. Während des Abbiegevorgangs vernahm die vorausfahrende Pkw-Fahrerin das akustische Signal eines Rettungswagens und bremste ihr Fahrzeug ab. Der hinter ihr fahrende Pkw-Fahrer fuhr auf. Seine Haftpflichtversicherung ersetzte der Pkw-Fahrerin deren Schaden nur zu 2/3 mit der Begründung, sie hätte wegen des Rettungswagens nicht bremsen dürfen.

Das Landgericht Hamburg hat die Versicherung zur Zahlung des restlichen Schadensersatzes verpflichtet. Der Beweis des ersten Anscheins spreche für das alleinige Verschulden des Auffahrenden. Dieser war entweder unaufmerksam oder zu dicht aufgefahren. Er konnte außerdem nicht beweisen, dass die vorausfahrende Pkw-Fahrerin ohne zwingenden Grund stark abgebremst hatte. Zudem war die Pkw-Fahrerin beim Wahrnehmen des Martinshorns verpflichtet, sich schnellstmöglich Kenntnis darüber zu verschaffen, von wo aus sich das mit Sonderrechten fahrende Rettungsfahrzeug annäherte. Weiterhin berücksichtigte das Gericht die Erklärung der Pkw-Fahrerin, sie habe normal abgebremst und nicht, wie der Auffahrende behauptet, eine Vollbremsung eingeleitet.

Hinweis: Um eine Mithaftung des Vorausfahrenden zu begründen, muss der Auffahrende nachweisen, dass der Vordermann ohne zwingenden Grund stark abgebremst hat. Ein zwingender Grund besteht, wenn andere oder der Bremsende selbst gefährdet oder geschädigt werden könnten.

Quelle: LG Hamburg, Urt. v. 21.10.2016 – 306 O 141/16
Thema: Verkehrsrecht

Springertätigkeit nach Restrukturierung: Auch nach Jahrzehnten darf der Arbeitgeber auf sein vertragliches Direktionsrecht bestehen

Ein Blick in den Arbeitsvertrag erinnert auch lange Zeit nach Unterzeichnung daran, welche Rechte und Pflichten die einzelnen Vertragspartner haben.

Eine Bankangestellte wurde seit 1987 in der Hauptgeschäftsstelle einer Bank als Kundenberaterin eingesetzt. Nach einer Restrukturierungsphase fand sie sich als Springerin in mehreren Filialen wieder. Das empfand sie als Unrecht und klagte gegen die Versetzung. Das sah das Landesarbeitsgericht Köln allerdings anders. Denn im Arbeitsvertrag hatten die Parteien vereinbart, dass bei Vorliegen eines berechtigten betrieblichen Erfordernisses ein Einsatz der Bankmitarbeiterin in verschiedenen Zweigstellen erfolgen dürfe. Und nichts anderes war hier geschehen. Es müssen schon weitere Umstände hinzukommen, damit ein Arbeitnehmer darauf vertrauen darf, nur für eine bestimmte Tätigkeit eingesetzt zu werden.

Hinweis: Die Nichtausübung des Direktionsrechts durch einen Arbeitgeber über einen längeren Zeitraum hat also nicht zur Folge, dass der Arbeitgeber von dem Recht keinen Gebrauch mehr machen darf.

Quelle: LAG Köln, Urt. v. 06.09.2016 – 12 Sa 414/16
Thema: Arbeitsrecht

Auf sich gestellt: Kein Elternunterhalt bei früherer Vernachlässigung der Kinder

Verwandte in gerader Linie sind verpflichtet, einander Unterhalt zu gewähren: Also Eltern ihren Kindern, aber auch wirtschaftlich eigenständige Kinder ihren Eltern gegenüber. Wie es sich bei Regelwerken jedoch zumeist verhält: Auch hier gibt es Grenzen.

Mit einem solchen Grenzfall musste sich das Oberlandesgericht Frankfurt kürzlich beschäftigen. Die Mutter lebte in einem Pflegeheim und konnte die Kosten dafür aus eigener Rente nicht bestreiten. Der Sohn war als Polizeibeamter finanziell in der Lage, zumindest einen Teil der Heimkosten beizusteuern. Er machte hingegen geltend, dass dies von ihm nicht verlangt werden könne. Seine Mutter habe sich um ihn in seiner Jugend nicht bzw. nicht ausreichend gekümmert. Als die Familie noch zusammenlebte, sei der Vater arbeiten gegangen – als Krankenpfleger oft auch nachts. Die Mutter habe nicht gearbeitet, sich allerdings auch nicht um die Kinder gekümmert. Sie habe das der Familie zur Verfügung stehende Geld für sich ausgegeben und nur das Nötigste für den Haushalt eingekauft. Die Mahlzeiten hätten sein Bruder und er sich meist selber zubereiten müssen. Abends sei die Mutter unterwegs gewesen, oft mit anderen Männern. Als er elf Jahre alt war, trennten sich die Eltern. Seither bestünde auch keinerlei Kontakt mehr. Die Mutter ist dann in Kliniken gekommen, u.a. wegen Schizophrenie.

Wer seine eigene Unterhaltspflicht gröblich vernachlässigt, kann dadurch seinen Unterhaltsanspruch verlieren. Kümmern sich Eltern also nicht hinreichend um ihre Kinder, kann dies dazu führen, dass sie im Alter ihren Kindern gegenüber keinen Unterhaltsanspruch besitzen. Aber Achtung: Das ist zumeist die Ausnahme; es muss in der Regel schon viel passiert sein, damit es zu dieser Rechtsfolge kommt. Im vorliegenden Fall nahm das Gericht aber eine solche Ausnahme an.

Hinweis: Schwierig kann es sein, die Vorfälle der Vergangenheit nach langer Zeit noch klar darzustellen und zu beweisen. Das ist in erster Linie Aufgabe desjenigen, der keinen Unterhalt zahlen will. Je detaillierter die Vergangenheit dargestellt werden kann, desto eher kann das gewünschte Ergebnis erreicht werden.

Quelle: OLG Frankfurt/Main, Beschl. v. 22.03.2016 – 2 UF 15/16
Thema: Familienrecht

Versprochen ist versprochen! Eltern können bei fehlenden Kinderbetreuungsplätzen Haftungsansprüche geltend machen

Es gibt einen Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz. Wird Eltern ein solcher Platz nicht zur Verfügung gestellt, können sie Schadensersatz verlangen.

Drei Mütter planten, nach Ablauf ihrer jeweils einjährigen Elternzeiten ihre Vollzeitbeschäftigung wieder aufzunehmen. Deshalb meldeten sie ihre Kinder bei der Stadt an und verlangten von ihr einen Kinderbetreuungsplatz für die Zeit ab Vollendung des ersten Lebensjahres des Kindes. Zu den von den Frauen gewünschten Terminen stellte die Stadt jedoch keine Plätze zur Verfügung. Die Mütter verlangten daraufhin den Ersatz des ihnen entstandenen Verdienstausfalls unter Anrechnung von Abzügen für anderweitige Zuwendungen und ersparte Kosten.

Der Bundesgerichtshof hat ihnen Recht gegeben. Da der zuständige Träger der örtlichen Jugendhilfe – hier die Stadt – einem anspruchsberechtigten Kind trotz rechtzeitiger Anmeldung keinen Betreuungsplatz zur Verfügung gestellt hatte, lag eine Amtspflichtverletzung vor: Wenn nicht genügend Plätze da sind, muss die Stadt diese eben schaffen!

Hinweis: Wird kein Betreuungsplatz zur Verfügung gestellt, besteht hinsichtlich des Verschuldens der Stadt zugunsten der Geschädigten der Beweis des ersten Anscheins. Das bedeutet eine erhebliche Beweiserleichterung für Eltern.

Quelle: BGH, Urt. v. 20.10.2016 – III ZR 278/15, III ZR 302/15 und III ZR 303/15
Thema: Sonstiges

Berechtigte Gebrauchsüberlassung: Wer seine Wohnung nicht vollständig aufgibt, darf sie nahen Angehörigen überlassen

Soll eine Wohnung einer dritten Person überlassen werden, ist grundsätzlich die Zustimmung des Vermieters erforderlich. Dabei gibt es aber auch Ausnahmen. Wo und wie die Grenzen im Einzelfall zu ziehen sind, zeigt dieser Fall.

Seit 1982 bewohnt ein Ehepaar mit seiner Tochter eine Wohnung. Im Laufe der Zeit verlagerten die Eltern ihren Lebensmittelpunkt bis auf drei Monate im Jahr in die Türkei, so dass die mittlerweile erwachsene Tochter die Wohnung in den restlichen neun Monaten allein bewohnte. Der Vermieter war nun der Auffassung, dass dies eine unberechtigte Gebrauchsüberlassung an die Tochter darstellen würde. Nach Ausspruch einer vergeblichen Abmahnung kündigte er das Mietverhältnis und erhob eine Räumungsklage. Diese wurde jedoch vom Amtsgericht abgewiesen. Ein Mieter darf natürlich seine Wohnung auch seinen Verwandten nicht zur alleinigen Benutzung überlassen. Das ist hier aber auch gar nicht der Fall, da die Eltern die Wohnung immerhin drei Monate im Jahr bewohnen. Eine unberechtigte Gebrauchsüberlassung an nahe Angehörige läge erst dann vor, wenn der eigentliche Mieter den Gewahrsam über die Wohnung tatsächlich vollständig aufgeben würde.

Hinweis: Anders ist der Fall bei einer Untervermietung zu bewerten: Hier muss der Vermieter zustimmen. Allerdings ist er in aller Regel auch dazu verpflichtet.

Quelle: AG München, Urt. v. 02.03.2016 – 424 C 10003/15
Thema: Mietrecht

Eigeninteresse des Erblassers: Trotz gemeinschaftlichen Testaments sind ungleiche Schenkungen zu Lebzeiten möglich

Häufig haben Eltern ein Interesse daran, Teile ihres Vermögens schon zu Lebzeiten auf ihre Kinder zu übertragen. Werden die Kinder dabei jedoch ungleichmäßig bedacht, führt das nach dem Tod der Eltern regelmäßig zu Unfrieden und Streitigkeiten.

Ein Ehepaar hatte sich in einem gemeinschaftlichen Testament wechselseitig zu Erben eingesetzt und nach dem Tod des letztversterbenden Ehegatten ihre beiden Kinder je hälftig zu Schlusserben. Nach dem Tod der Mutter übertrug der Vater das Familienhaus mit Grundstück auf seine Tochter. Er behielt sich dabei ein lebenslanges Nießbrauchsrecht vor und verpflichtete die Tochter, ihn Zeit seines Lebens bei Bedarf in der Wohnung vollständig und unentgeltlich zu pflegen und zu betreuen bzw. für ihn kostenlos pflegen und betreuen zu lassen. Nachdem der Vater verstorben war, ohne jemals pflegebedürftig gewesen zu sein, verkaufte die Tochter das Haus. Ihr Bruder forderte nun die Hälfte des Erlöses, da nach der gesetzlichen Regelung ein Erbe Ersatz verlangen kann, wenn der Erblasser in der Absicht, den Erben zu beeinträchtigen, Schenkungen macht.

Der Bundesgerichtshof (BGH) bezweifelte, dass überhaupt eine Schenkung vorlag. Es wies darauf hin, dass der Schenkungswert durch die Einräumung des Nießbrauchs und die Pflegeverpflichtung gemindert worden war. Zudem musste der Sohn nachweisen, dass der Erblasser bei der Übertragung des Grundstücks auf seine Tochter in der Absicht gehandelt hatte, seinen Sohn zu benachteiligen. Das ist nämlich nicht der Fall, wenn der Erblasser in einem berechtigten Eigeninteresse – also etwa dem Interesse an seiner Pflege – gehandelt hat. Dabei spielt es überhaupt keine Rolle, dass der Vater gar nicht pflegebedürftig geworden war. Denn nur dessen subjektive Prognose zum Zeitpunkt der Grundstücksüberlassung war hier maßgeblich. Da über diese Fragen noch nicht ausreichend Beweis erhoben worden war, verwies der BGH die Sache zur weiteren Entscheidung an das in der Vorinstanz mit der Sache befasste Gericht zurück.

Hinweis: Bei einem Erbvertrag oder einem gemeinschaftlichen Testament kann eine Partei nicht ohne die Zustimmung der anderen einseitig Bestimmungen abändern. Trotz dieser Bindung kann der überlebende Ehegatte jedoch zu seinen Lebzeiten über das Vermögen frei verfügen – es also verbrauchen, verkaufen oder verschenken. Die Grenze sind jedoch beeinträchtigende Schenkungen zu Lasten eines der Erben. Solche Verfügungen sind allerdings dann zulässig, wenn der Erblasser damit ein Eigeninteresse verfolgt – wie hier die Sicherung der Pflege oder Versorgung im Alter – oder eine sogenannte sittliche Pflicht erfüllt (z.B. Geschenk zur Hochzeit). Bei solchen Schenkungen kommt es also auf die Umstände des Einzelfalls an, weshalb es sich empfiehlt, rechtzeitig rechtlichen Rat einzuholen.

Quelle: BGH, Urt. v. 28.09.2016 – IV ZR 513/15
Thema: Erbrecht

Winterstraßen außerorts: Selbst in Kurven unterliegen nur überraschend auftretende Gefahrenstellen der Streupflicht

Nicht jede Glättestelle einer Fahrbahnkurve stellt automatisch eine besonders gefährliche Stelle dar. Klingt merkwürdig? Dann verhilft der folgende Fall womöglich zu etwas mehr Klarheit.

Bei Glatteis kam eine Autofahrerin außerhalb einer geschlossenen Ortschaft innerhalb einer Kurve von der Fahrbahn ab und verunfallte. Gegenüber dem verkehrssicherungspflichtigen Straßenbauträger sah sie eine eindeutige Verletzung der Streupflicht und verlangte daher Schadensersatz.

Das Oberlandesgericht Hamm hat hier jedoch keine Verletzung der Streupflicht sehen können und daher die Schadensersatzansprüche für unbegründet erachtet. Die Voraussetzungen einer Räum- und Streupflicht sind laut Gesetz durch das Kriterium der wirtschaftlichen Zumutbarkeit begrenzt. Demzufolge haben die für die Verkehrssicherheit der Straßen Verantwortlichen außerhalb geschlossener Ortslagen nur für ganz besonders gefährliche Stellen eine entsprechende Streu- und Räumpflicht. Und im Überraschungsmoment liegt hier das Geheimnis einer „besonders gefährlichen“ Stelle: Kann man also trotz der gebotenen erhöhten Vorsicht beim Befahren winterlicher Straßen den gefährlichen Zustand einer bestimmten Stelle nicht oder nicht rechtzeitig erkennen und die bestehende Gefahr genau deshalb nicht meistern, ist ein daraus resultierender Unfall dem Versagen des für die Verkehrssicherung Verantwortlichen anzulasten.

In einem Gebiet mit abschnittsweise neben der Straße befindlichen Waldbeständen und damit unterschiedlicher Sonneneinstrahlung auf die Straßenoberfläche hätte die Klägerin hier als umsichtige Kraftfahrerin mit dem Auftreten von Glätte zu rechnen. Deshalb war jene gefährliche Stelle, die sie aus der Kurve trug, schlicht und ergreifend nicht ungewöhnlich genug, um als „besonders“ durchzugehen und einen Schadensersatzanspruch zu begründen.

Hinweis: Hätte die Fahrbahn an der Unfallstelle ein überraschendes Gefälle oder auch eine seitliche Neigung aufgewiesen, sähe die Entscheidung des Gerichts anders aus. So aber ist dem Urteil zuzustimmen, da anderenfalls jede Straßenkurve stets der Streupflicht unterliegen würde.

Quelle: OLG Hamm, Urt. v. 12.08.2016 – 11 U 121/15
Thema: Verkehrsrecht

Aufgepasst beim Erlassvertrag: Einstige Versorgungszusagen können durch eine Unterschrift ihre Wirkung verlieren

Arbeitnehmer sollten vor der Unterschrift unter einen Aufhebungs- oder Erlassvertrag die Rechtslage genau prüfen.

Eine Bank verlangte aufgrund wirtschaftlicher Probleme von ihren besser bezahlten Angestellten, dass diese auf eine Gesamtversorgungszusage verzichten sollten. Im Gegenzug bot die Arbeitgeberin eine beitragsorientierte betriebliche Altersversorgung an. Mehrere Arbeitnehmer verzichteten auf ihre Ansprüche und unterzeichneten ein entsprechend vorbereitetes Formular. Später wollte einer dieser Mitarbeiter den von ihm unterzeichneten sogenannten Erlassvertrag allerdings nicht anerkennen und klagte stattdessen die Ansprüche ein. Das Gericht entschied jedoch gegen den Arbeitnehmer.

Ein Arbeitgeber darf durch einen Erlassvertrag mit seinen Arbeitnehmern von getätigten Versorgungszusagen abrücken. Das ist selbst dann der Fall, wenn es sich bei dem Erlassvertrag um Allgemeine Geschäftsbedingungen handelt. Und diese waren hier weder überraschend noch unklar.

Hinweis: Das Recht der Allgemeinen Geschäftsbedingungen, das sogenannte „Kleingedruckte“, ist also auch im Arbeitsrecht zu beachten. Das gilt sowohl für Arbeitgeber als auch für Arbeitnehmer.

Quelle: BAG, Urt. v. 15.11.2016 – 3 AZR 539/15
Thema: Arbeitsrecht

Nachscheidungsunterhalt: Die Geltendmachung von Unterhalt darf nicht auf die lange Bank geschoben werden

Unterhalt ist monatlich zu zahlen. Derjenige, dem Unterhalt zusteht, muss ihn allerdings auch geltend machen. Er muss dabei konsequent vorgehen, sonst kann der Unterhalt verwirkt sein. Das gilt vor allem für den Unterhalt, der einem Ehegatten für die Zeit nach der Scheidung gezahlt werden muss.

Mit dieser Problematik hat sich das Oberlandesgericht Zweibrücken befasst. Die Ehegatten im zugrundeliegenden Fall wurden Ende 2011 geschieden. Gleich danach verlangte die Frau für sich Nachscheidungsunterhalt. Der Mann zahlte nicht. Nennenswerte Schritte, um den geltend gemachten Anspruch zu realisieren, unternahm die Frau zunächst keine. Im März 2013 wendete sie sich an das Gericht und beantragte die Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe, weil sie ihren Exmann gerichtlich auf Unterhalt in Anspruch nehmen wollte. Erst im Februar 2014 machte sie dann den Unterhaltsanspruch tatsächlich gerichtlich geltend.

Ob der Frau bereits ab dem Zeitpunkt der Scheidung Unterhalt zugestanden hätte, hat das Gericht nicht geprüft. Es hat stattdessen eine oft übersehene Gesetzesvorschrift angewendet: Der Nachscheidungsunterhalt kann mithilfe eines gerichtlichen Antrags (für die Zeit von mehr als einem Jahr vor Rechtshängigkeit) nur dann verlangt werden, wenn sich der zum Unterhalt Verpflichtete der Unterhaltspflicht absichtlich entzogen hat. Deshalb hat das Gericht die Unterhaltspflicht nur für die Zeit ab Februar 2013 geprüft. Der Unterhalt davor war verwirkt.

Hinweis: Die hier angewandte Norm bezieht sich nicht auf den Unterhaltsanspruch von Kindern oder den Unterhalt für den Ehegatten in der Zeit bis zur Scheidung. Wichtig ist außerdem, dass es für die sogenannte Rechtshängigkeit nicht ausreicht, dass ein Antrag auf Verfahrenskostenhilfe für ein beabsichtigtes Unterhaltsverfahren gestellt wird. Das Unterhaltsverfahren selbst muss eingeleitet werden.

Quelle: OLG Zweibrücken, Beschl. v. 04.03.2016 – 2 UF 152/15
Thema: Familienrecht

Arbeitslosengeld trotz Arbeitsverhältnis: Die faktische Beschäftigungslosigkeit kann auch ohne förmliche Kündigung ausreichen

Obwohl die Arbeitnehmerin dieses Falls einen Arbeitsvertrag hatte, erhielt sie Arbeitslosengeld.

Eine in der Justiz beschäftigte Frau wurde so sehr gemobbt, dass sie sich nach einer längeren Krankheitsphase weigerte, ihre Arbeit wieder aufzunehmen. Der Dienstherr stellte sie deshalb von der Arbeitsleistung ohne Fortzahlung des Gehalts frei. Die Frau ging daraufhin zur Bundesagentur für Arbeit und beantragte Arbeitslosengeld, das ihr mit der Begründung verweigert wurde, dass sie noch in einem ungekündigten Beschäftigungsverhältnis stehe. Da sie aber faktisch arbeitslos war, klagte sie gegen die Entscheidung der Bundesagentur. Und tatsächlich stand ihr das Arbeitslosengeld zu. Denn eine faktische Beschäftigungslosigkeit reichte aus. Sie war auf ihrem Arbeitsplatz nicht mehr erschienen und stand für die Arbeitsvermittlung zur Verfügung. Eine förmliche Kündigung war hier daher nicht erforderlich.

Hinweis: Auch Arbeitnehmer in ungekündigten Arbeitsverhältnissen können also einen Anspruch auf Arbeitslosengeld I haben, wenn sie faktisch beschäftigungslos sind. Um die Verhängung einer Sperrfrist in solchen Fällen kommen Arbeitnehmer aber sicherlich nur herum, wenn sie einen wichtigen Grund für ihre Beschäftigungslosigkeit aufweisen können.

Quelle: SG Dortmund, Urt. v. 10.10.2016 – S 31 AL 84/16

Thema: Sonstiges